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Kevin Kühnert im BundestagDer kluge Beobachter

Kevin Kühnert ist zurück! Er beweist, warum die SPD junge Talente fördern muss. Besonders den CDU-Kandidaten Merz kritisiert er scharf.

Kevin Kühnert nach seiner letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag Foto: Amrei Schulz/imago

In der letzten Sitzung des 20. Bundestags hat nicht nur die SPD noch einmal gemerkt, was sie an Kevin Kühnert hatte. Die Fraktion hatte ihn, der sich im Oktober aus gesundheitlichen Gründen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, als letzten Redner auf die Liste gesetzt. Und da war er wieder: klug, eindringlich und mit dem Abstand desjenigen, der Politik derzeit nur als Beobachter verfolgt.

Kühnert machte seinem Unbehagen über die gesellschaftliche Debatte Luft und verurteilte zunächst die Angriffe auf die politischen Mitbewerber von Union und FDP. „Nein, Union und FDP sind keine Faschisten, auch keine klammheimlichen. Man stürmt keine Geschäftsstellen, man zerstört keine Plakate.“ Der richtige Konflikt dürfe nicht mit den falschen Argumenten ausgetragen werden, sagt Kühnert.

Eine überfällige Distanzierung, zu der sich führende Po­li­ti­ke­r:in­nen von SPD und Grünen auch hätten durchringen können. Schonen wollte Kühnert die Union und ihren Kanzlerkandidaten deshalb nicht. Er äußerte sein Befremden darüber, wie CDU-Chef Friedrich Merz die Frage nach dem CDU-Austritt von Michel Friedmann im Fernsehduell am Sonntag glatt ignoriert hatte.

Friedmann hatte der CDU, die Ende Januar erstmals auf Stimmen der AfD für eine parlamentarische Mehrheit setzte, ein „unentschuldbares Machtspiel“ attestiert. Merz kritisierte lieber die Demonstrationen gegen rechts. Kühnerts Eindruck am Dienstag: „Opportunität sticht Integrität.“ Die CDU gebe das Ringen um eigene Überzeugungen zunehmend auf, spreche dem Volk nach dem Mund.

Kühnert ermahnt eigene Partei

Starker Tobak, aber in Bezug auf Merz angebracht. Dieser ist bekannt dafür, immer wieder Geschichten vom Hörensagen in die öffentliche Debatte zu werfen, um Stimmung in Stimmen zu verwandeln. Etwa die, dass abgelehnte Asylbewerber die Zahnarztpraxen für deutsche Patienten blockieren würden. Sogar die Bundeszahnärzte­kammer dementierte das.

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Aber Kühnert ermahnte auch seine eigene Partei, dem Volk zuzuhören und nicht wegzuhören, wenn es einem nicht gefällt. Dass die SPD derzeit Ohr und Herz der Wäh­le­r:in­nen hat, kann man angesichts der Umfragen jedoch nicht behaupten. Noch bedenklicher ist, dass sie bei den 18- bis 29-jährigen Wäh­le­r:in­nen abgeschlagen auf Platz 5 liegt. Am beliebtesten sind Linke und Grüne.

Auch wenn Kühnert mit 35 Jahren knapp nicht mehr im Juso-Alter ist, der SPD täte es gut, wenn sie junge Leute wie ihn stärker nach vorn stellte. Doch dem 21. Bundestag wird Kühnert definitiv nicht angehören. Aber vielleicht dem 22.? Auf sein politisches Talent kann die SPD eigentlich nicht verzichten.

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23 Kommentare

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  • Die Rede hat mir sehr gut gefallen.



    ARD und ZDF gehen nicht auf diese Rede ein.



    Dies gibt mir zu denken.

  • Die meisten Kommentare hier klingen schon etwas nach "De mortuis nihil nisi bene". Aber Hr. Kühnert hat sich nur aus dem Bundestag verabschiedet, bittesehr.



    Deshalb sei bei allem Respekt hier ergänzend erwähnt, dass er wegen seines "politischen Talents" auch die disharmonischen Töne auf der politischen Klaviatur bestens beherrschte.



    Erinnern wir uns an seine (als gewesener Juso-Chef) Unterstützung der unseligen Parteilinken und Hinterbänkler Hr. Walter-Borjans und Fr. Eskens in ihrer Kandidatur zum SPD-Vorsitz, nur um auf demselben Hr. Scholz zu verhindern? Oder daran, dass er wenig später, nun mit dem SPD-Generalsekretariat belohnt, denselben düpierten Hr. Scholz ins Kanzleramt zu schieben half? Oder dass er den ehemaligen Reg. Bürgermeister, Hr. Müller, zur BT-Wahl aus dessen angestammten Wahlkreis herausintrigierte?



    Da kommt schon was zusammen. Früh übt sich, wer ein Meister werden will.

    • @Vigoleis:

      Selbstkorrektur: Generalsekretär wurde er erst im Dez. 2021, also nach der Wahl. Ich erinnere mich allerdings an die folgende Diskussion darüber, wie er auf dieser Position als Scholz-Gegner die Partei hinter dem Kanzler versammeln will.

  • Man kann der SPD nur die Opposition wünschen nach der höchstwahrscheinlichen Niederlage. Es wird Zeit, sich klar zu werden, was Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert heißt, die SPD muss neue Lösungen suchen und finden. Dann kann 2029 oder 2033 das Comeback gelingen. Leute wie Kühnert können dabei hilfreich sein.

  • Hier m.youtube.com/watch?v=QNyLvPPVszQ gibt's die Rede auf YouTube

  • Seit gestern steht in meiner Signatur in Webforen:

    "Ein Kanzler, „dessen Mund nur wiedergibt, was sein Ohr aufnimmt, ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen.“ (Kevin Kühnert zum Fall Merz)"

  • „Opportunität sticht Integrität.“, kluge und präzise Beobachtung von Kühnert, von der tagesschau- und heute journal Zuschauer im Gegensatz zu taz-Lesern nichts erfuhren. Warum?

    Ist das die Folge des "opportunen" Merz-Effektes, also das Einpreisen des Sieges von Merz bei "aufmerksamen" Redakteuren von ARD und ZDF, weshalb sie die zentrale Kritik von Kühnert in ARD und ZDF nicht erwähnten?



    Kein Wort auch bei ARD und ZDF, dass Kühnert den Austritt von Michel Friedmann aus der CDU kritisch erwähnte, bei dem laut Kühnert "normalerweise" kein Stein auf dem anderen bei der CDU geblieben wäre. Aber was ist beim Wahlkampf bei ARD und ZDF in der Berichterstattung schon normal?

    • @Lindenberg:

      Kühnert meint das Richtige - aber ich hätt's gern eine Nuance schärfer gehabt: Opportunismus schlägt Integrität.



      Dennn Opportunismus ist immer falsch. Opportunität -verstanden als das was opportun ist- nicht notwendigerweise.



      Ansonsten: Warum wird man Kühnert so deutlich vermissen? Weil da sonst kaum eine(r) ist. Merz redet viel Unsinn - aber in einem hatte er Recht - 25min Oppositionskandidatenbashing ist zuwenig, bzw das Falsche, wenn man als Kanzlerkandidat für das Zukünfitge antritt. Nicht das Merz da nennenswert besser performed hätte...

  • die spd hat 1 personalproblem. ganz aktuell: in einer möglichen groko will scholz nicht mitspielen. ok. wer dann?



    mir fällt niemand ein ...



    gute leute wie kevin kühnert sind rar - von talentförderung + personalentwicklung scheint die spd 0-ahnung zu haben.



    in der wirtschaft ginge sowas nicht. die kümmern sich um ihre talente, private hochschulen, bildungssystem ganz auf die wohlhabenden elite + künftige eliten abgestellt.

    spd: dümpelt vor sich hin. hat keine zündenden ideen, kommt bei der jugend nicht an (wann wäre das je der fall gewesen?).



    die parteien in europa sortieren sich eben neu. vieles ist in bewegung, bei der spd deutet alles auf weg nach unten.



    sie sind schon lange (seit 1969) keine sozialdemokratische arbeiter partei mehr, unterscheiden sich in der praxis kaum von der union.



    wozu also spd? ihre herrschaft in den dgb-gewerkschaften - die gibts noch. aber wie lange? und sie haben nie verhindert, daß gewerkschafterInnen mehr als die übrige bevölkerung rechtsradikal sind (über 25%). aber unvereinbarkeitsbeschlüssse in gewerkschaften (gegen links natürlich) + berufsverbote gegen links: das verdanken wir der spd.



    war von berufsverbot betroffen, kostete karriere +geld.

  • Eine wirklich gute Rede.

    Kevin Kühnert hat - wie auch z.B. Annika Klose - Rückgrat gezeigt und dem "Sicherheitsgesetz" nicht zugestimmt.

    Ich bin ehrlich gesagt ziemlich traurig, dass er den Bundestag verlässt. Hoffentlich bleibt er der Politik in irgendeiner Form erhalten.

