Kiew erobert Dörfer bei Cherson zurück: Gegenoffensive im Süden
Russland verstärkt die Angriffe im Donbass. Unterdessen erwägen die USA die Lieferung von Mehrfachraketenwerfern an Kiew.
![Ein Mann runzelt die Stirn und blckt ernst an der Kamera vorbei. Er trägt eine kugelsichere Weste und steht vor einem Haus mit Einschusslöchern Ein Mann runzelt die Stirn und blckt ernst an der Kamera vorbei. Er trägt eine kugelsichere Weste und steht vor einem Haus mit Einschusslöchern](https://taz.de/picture/5587090/14/30281979-1.jpg)
Während die russischen Truppen im Donbass weiter angreifen, hat die Ukraine nach Angaben ihres Generalstabs eine Gegenoffensive im Süden des Landes gestartet. 70 Kilometer nordöstlich der von Russland eroberten Großstadt Cherson hätten ukrainische Truppen den Inhulets-Fluss überquert und die russischen Truppen aus drei Ortschaften um bis zu 9 Kilometer zurückgedrängt, hieß es in ukrainische Quellen am Samstag.
Zuletzt hatten russische Quellen berichtet, das besetzte südukrainische Gebiet um Cherson werde von Russland nur schwach verteidigt, teils nur mit Reservisten, Milizionären aus Donezk sowie alten Panzern. Russlands Armee hat begonnen seine schon eingemotteten, über 60 Jahre alten Panzer des Typs T-62 wieder in Dienst zu stellen, um schwere Verluste an neuerem Militärgerät auszugleichen.
Moskau konzentriert den Großteil seiner Offensivstreitkräfte aktuell nicht im Süden der Ukraine, sondern im Donbass. Das erleichtert es der Ukraine, andernorts Geländegewinne zu erzielen – in den vergangenen Wochen gelang das bereits rund um die Millionenstadt Charkiw, die jetzt nicht mehr in Reichweite russischer Kurzstreckenartillerie liegt. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski besuchte Charkiw am Sonntag erstmals seit Kriegsbeginn.
Im Donbass begannen russische Truppen am Freitag mit Frontalangriffen auf die Großstadt Sjewjerodonezk, die sie in den Tagen zuvor bereits begonnen hatten, einzukesseln. Der Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, erklärte am Samstagabend, dass „Sjewjerodonezk komplett unter Kontrolle“ sei. Andere Quellen berichteten am Sonntag, die heftigen Kämpfe dauerten an.
Russland spricht von „roter Linie“
Die für beide Seiten sehr verlustreichen Kämpfe um Sjewjerodonezk seien die schwersten seit denen um Mariupol, analysierte das Institute for the Study of War (ISW) in den USA in seinem Tagesbericht von Samstag und nannte den absehbaren Fall der Stadt an Russland eine „bedeutsame taktische Niederlage“ der Ukraine. Russland könne dann einen wichtigen Etappensieg auf dem Weg zur Eroberung des gesamten Donbass verkünden.
Doch, so das ISW weiter, „für ihre laufenden taktischen Erfolge zahlen die Russen einen Preis, der in keinem Verhältnis zum tatsächlichen operativen oder strategischen Vorteil steht“. Wenn die Schlacht um Sjewjerodonezk vorüber sei, „wird die russische Offensive voraussichtlich ihren Höhepunkt erreicht haben, was der Ukraine die Gelegenheit bietet, ihre operativen Gegenoffensiven zu starten“.
Im Rahmen dieser Analyse sind die jüngsten Berichte aus den USA zu bewerten, wonach die Ukraine demnächst erstmals US-Artillerie größerer Reichweite erhalten soll. Die von der ukrainischen Regierung seit Langem geforderten MLRS-Mehrfachraketenwerfer und ihre leichtere Version Himars (High Mobility Artillery Rocket System) können von Fahrzeugen aus bis zu 24 Raketen nacheinander bis zu 300 Kilometer weit schießen. Der Nationale Sicherheitsrat der USA soll über ihre Lieferung in dieser Woche entscheiden, so der TV-Sender CNN. Der ukrainische Präsident Selenski sagte in der Nacht zum Sonntag, er erwarte in der kommenden Woche „gute Nachrichten“, um eine Feldüberlegenheit der Ukraine herzustellen.
Russland warnte laut CNN am Freitag, die USA würden mit einer solchen Lieferung „eine rote Linie überschreiten“, weil diese Raketen auch russisches Gebiet treffen können. Das gilt allerdings für alle ukrainischen Raketen in Grenznähe. Der Vorzug der MLRS für die Ukraine ist, dass sie damit russische Positionen in der Ukraine aus sicheren Positionen in der Ferne beschießen kann. Für einen Versuch, den Süden der Ukraine zurückzuerobern, wäre das entscheidend.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau