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Kapitänin über „Sea Watch“-Situation„Wir werden trotz Verbot anlegen“

Die Seenotrettungs-NGO „Sea Watch“ ist mit ihrem Eilantrag gescheitert. Laut Kapitänin Carola Rackete ist die Lage auf dem Schiff so kritisch, dass sie Italien trotzdem ansteuert.

Die „Sea-Watch 3“ im Januar 2019 Foto: Chris Grodotzki/Sea-Watch.org/dpa
Interview von Sophie Schmalz

taz: Frau Rackete, Sie sind Kapitänin der „Sea-Watch 3“, das vor 15 Tagen 53 Menschen im Mittelmeer rettete. Italien verbietet Ihnen einen Hafen anzusteuern. Am Dienstagabend mussten Sie erneut eine juristische Niederlage hinnehmen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies Ihren Eilantrag, in Italien anlegen zu dürfen, zurück. Wie geht es jetzt weiter?

Carola Rackete: Wir werden trotz Verbot anlegen – unabhängig davon welche Strafen drohen. Ich kann die Sicherheit der Menschen nicht mehr gewährleisten. Die Geretteten sind psychologisch extrem angegriffen. Ich mache mir Sorgen, dass sich einige selbst verletzten könnten. Das Urteil war ein herber Rückschlag für die Geretteten, die gemeinsam mit uns geklagt hatten. Der Menschenrechtsgerichtshof war für sie ein Hoffnungsanker. Aber niemand will Verantwortung übernehmen, auch nicht der Gerichtshof, der sich für „nicht zuständig“ erklärt. Die Verantwortung für das Leben und die Sicherheit der Geretteten bleibt also bei mir.

Welche Strafen drohen Ihnen?

Italien droht unserer Crew mit Geldstrafen von bis zu 150.000 Euro sowie gegen die gesamte Organisation Sea-Watch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung juristisch vorzugehen. Das ist fatal: Unser Schiff könnte nicht nur für einige Wochen, wie bisher schon geschehen, sondern länger festgesetzt werden. Rettungen wären nicht mehr möglich. Daher versuchten wir zunächst juristisch zu kämpfen anstatt anzulegen.

Wie ist die Situation an Bord?

Die Lage ist extrem angespannt und spitzt sich immer weiter zu. Unser Schiff ist nicht dafür ausgelegt, mit 53 Menschen für zwei Wochen auf dem Meer zu sein. Unser medizinisches Team kann die Menschen zwar erstversorgen, weitere Behandlungen sind aber kaum möglich. Bereits elf der 53 Geretteten mussten aus medizinischen Gründen von italienischen Behörden evakuiert werden. Viele der Menschen wurden wegen der hohen Wellen seekrank. Wir sind hier bei starker Hitze auf engstem Raum. Privatsphäre ist praktisch nicht vorhanden …

Im Interview: Carola Rackete

31, kommt aus Kiel und ist derzeit als Kapitänin der Sea-Watch 3 auf dem Mittelmeer im Einsatz.

Wie geht es den Geretteten psychisch?

Viele bringen traumatische Erfahrungen mit: Die Geschichten reichen von Versklavung, über sexuelle Gewalt, Entführung und Zwangsarbeit. Es besteht die Gefahr von Retraumatisierungen. Vermutlich brauchen alle Geretteten eine psychologische Betreuung, weil sie Menschenrechtsverletzungen erleben mussten. Auch für die drei unbegleiteten Minderjährigen ist die Situation unzumutbar. Das ist ein Skandal, denn im Seerecht ist klar geregelt, dass Schiffbrüchige so schnell wie möglich an Land gebracht werden müssen.

Rund 60 deutsche Städte erklärten sich jüngst bereit mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als sie müssen. Der Bürgermeister von Rottenburg am Neckar bietet sogar einen Bus an, um die Geretteten der „Sea-Watch 3“ abzuholen. Woran scheitert die Initiative?

Nicht nur in deutschen, auch in italienischen Städten besteht der Wille zur Aufnahme. Das scheitert am italienischen Innenminister Matteo Salvini und dessen unsäglicher Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung. Aber auch unser holländischer Flaggenstaat könnte auf EU-Ebene aktiv werden. Jede offizielle Behörde in der EU schiebt die Verantwortung auf einen anderen Staat oder politische Ebene – so passiert unterm Strich nichts. Es ist ein undurchsichtiger Teufelskreis.

Wie ist die Lage an Bord für die Crew der „Sea-Watch 3“?

Die vielen Geschichten der Geretteten erschüttern uns immer wieder. Wir sind alle sehr gefordert, persönlich am Limit und schlafen wenig. Aber als Crew arbeiten wir gut zusammen, das ist wichtig – denn die ausweglose Situation rund um das Sterben im Mittelmeer kostet viel Kraft.

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11 Kommentare

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  • Tja nun.. die "SEAWATCH " steuert in eine evtl `harte Kofrontation´mit der italienischen Gesetzgebung, die sehr von Herrn Salvini beeinflusst ist..



    Und das EGMR ist dem EU politischen Mainstream hörig und interpretiert die humanen Elemente der EU Gesetzgebung sehr inhuman..



    Zum Anderen ist die Entscheidung der Frau Kapitän , in Lampedusa Hafen trotz Verbot einzulaufen , human gerechtfertigt weil die Stress Situation in der Enge an Bord unüberschaubar wird und die "SEAWATCH 3" selber zu einem Seenotfall werden kann..



    Wie gehts weiter ? Die Gefahr , das "SEAWATCH 3" festgesetzt wird , die Crew in den Knast ? Die geretteten Flüchtlinge an Bord evtl in eine art Refugeecamp? Oder nur neue Vorräte ans Schiff , deren Odysee weitergeht?



    Die "SEEBRÜCKE" ist sehr herausgefordert!

  • Aus humanitärer Sicht ist die derzeitige Verfahrensweise abartig falsch. Es müßten sichere Fährverbindungen geschaffen werden, so daß niemand mehr in lebensgefährliche Boote steigen müßte.



    Aus EU-innenpolitischer Sicht wäre das aber verheerend und würde den braunen Populisten endgültig Tür und Tor zur Macht verhelfen.



    Derzeit schützt uns die Salvini-Regierung vor der Afd. So grausam das ist.

    • 9G
      90857 (Profil gelöscht)
      @Katzenberger:

      "Derzeit schützt uns die Salvini-Regierung vor der Afd. So grausam das ist."

      Ja, genauso ist es. Und dieser Salvini hat in Italien -wo ich oft bin, gerade auch wieder- in dieser Frage einen großen Rückhalt in der Bevölkerung.

      60 Städte in Deutschland sind bereit, mehr Flüchtlinge als nach Verteilerschlüssel nötig aufzunehmen; kann man oben im Text lesen.

      Dann frage ich mich schon, warum es bei den genannten Zuständen auf dem Schiff noch keine Zusage dieser, unserer Bundesregierung gibt, die Geretteten nach ihrer Anlandung auf Lampedusa sofort nach Deutschland auszufliegen.

      Nicht wenig bigott, die exekutiv Verantwortlichen hierzulande gnädig außen vor zu lassen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Die Richter*innen des EGMR werden vom Europarat gewählt und der ist von genau der extremistischen Mitte dominiert, die die derzeitige Situation politisch zu verantworten hat. Was kann man da erwarten?



    Die Staaten müssen dafür eine Liste mit drei Kandidat*innen aufstellen, die der Europarat auch zurückweisen kann. Dann wird davon eine Kandidat*in gewählt. Die Regierungen werden bemüht sein, jeweils Richt*innen aufzustellen, die mit ihrer Politik weitgehend übereinstimmen. Es ist konkreten nationalen Gesetzen und Gepflogenheiten überlassen, inwieweit sie dies auch in die Tat umsetzen können.

