Kinoempfehlungen für Berlin: Willkommen zu Hause, Baby!
Das Fantasy Filmfest zeigt eine Woche lang viele postmoderne Mixturen aus den Genres Horror, Fantasy und Action.
Der Teenager Rylee hat einen großen Traum: Einmal ein paar persönliche Worte mit IHM wechseln zu können, mit dem abgöttisch angehimmelten Payton, dem Sänger ihrer Lieblingsband. Sie weiß alles über ihr Idol, ihr Jugendzimmer hat sie in einen Schrein zu dessen Ehren verwandelt, und bei einem seiner Konzerte steht sie mit ihrer besten Freundin natürlich in der ersten Reihe. Wie es der Zufall so will, kommt es tatsächlich zu einer Begegnung, Rylee sitzt plötzlich neben – Kreisch! – IHM in dessen Auto.
Aber sie stellt fest: Ihr Schwarm hat Probleme und braucht Hilfe, auch wenn er das selbst vielleicht gar nicht so sieht. Für Rylee aber ist klar: Sie wird jetzt da sein für ihn und niemand wird sie daran hindern können. Auch nicht Payton selbst, der bald erkennen muss, dass er die Geisel eines Mädchens mit einem pathologischen Beschützerinstinkt ist, das bei der Erfüllung seiner Mission über Leichen geht.
Die kanadische Regisseurin Emma Higgins hat mit „Sweetness“ (2025) einen rasant überdrehten Film gedreht, der den Stoff des Stephen-King-Romans „Misery“ variiert, wo ebenfalls ein Promi auf schmerzhafte Weise erfahren muss, wie weit die Liebe eines Fans gehen kann. Allerdings verläuft bei diesem, im Vergleich zu dem, was Payton mit Rylee erleben muss, alles noch eher harmlos.
Zu sehen ist „Sweetness“ beim Fantasy Filmfest, bei dem eine gute Woche lang, vom 3. bis zum 10. September im Zoo Palast, mal wieder jede Menge Filme aus den Genres Horror, Fantasy und Action zu sehen sind. Wobei solche Genre-Filme inzwischen oftmals gar nicht mehr bloß einer einzigen Gattung zugeschrieben werden können, sondern als postmoderne Mixturen daherkommen.
Fantasy Filmfest Berlin: vom 3. bis 10. 9. im Zoo Palast
„Sweetness“ etwa hat etwas von einem Coming-of-age-Film, arbeitet mit Horror-Elementen, ist aber am Ende wohl vor allem ein Thriller. „The Things You Kill“ (2025) von Alireza Khatami wiederum wirkt erst wie ein klassischer Thriller, bei dem der Hochschullehrer Ali den Tod seiner Mutter aufklären will und sich dabei immer tiefer in alle möglichen Probleme verstrickt. Bis dann surreale Mystery-Elemente auftauchen und man sich in der Geschichte ähnlich verliert wie Ali und bald auch nicht mehr weiß, wo hier die Realität endet und der Wahnsinn beginnt.
Es ist auch nicht mehr so wie früher, dass in all diesen Genre-Crossovers die Killer, Helden und Antihelden vornehmlich von Männern gespielt werden und die Frauen nur als schreiende Opfer auftreten.
Vielmehr übernehmen inzwischen auffallend viele Frauen den aktiven Part, holen den Baseballschläger oder das Messer raus und am Ende liegen die Männer röchelnd am Boden, während die Frauen sich zufrieden lächelnd die Blutspritzer aus dem Gesicht wischen.
Etwa in „Odyssey“ (2025) von Gerard Johnson, wo eine Londoner Immobilienmaklerin irgendwann so richtig die Geduld mit allen verliert, die sie so nerven. Sie selbst ist auch nicht unbedingt eine Sympathieträgerin, aber alle, mit denen sie sich auf ihrem Trip voller Gewalt anlegt, haben es schon verdient, wenn ihnen die Klinge in den Bauch gerammt wird.
Auch in der verschworenen Dorfgemeinschaft, in die die Berliner Notärztin Judith in ihrer österreichischen Heimat in dem Film „Welcome Home, Baby“ (2025) von Andreas Prochaska gerät, haben ausschließlich die Frauen etwas zu melden, während die paar Männer, die überhaupt zu sehen sind, geduckt und verängstigt umherschleichen. Judith will in dem Provinzkaff eigentlich Geheimnissen aus ihrer Kindheit auf die Spur kommen, um dann möglichst schnell wieder abzureisen.
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Aber sie stößt auf Kräfte, die sie unbedingt hierbehalten wollen, und mit denen ist nicht zu spaßen. Irgendwann ist sie schwanger und Roman Polanskis Horrorfilm „Rosemary’s Baby“ lässt ordentlich grüßen. Am Ende steht die Frage: Welche von all den Frauen hier ist nun wirklich am stärksten.
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