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Katastrophe im MittelmeerDas Sterben geht weiter

Erneut sind Hunderte Mi­gran­t*in­nen bei der Überfahrt von Libyen im Mittelmeer ertrunken. Das Rettungsschiff „Ocean Viking“ hatte keine Chance.

Sofort machte sich die „Ocean Viking“ auf den Weg – doch das Rettungsschiff hatte keine Chance Foto: Flavio Gasperini/SOS Mediterranee/ap

Tunis taz | Es war ein Notruf wie derzeit viele andere in der Notrufzen­trale der privaten Rettungsorganisation AlarmPhone. Bei dem rund um das Mittelmeer stationierten Netzwerk rief voller Panik einer der Passagiere eines sogenannten Kodiak an. Mit den bis zu 10 Meter langen Schlauchbooten schicken die libyschen Menschenhändler Mi­gran­t*in­nen auf das Mittelmeer.

Wie die meisten der nur mit Luftkammern versehenen Boote war auch das am Mittwochmorgen in Seenot geratene Boot mit 130 Menschen beladen worden, berichtete der Hilferufende der AlarmPhone-Zentrale.

Sofort machte sich das rund 10 Stunden entfernte private Rettungsschiff „Ocean Viking“ auf den Weg zu der mutmaßlichen Unglücksstelle. Es war das dritte in Seenot geratene Boot binnen 48 Stunden, auf das AlarmPhone die in internationalen Gewässern fahrenden Schiffe aufmerksam machte. Wegen der 6 Meter hohen Wellen und der fehlenden Koordinierung der Rettungsleitstellen in Libyen, Malta oder Italien hatte die „Ocean Viking“ keine Chance.

Die Besatzung eines von drei Handelsschiffen, die sich der Suche der „Ocean Viking“ anschlossen, entdeckte drei Tote in der Nähe der vermuteten Koordinaten. Ein Flugzeug der Frontex-Mission überflog schließlich am Donnerstag mehr als 70 Kilometer von der libyschen Hauptstadt entfernt ein gekentertes Boot.

Allein vor Tripolis mindestens 350 Tote in diesem Jahr

Auch am Freitag kreuzte die „Ocean Viking“ in dem Seegebiet auf der Suche nach den anderen beiden vermissten Booten, darunter ein Fischerboot mit geschätzten 40 Menschen an Bord. Auf Überlebende stießen sie bisher nicht.

Erst am Tag zuvor hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) den Tod eines Kleinkinds und einer Frau gemeldet, die bei einer Rettungsaktion der libyschen Küstenwachenpatrouille starben. Laut der Hilfsorganisation SOS MEDITERRANEE kamen allein im Seegebiet vor Tripolis in diesem Jahr 350 Mi­gran­t*in­nen ums Leben. Die Katastrophe vom Mittwoch zeigt, was libysche Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen schon lange vermuten. Viele Schlauchboote gehen vor der libyschen Küste unentdeckt unter.

Die Menschenhändler bereiten zwar mindestens einen Freiwilligen an Bord auf die Navigation und die Bedienung des Außenborders vor. Doch nach Ankunft in den staatlichen oder privaten Gefängnissen müssen die Mi­gran­t*in­nen ihre Telefone abgeben. Selbst wenn ein aufgeladenes Telefon an Bord ist, haben die Besatzungen schon innerhalb der libyschen Rettungszone oft keinen Mobilfunknetzempfang mehr.

Augenzeugen des unsichtbaren Massakers auf dem Mittelmeer sind Fischer aus dem tunesischen Zarzis. Seit Beginn der Migrationsroute 1999 treibt die Meeresströmung Bootswracks und Leichen in ihre Netze. „In einigen Frühjahren mussten wir vor lauter Leichenfunden mit dem Fischen aufhören oder weiter rausfahren“, sagte der Chef der Fischerkooperation der taz im letzten Dezember.

Anders als für die meisten Li­bye­r*in­nen hat das Ende des Krieges um Tripolis für viele Mi­gran­t*innen keine Verbesserung ihrer Situation gebracht. Nachdem mehrere Gefängnisse im letzten Jahr von Granaten oder Raketen getroffen worden waren, schloss der ehemalige Innenminister Fathi Bashaga nach internationalem Druck vorübergehend die Migrant*innengefängnisse.

Mitte März zählte IOM aber erneut über 5.000 einsitzende Mi­gran­t*innen, auch die gerade auf dem Mittelmeer Geretteten wurden wegen „illegaler Migration“ wie Verbrecher eingesperrt. Wer von Verwandten aus der Heimat Geld an die Bewacher zahlt oder Zwangsarbeit leistet, kann gehen. Für viele führt der Weg allerdings direkt in die seeuntauglichen Boote der mit den Milizen verbündeten Schmuggler.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Es reicht nicht, die Wege sicherer zu machen. Wenn die Menschen hier sind, benötigen sie Wohnungen und eine Grundlage für eine dauerhafte Versorgung, beispielsweise in Form einer Anschubfinanzierung für ein eigenes Geschäft. Gerade in Branchen, an denen die einheimische Bevölkerung wenig Interesse hat, besteht daran Bedarf.

