Kinder im Bundestagswahlkampf: Das Fass ist übergelaufen
Im Wahlkampf werden Kinder für TV-Formate instrumentalisiert. Nun bezeichnet man sie als süße Dummchen oder Sprechpuppen der „Hauptstadtjournaille“.
D iese Woche habe ich mich nach Feierabend mit Fässern beschäftigt. Genauer: Mit „Gefühlsfässern“.
Mit diesem Bild einer begrenzten Kapazität für widrige und belastende Dinge wollte eine junge Psychologin uns Siebtklässler-Eltern für die mentale Gesundheit unserer Kinder sensibilisieren. Die Schulen haben extra Geld vom Bund bekommen, um die psychosozialen Folgeschäden der Coronakrise aufzufangen. Das finde ich super. Nur: In meinem Fass befanden sich zum Zeitpunkt des Online-Workshops schon zwei, drei Dinge. Und die haben damit zu tun, wie Kinder gerade im Wahlkampf instrumentalisiert werden.
Im Privat-TV wurden die elfjährigen Kinderreporter Paulina und Romeo von einem Satirejournalisten ins Rennen geschickt, um Armin Laschet einzuheizen, mit unerbittlichen Fragen nach dem Hambacher Forst und Hans-Georg Maaßen. Hinterher sah keineR der Beteiligten gut aus. Der Kanzlerkandidat muss das aushalten, er kämpft selbst mit schmutzigen Methoden, siehe Razzia in der Geldwäsche-Einheit beim Finanzministerium.
Aber wie geht es wohl Paulina und Romeo, die nun wahlweise als süße Dummchen oder Sprechpuppen der Hauptstadtjournaille bezeichnet werden? Und wie geht es der 15-jährigen FFF-Aktivistin, die man in die ARD-„Wahlarena“ einlud, damit sie ihre kämpferischen Klimaschutzappelle vorträgt – um sie hinterher als von Radikalinskis „dressierte“ Minderjährige zu beschimpfen?
Mein Gefühlsfass lief endgültig über, als der Berliner Senat „2G“ beschloss. Und zwar explizit ohne Ausnahme für unter 12-Jährige. Epidemiologisch könne man nicht verantworten, dass ungeimpfte Kinder Restaurants, Sportstadien, Kinos oder Museen betreten. Äh, Folgeschäden? Hallo?!
Der Ratschlag der Psychologin, im Fall des „Überschwappens“ langsam bis vier zu zählen und zu atmen, war mir in diesem Moment egal. Ich hüpfte durch die Wohnung wie Rumpelstilzchen. Schon einen Tag später machte der rot-rot-grüne Senat einen Rückzieher. Man habe, sorry!, die Kleinen „vergessen“ – was schlicht gelogen war. Ich zähle jetzt langsam bis vier. Und dann, Freunde, gehe ich wählen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann