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Kaum Perspektive für Dritt­staat­le­rGeflüchtete aus der Ukraine nun ohne Schutz

Sie lebten zu Kriegsbeginn in der Ukraine, sind jedoch keine ukrainischen Staatsbürger:innen. Jetzt läuft bei vielen der Schutzstatus in Deutschland aus.

Ankunftszentrum in Berlin 2022: Nicht alle aus der Ukraine Geflüchteten haben in Deutschland die gleiche Perspektive Foto: Lisi Niesner/reuters

Mehr als eine Millionen Menschen sind seit dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Ab Mittwoch droht einigen von ihnen nun Unsicherheit. Denn am 5. März laufen die Aufenthaltstitel für einen Teil der aus der Ukraine geflüchteten Dritt­staat­le­r:in­nen aus.

Ukrainische Staats­bür­ge­r:in­nen haben über die sogenannte Massenzustromrichtlinie der EU unkompliziert Schutz gefunden. Dieser wurde inzwischen bis März 2026 verlängert. Für Menschen, die zwar aus der Ukraine geflüchtet, dort aber keine Staats­bür­ge­r:in­nen sind, gilt das jedoch nur eingeschränkt.

Familienangehörigen von Ukrai­ne­r:in­nen oder in dem Land anerkannten Flüchtlingen wird weiterhin Schutz gewährleistet. Personen, die zu Kriegsbeginn nur mit einem befristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine lebten, verlieren nun aber ihre deutsche Aufenthaltserlaubnis. Das betrifft zum Beispiel Menschen aus Nigeria, Vietnam oder Ghana, die als Studierende oder Fachkräfte in der Ukraine gelebt haben, bis der Krieg ausbrach.

Wie viele der 39.000 Dritt staat le r:in nen betroffen sind, konnte das Bundes innenministerium nicht beantworten

Ohne Aufenthaltstitel droht Abschiebung

Das Bundesinnenministerium erklärt auf taz-Anfrage: „Die betroffenen Personen haben sämtlich einen Herkunftsstaat, in den sie zurückkehren können, sie sind nicht auf eine Rückkehr in die Ukraine verwiesen.“ Flüchtlingsorganisationen kritisieren derweil, dass viele Betroffene in ihren Heimatländern keine Perspektive hätten. Wie viele der 39.000 aus der Ukraine geflüchteten Dritt­staat­le­r:in­nen von der Regelung betroffen sind, konnte das Bundesinnenministerium nicht beantworten. Man gehe davon aus, dass „der weit überwiegende Anteil weiterhin zur schutzberechtigten Gruppe gehört“.

Die Betroffenen hatten bis zum 5. März Zeit, sich um einen anderen Aufenthaltstitel zu bemühen. Ein Asylantrag kommt für viele nicht infrage, etwa weil damit eine vorübergehende Sperre der Arbeitserlaubnis einhergehen würde. Andere Möglichkeiten sind Aufenthaltserlaubnisse etwa für ein Studium oder eine Ausbildung. Andernfalls sind die Betroffenen ab Mittwoch ausreisepflichtig. Sollten sie Deutschland nicht verlassen, droht eine Abschiebung in ihr Herkunftsland.

Viele Ukrai­ne­r:in­nen wollen bleiben

Während die Zukunft vieler Drittstaatsangehöriger unsicher ist, wollen über die Hälfte der geflüchteten Ukrai­ne­r:in­nen langfristig in Deutschland bleiben. Das ergab eine Studie, die am Montag vom Mediensdienst Integration in Berlin vorgestellt wurde. Ob Ukrai­ne­r:in­nen zurückkehren wollen, hängt demnach stark vom weiteren Verlauf des Krieges und der wirtschaftlichen Lage in der Ukraine ab.

Für die Studie wurden über 3.400 Personen befragt. In vielen Bereichen gibt es demnach Fortschritte. Der Großteil der ukrainischen Schü­le­r:in­nen werde in deutschen Regelklassen unterrichtet. Lediglich 16 Prozent besuchen noch ausschließlich Spezialklassen, in denen sie vor allem Deutsch lernen sollen.

Auch die Sprachkenntnisse der Ukrai­ne­r:in­nen haben sich deutlich verbessert: Nur noch 12 Prozent geben an, gar keine Deutschkenntnisse zu haben (gegenüber 78 Prozent zum Zeitpunkt der Einreise). 70 Prozent haben einen Integrationskurs besucht. Hürden gebe es bei der Kinderbetreuung und der Arbeitsmarktintegration: 22 Prozent der ukrainischen Geflüchteten waren 2023 erwerbstätig. Je länger sie in Deutschland sind, desto eher arbeiten sie. Allerdings gehe die Hälfte einer Arbeit nach, die unterhalb ihrer Qualifikation liege.

Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fordert, angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels in Deutschland sollten die ukrainischen Geflüchteten besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Es brauche eine langfristige Lösung, statt den Schutzanspruch immer wieder um ein Jahr zu verlängern. Das würde die Ungewissheit der Ukrai­ne­r:in­nen verringern und auch Unternehmen mehr Planungssicherheit geben. Und das könne auch die Integration verbessern.

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19 Kommentare

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  • Natürlich sind wir ein Einwanderungsland. Aber wir müssen und sollten nicht jeden nehmen, der einwandern will.

    Es gibt viele Einwanderungsländer, die ihre neuen Mitbürger vorher sehr genau prüfen, z.B. Australien, Kanada, Schweiz, usw. Das sollte auch bei uns möglich sein.

  • Es wird Zeit, das Deutschland sich als Einwanderungsland sieht. Wir sind darauf angewiesen.



    Dann werden hoffentlich auch endlich entsprechende Strukturen aufgebaut.



    Das die Anerkennung außerhalb Deutschlands erworbener Qualifikationen so lange dauert ist völlig unsinnig .

  • "dass viele Betroffene in ihren Heimatländern keine Perspektive hätten."

    Perspektivlosigkeit ist weder ein Asylgrund, noch ein Duldungsgrund.



    Wer das nicht akzeptieren will, kann dies im System der parlamentarischen Demokratie ändern, muss aber auch damit rechnen auf Widerstand zu stoßen.

    Die AfD ist eine Verkörperung dieses Widerstandes, die durch die bewußte, ständige Verletzung von geltendem Recht zum Zwecke der Migration, geschaffen wurde. Wer dieser Partei zum Wahlerfolg helfen möchte, muss das nur oft genug wiederholen, dann ist die Mehrheit gesichert.



    Danke!

    • @Octarine:

      Wäre diese Partei auch erfolgreich, wenn wir einen funktionierenden bezahlbaren Wohnungsbau (egal wie, gebt mir Lösungen, nicht immer die gleichen Probleme), ein wirklich exzellentes Gesundheitswesen, gute Integration in Arbeit, Bildung und und und hätten?

      Sie wissen, worauf ich hinauswill: Wir müssen endlich auf Bildung und ein resilientes Gemeinwesen setzen, dazu ein faireres Steuersystem.

      Und .... Schwuppdiwupp, die AfD-Leute sitzen nicht mehr im Parlament, sondern in ihren Vorgärten, Garagenhinterhöfen und Kellern (dort hört man sie dann von Zeit zu Zeit grummeln).

      Ist wirklich recht einfach. Wirklich. Ich habe vor vielen Jahren schon einmal in so einem Land gelebt (das ist meine "Westalgie", zugegeben).

      • @Stavros:

        Das sehe ich auch so. Wäre Deutschland ein Schlaraffenland, würde es die AFDeppen nicht geben.



        Ist wirklich recht einfach. Darf ich fragen, in welchem Land sie vor vielen Jahren gelebt haben?

        • @Ahnungsloser:

          Hahaha, Westdeutschland in den 80ern.

          Es war nicht perfekt, es war immer noch ein kapitalistisches Land voller Widersprüche und Konflikte.

          Es gab aber bessere soziale Absicherung. Natürlich muss alles ständig verbessert werden, aber wir brauchen erstmal Haltelinien.

  • An der Integration und den Sprachkenntnissen wurde in den letzten Jahren viel verbessert.

    Umso unverständlicher ist die Kürzung der Berufssprachkurse durch die alte Regierung, dank unseres penetranten außerparlamentarischen Schuldembremse-Neinsagers.

    Integration muss langfristig geplant werden.

    Was spricht dagegen, den Studierenden aus Afrika, die sich in der Ukraine eine Zukunft aufbauen wollten, hier eine Perspektive zu geben?

    • @Stavros:

      Es gab in der Ukraine bei Kriegsausbruch insgesmat ca 16000 Studierende aus Afrika. Nur ein kliener Teil dieser Studierenden befindet sich jetzt noch in Deutschland. Die größte Gruppe der Drittstaatler hier aus der Ukraine sind Sinti und Roma aus dem ungarischen Grenzgebiet die eigentlich noch eine ungarische Staatsbürgerschaft haben. Hier wird immer so getan als ob es ausschließlich um Medizinstudenten ginge was fernab jeder Realität ist.

      • @Šarru-kīnu:

        Das Beispiel kann ich in diesem Zusammenhang nicht gut einordnen.

        Sind ungarisch-ukrainische Doppelstaatler "Drittstaatler" (= nicht EU-Bürger)?

        Gibt es ein grundsätzliches Problem mit Sinti und Roma?

      • @Šarru-kīnu:

        Entweder sind die Leute Drittstaatler ODER ungarische Staatsangehörige. Ungarn gehört zu EU und damit haben Staatsangehörige Ungarns ein Freizügigkeitsrecht. Was meinen Sie mit „eigentlich“ ungarische Staatsangehörige?