  • Und eine Lösung ist nicht in Sicht. Weil offensichtlich niemand daran interessiert ist, eine realistische, umsetzbare und mehrheitsfähige Lösung auszuarbeiten.

    Zwischen "Totale Abschottung!" und "ALLE die wollen müssen auf sicheren Fluchtwegen nach Europa gelangen" gibt es einen großen Bereich.

    Da müssen beteiligte Institutionen/Organisationen über ihren Schatten springen und in der EU mehrheitsfähige Kompromisse ausarbeiten, die zur Folge haben, dass alle Menschen, die auf dem Mittelmeer unterwegs sind, gerettet werden.

  • Die EU arbeitet an einem Gesetz, das die Zuwanderung spürbar erleichtert und die Bedingungen für die Überfahrt verbessert. Man sollte denen, die jetzt kommen wollen sagen, dass sie noch bis zum Herbst warten sollen. Dann können sie viel sicherer hierher kommen.

    • @Wolfdieter Hötzendorfer:

      So ein ernstes Thema eignet sich nicht für Sarkasmus.

    • @Wolfdieter Hötzendorfer:

      Was für ein Gesetzesvorhaben soll das sein, dass die Überfahrt erleichtern wird?

      • @gyakusou:

        "Ein neues Migrations- und Asylpaket", dort:



        "6.6 Einrichtung legaler Zugangswege nach Europa" und "Die Neuansiedlung . . . . 29 500 Neuansiedlungsplätzen" und "8. FÖRDERUNG DER INTEGRATION FÜR EINE INKLUSIVERE



        GESELLSCHAFT" sowie "Aktionsplan zur Integration und Inklusion 2021-2024" Quelle: EUROPÄISCHE KOMMISSION

  • Ein grauenhaft-erschütternder Bericht!



    Wohlstands EU verteidigt sich brutalst und inhuman gegen politische/Armut und Klimaflüchtlinge... und das nun seit mehreren Jahren!Mit FRONTEX als legalisierte Büttel...



    Gegen alle U.N.O. Richtlinien... gegen das Gebot Menschlicher Nächstenliebe!



    Und die NGO und kirchlichen Rettungsschiffe,die da mit humanem



    Espris und freiwillig ihr eigenes Leben riskieren um Menschen aus Seenot zu retten, sind überlastet!



    Die im Text von M.Keilberth beschriebene Katastrophe wurde geshen und beobachtet. Die Anzahl der Ertrunkenen der ungesehenen Katastrophen dürfte weit höher liegen



    bei Beachtung der Aussagen der tunesischen Fischer! Libyen ist eindeutig



    kein sicheres Land...



    Was tun? Auf weiteres politisches Erstarken der "SEEBRÜCKE" und der "SICHEREN HÄFEN" hoffen,um die inhumane EU Asylpolitik im Sinne der U.N.O. Menschenrechte zu Mit - Menschlichkeit rekultivieren?



    Ich wünsche den Besatzungen der NGO Schiffe, insbesondere der crew der "SEA VIKING" emotionale Stärke, auf das Sie ihre Rettungsmissionen fortsetzen können!



    Und die 'Operettenkapitäne' der FRONTEX mission mögen durch ihre Schande geläutert werden...

    • @vergessene Liebe:

      Wohlstands-EU für rund 1% der Bevölkerung.

  • Ich bin auch eher konservativ, aber das darf natürlich nie passieren .. sehr tragisch. Ob man sie jetzt bei uns oder wieder in Afrika absetzt (meine Meinung) kann man streiten. Aber retten muss man sie.

  • Entschuldigung vorab für die Belanglosigkeit meines Beitrags, der sich nicht auf diesen ernsten und ernst zu nehmenden Artikel bezieht, sondern nur auf dessen Schreibstil. Für geplagte Leserinnen gibt es das Firefox AddOn 'Binnen-I be gone', dessen einziges Manko der fehlende Umschalter vom generischen Maskulinum zum Femininum ist. Kann sie damit leben, liest sich die TAZ damit bedeutend unholpriger.



    addons.mozilla.org.../binnen-i-be-gone/



    PS.: Ich könnte mit 3000 Jahren generischem Femininum besser leben, als mit diesen Hilfskonstrukten. Das Maskulinum hatten wir ja lange genug.

    • @Mr. Pinkerton:

      Na, dann ist ja zu Lybien, dem täglichen Ersaufen und der Untätigkeit Europas der Wichtigste Beitrag gemacht. Von hier aus kann es für die Menschen nur aufwärts gehen und vielleicht schafft es mit dem Plugin auch mal ein Boot übers Mittelmeer. Danke, Mr. Pinkerton. Sie sind ein guter Mensch.