    Ansonsten natürlich schnelle Genesung, Gesundheit und alles Gute!

    • @Stavros:

      Ich weiß nicht wirklich, was für ein Gesundheitsproblem Kühnert hat. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass einer wie er in dieser Partei verschlissen wird. Es sind zu viele zu dicker Bretter in dieser Partei zu bohren, bevor man überhaupt nach draußen wirken kann. Und es bohren zu wenige, zuviele liefern Bretter.

      • @Monomi:

        Ja, und ich könnte mir auch vorstellen, dass er sich zu sehr gegen seine Überzeugungen verbiegen musste.

  • Tolle Rede!

    Gute Besserung und komm bald wieder.

  • Aber wovon will er denn leben?

  • Das Grundproblem ist doch, dass die Funktionäre von Parteien ein zermürbendes Leben führen müssen - aktuell. Wenn wir wieder mehr Menschen von der Straße in den Parlamenten sehen wollen, dann muss auch der Umgang der Journalisten mit den Politikern ein anderer werden. Es geht nicht um Schmeichelei und Schleimerei. Aber um Anstand und Respekt. Wer will sich denn beim kleinsten Fehler durch die Presse jagen lassen?



    Ich befürchte, wenn sich hier nichts ändert, dann werden wir nur noch Politiker haben, die direkt nach dem Studium in die Politik einsteigen und dann wenig Ahnung vom Leben eines Menschen mit weniger als dem Median-Einkommen hat. Dann werden die Interessen der unteren 50% keine Vertretung in den Parlamenten haben.

    • @Bürger Jochen:

      Schauen Sie sich die Verteilung im Bundestag an, da werden Sie sehen das es jetzt schon problematisch ist. Ich glaube es 10 Politiker mit Hauptschulabschluss und 90 Prozent haben eine Uni von innen gesehen. Bei den Grünen führt der Weg, wie in keiner anderen Partei direkt vom Hörsaal in den Bundestag.

      Aber auch der Wähler ist schuld, er lässt sich von dem Lehrer oder Juristen blenden, weil er durch sein Beruf das Reden gewohnt ist, während der Fleischermeister oder die Pflegekraft, weniger Übung darin hat.

      Und das Hochschulabschlüsse und Doktortitel keine Qualifikation sind um kompetente Arbeit abzuliefern hat Scheuer, Altmeier und Glöckner gezeigt und das man deren Leistung, unglaublich aber wahr, noch unterbieten kann hat unter anderem Frau Paus, Frau Geywitz in dieser Regierung bewiesen.

      Nicht wie etwas verpackt ist, ist relevant der Inhalt ist es.

      • @Hitchhiker:

        Wie kommen Sie darauf, dass es bei der CDU anders ist? Oder doch nicht, wie Ihre Beispiele zeigen. Nur JUGewächse und dann zum Jurastuium in die Burschenschaft oder was mit Wirtschaft oder Politik

        • @Momo33:

          Ich bin einfach politisch sehr interessiert. Es gibt im Deutschlandfunk eine Folge über die zusammensetzung und repräsention der Bürger. Sehr empfehlenswert und ein guter Einstieg in die Thematik.

          Und ja bei CDU und SPD gibt es das auch, aber bei den Grünen wesentlich häufiger.

  • Der Beste geht, wie typisch...

  • Persönlich konnte ich ihm noch nie etwas abgewinen, aber seine Rede heute war wieder einmal phänomenal.



    Erstaunlich das er im Bundestag am Mikrofon immer so gut liefert aber in Talkshows sich mal um mal ins Abseits quatschte 🫤

    • @Farang:

      Wenn das, was Kühnert so sagt, oft in (deutschen) Talkshows "ins Abseits" führt, dann kann das auch am Niveau der allermeisten deutschen Talkshows liegen. Gerade die mit der großen Reichweite (unter den LinearTVUsern) sind ja inzwischen mehr rhetorisches Dschungelcamp. Wenn die Gefahr droht, dass einer einen Gedanken tatsächlich in mehr als 2 Sätzen darstellen will, grätscht ein gewisser Markus reflexartig mit einer abseitigen Frage in Dauerschleife dazwischen. Und ein wesentlicher Teil des Publikums hält das tatsächlich für "kritischen Journalismus".

  • Sein Beitrag war wirklich rhetorisch ziemlich gut. Hoffentlich ist er bald wieder ganz gesund!

    • @NavyBlue:

      Und inhaltlich auch!!!