        • @animsaj:

          Orban hat den Sinti und Roma im westukrainischen Grenzgebiet Transkarpatien die ungarische Staatsbürgerschaft angeboten und diese damit im Prinzip zu Doppelstaatlern gemacht. Viele der Betroffenen hatte vor dem Verfahren aber weder ungarische noch ukrainische Dokumente. Diese Gruppe reist jetzt als Ukrainer in Deutschland ein und ist damit ab dem ersten Tag hier bürgergeldberechtigt, obwohl eigentlich Ungarn zuständig sein sollte. Genau über diese Gruppe gab es in Polen damals die Diskussionen, weil Polen verständlicherweise sie nicht als "Ukrainer" aufnehmen wollte, sondern an Ungarn verwieß. Daraus macht die deutsche Presse dann einen Rassismusvorwurf. In Polen waren das mit Abstand die größte Gruppe der ankommenden Drittstaatler obwohl der Begriff hier vielleicht nicht ganz korrekt ist. Deutsche Statistiken gibt es keine. Wen wundert es.

          • @Šarru-kīnu:

            Anekdotisches Wissen, aber zumindest aus erster Hand: in meiner etwa einjährigen Arbeit in einer Landesaufnahmestelle sind mir etwa 15 Medizin- und Ingenieursstudis begegnet, die in der UA studiert haben aber aus Ghana und Nigeria stammten. Und eine Mutter+Kind auf die Ihre Beschreibung zutreffen könnte. Ob das stellvertretend ist oder Zufall, mag ich nicht zu beurteilen.

    • @Stavros:

      Nichts spricht dagegen. Es gibt ausreichend Möglichkeiten, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, z. B. nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder durch ein Visum zu Ausbildungs- und Studienzwecken. Allerdings erfordert das u. a., daß man seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet.

      • @Moby Dick:

        Haben Sie mal versucht, über die "ausreichenden Möglichkeiten" selbst einzuwandern?

        Bei den genannten Menschen dürfte die "Einwanderung nach Deutschland" etwas anders abgelaufen sein, die haben wohl eher zufrieden in Charkiw o.ä. Städten studiert.

        Jedenfalls: Wie immer stünde Deutschland ein gewisser unbürokratischer Pragmatismus ganz gut zu Gesicht.

        • @Stavros:

          Ja, ich bin selbst auch schon ausgewandert, und es wäre mir nie in den Sinn gekommen, mich über die Gesetze oder die Bürokratie meines Gastlandes zu beklagen. Wenn man im Ausland aufgenommen werden will, dann muß man sich den dortigen Regeln fügen, oder man läßt es eben.

          Im übrigen ist es ein Mythos, daß deutsche Bürokratie besonders ausgeprägt wäre. Natürlich gibt es vereinzelt Länder mit pragmatischerer Verwaltung, aber es gibt auch viele, in denen die Bürokratie viel schlimmer ist.

          • @Moby Dick:

            Finden Sie nicht, dass es einen Unterschied zwischen "Flucht" und "Einwanderung" gibt?

            Ich kenne einen jungen Mann aus Simbabwe, der in Charkiw Ingenieurswesen studiert hat. Jetzt macht er einen B2-Kurs und möchte eine technische Ausbildung machen. (Das wäre mein Hintergrundbeispiel.)

            Wo ist jetzt das Problem für Deutschland?

            Dass man sich an geltende Gesetze halten sollte, ist selbstverständlich.

            Ich denke nicht, dass Aufgenommene vor allem "dankbar" zu sein haben, sie sollten vor allem dazu in die Lage versetzt werden, dieses Land mit uns allen zu gestalten.

            Über die Bürokratie jammern ist relativ normal für Deutsche (auch für mich, zugegeben), bei Zugewanderten kommen Existenzängste und interkulturelle Missverständnisse hinzu.

            Nochmal: In einer demokratischen Gesellschaft bestimmen ALLE die Zukunft. Und diese ist dynamisch, vielstimmig, veränderbar.

            • @Stavros:

              Irgendwie kommt das so vorwurfsvoll rüber, warum? Der junge Mann aus Simbabwe wurde im Rahmen der Massenzustromrichtlinie weitgehend unbürokratisch in Deutschland aufgenommen, ist nun seit drei Jahren (?) hier, und konnte, wenn er bleiben möchte, ein Ausbildungsvisum beantragen. Worin besteht denn das Problem, was müsste Ihrer Meinung nach anders sein?

              • @Moby Dick:

                Wenn das funktioniert, ist alles in Ordnung.

                Ich finde, dass wir immer empathisch und unbürokratisch mit Menschen in schweren Lebenslagen umgehen sollten.

                Das macht die Qualität einer Gesellschaft aus.