    Die Unabhängigkeit der Richterschaft lässt dabei in vielen europäischen Staaten sehr zu wünschen übrig. Es wird zwar im Diskurs von einer hohen demokratischen Legitimation der derzeit 47 RichterInnen ausgegangen, aber ein Prozess wie der oben erörterte kann auch im Gegensatz zum Grundsatz der Unabhängigkeit der Richterschaft stehen. Demokratie und Rechtsstaat gehen keineswegs immer miteinander einher, wie es im gesellschaftlichen Diskurs zuallermeist pauschal unterstellt wird. Oftmals geraten sie auch in einen Konflikt miteinander. Diesen Konflikt zu unterschlagen, ist im politischen Interesse der selbsternannten "Mitte", die sich als demokratisch legitimierte Verteidigung "des" Rechtsstaates profiliert.

    So hat in der BRD das BVerfG nur zwei Möglichkeiten, seine eigenen Entscheidungen in einem Revisionsverfahren zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit, worauf z.B. Ex-Bundesrichter Fischer hingewiesen. In der Frage der Legalisierung von Marijuana gibt es in der Bundesrepublik keinen Rechtsweg mehr. Ich persönlich glaube deswegen auch nicht, dass die BRD (noch) ein Rechtsstaat ist.

    Durch die Bank wird in den bürgerlichen Parteien und fast der gesamten Presse dieses Thema ignoriert. Die Weigerung der extremistischen Mitte, die Rechtsstaatlichkeit in diesem Punkt herzustellen, spiegelt sich in ihrer Migrationspolitik wieder.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Aha, "extremistischen Mitte" ist schon ein interessanter Begriff.

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Merksatz: Rechtsstaat ist es dann, wenn die Entscheidungen mir gefallen.

      • 9G
        94795 (Profil gelöscht)
        @83492 (Profil gelöscht):

        Genau das dachte ich mir auch.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Danke für diese ausführliche Erklärung.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      "Die Regierungen werden bemüht sein, jeweils Richt*innen aufzustellen, die mit ihrer Politik weitgehend übereinstimmen. "

      Wie soll es sonst gehen - Richter, die von ngos oder den Kirchen ausgewählt werden? Auswahl nach Abiturnoten? Losverfahren?

      "Die Weigerung der extremistischen Mitte, die Rechtsstaatlichkeit in diesem Punkt herzustellen, spiegelt sich in ihrer Migrationspolitik wieder."

      Demokratie ist nun mal irgendwann Ausrichtung der Entscheidungen auf die Interessen der Mehrheit der wahlberechtigten Bürger. Auch in der Migrationspolitik.

      • @A. Müllermilch:

        "Demokratie ist nun mal irgendwann Ausrichtung der Entscheidungen auf die Interessen der Mehrheit der wahlberechtigten Bürger. Auch in der Migrationspolitik."

        ...unter Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, wie den Menschenrechtskonventionen, dem internationalen Seerecht etc.

        Muss Ihnen irgendwie durchgerutscht sein, diese Voraussetzung

        • @Gefahrengebietler:

          "...unter Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, wie den Menschenrechtskonventionen, dem internationalen Seerecht etc."

          Menschenrecht auf ein erfülltes Leben in Frieden und Wohlstand für alle - so ist die Theorie.

          Italien ist sicher sehr reich und braucht viele Fachkräfte. Es spricht also nichts dagegen, die Menschenrechte von ca. einer Millionen in Libyen wartenden afrikanischen Auswanderern in Italien zu verwirklichen.

          Problematisch wirds dann aber vielleicht bei der nachrückenden zweiten Millionen.

          Aber es gelten Menschenrechte und Seerecht. Die Italiener werden auch die zweite und dritte Mio. schaffen. Ein starker Glaube wird es den Italienern leichter machen zu helfen.

          Glaube an Europa, Menschenrechte, Gott, Merkel - irgendwas wird schon da sein, an das die Italiener glauben können. Vermutlich kommt der Glaube daran, dass afrikanische Staaten ihre Probleme selbst lösen können, ziemlich weit hinten.