Kandidaturen für Grünen-Vorstand: Das 1000-Teile-Puzzle
Nach langen Gesprächen steht das Tableau für den Grünen-Vorstand. Der linke Flügel bekommt die Geschäftsführung, aber nicht seinen Wunschkandidaten.
Die bisherige Partei-Vize Pegah Edalatian soll Politische Geschäftsführerin werden und damit in etwa die Funktion bekommen, die in anderen Parteien die Generalsekretär*innen haben. Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold wird an ihrer Stelle neuer stellvertretender Vorsitzender. Der zweite Vize, Heiko Knopf, bleibt im Amt, und die scheidende Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann erhält den Posten der Schatzmeisterin.
Es ist ein Gesamttableau, das so vorab kaum jemand vor Augen hatte – und das mit kreativen Kompensationsgeschäften verbunden ist. Nötig wurde es, weil bei den Grünen komplizierte Quotenregeln herrschen: Laut Satzung dürfen höchstens drei Männer und zwei Mandatsträger*innen dabei sein. Nach Möglichkeit sollten auch die Flügel gleichmäßig vertreten und der Osten repräsentiert sein. Erschwerend kam hinzu, dass sich in der Personalfrage Realos und Parteilinke über Wochen verhakt hatten.
Ausgangspunkt des Konflikts war eine Konferenz des linken Parteiflügels Ende September, auf dem Sven Giegold seine Bereitschaft erklärt hatte, als Geschäftsführer zu kandidieren. Der ehemalige Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament ist profiliert. Viele Parteilinke hätten ihn gerne in dem Amt gesehen. Und ihnen, so war es zwischen den Flügeln vereinbart, stand das Amt zu.
Komplizierte Personalie
Unter Realos sorgte Giegolds Auftritt aber für Verstimmungen. Sie hatten erwartet, dass die linken Grünen eine Frau als Kandidatin präsentieren. Ansonsten hätte der neue Vorstand die Frauenquote verfehlt. Für einen der eigentlich gesetzten Realo-Vertreter – den bisherigen Vize-Vorsitzenden Heiko Knopf oder den bisherigen Schatzmeister Frederic Carpenter – wäre kein Platz mehr gewesen.
Es hat Giegold sicher auch nicht geholfen, dass er zwar als Staatssekretär im Ministerium von Vizekanzler Robert Habeck arbeitet, ihm aber trotzdem nicht treu ergeben ist. Er hat einen sehr eigenen Kopf und hatte seine potenzielle Kandidatur mit kaum jemandem abgesprochen. Aus Realo-Sicht könnte man sagen: Er ist schwer berechenbar.
Unter Realos gab es von da an die Erwartung, die Linken sollten alternativ eine Frau für die Geschäftsführung suchen – unter Linken die gegenläufige Erwartung, die Realos sollten eine Frau für einen ihrer Posten präsentieren. Je länger dieser Konflikt ungelöst blieb, desto stärker wurde der Eindruck einer Machtprobe zwischen den Realos Habeck und Brantner auf der einen Seite und dem Parteilinken Banaszak auf der anderen. Betrachtet man die Personalentscheidung durch diese Brille, ist Banaszak der Verlierer.
Es gibt zwar auch Argumente für Pegah Edalatian, die nun statt Giegold Geschäftsführerin wird. Sie sitzt seit zweieinhalb Jahren im Vorstand, hat einen ambitionierten Diversitätsprozess aufgesetzt, kennt die Parteistrukturen und die Abläufe in der Parteizentrale. Trotz des Umbruchs an der Parteispitze könnte sie also für Kontinuität sorgen. Kaum vermittelbar wäre es zudem gewesen, wenn nach dem Rückzug des scheidenden Parteichefs Omid Nouripour nur noch Weiße für den Vorstand kandidieren. Edalatians Familie stammt wie Nouripour aus dem Iran.
Mehr Standing bei Giegold
Allein schon biografisch hat die 43-Jährige aber weniger Standing als Giegold, der nun zwar auch in den Bundesvorstand soll, aber als Vize-Vorsitzender formal im Hintergrund steht. Er war Mitbegründer von Attac, später zwölf Jahre lang einflussreicher Europaabgeordneter und ist jetzt eben Teil der Regierung. Sie war vor ihrer Zeit im Bundesvorstand nur Mitarbeiterin der Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Vergangenes Jahr verpasste sie einen Listenplatz für die Europawahl. Öffentlich trat sie bislang wenig in Erscheinung. Alles in allem kann der linke Flügel wohl auch mit ihr leben, für Enthusiasmus sorgt sie anders als Giegold aber nicht.
Dazu kommt: Die Realos haben zwar im ersten Schritt einen Abstrich gemacht. Damit Giegold zumindest als Stellvertreter in den Vorstand passt, ziehen sie einen ihrer Männer zurück – den Schatzmeister Carpenter. Für die Neubesetzung dieses Postens haben sie sich mit der scheidenden Bundestagsabgeordneten Manuela Rottmann aber für eine ungewöhnlich starke Persönlichkeit entschieden. Rottmann, die 2023 erfolglos als Oberbürgermeisterin in Frankfurt am Main kandidierte, ist ambitioniert. Sie mischt in Strategiedebatten gerne mit und wird sich auch als Schatzmeisterin kaum darauf beschränken, Mitgliedsbeiträge in Excel-Tabellen einzutragen.
Wohlwollend könnte man sagen: Da kommen starke Leute in den Vorstand. Weniger wohlwollend könnte man aber auch sagen: Da droht ein Pulverfass. So wie Giegold auf der einen Seite, wird Rottmann auf der anderen als polarisierend wahrgenommen – zuletzt etwa wegen Anträgen für eine restriktivere Flüchtlingspolitik, die sie für den Landesparteitag in Bayern vor zwei Wochen und für den Bundesparteitag im November eingereicht hat. Dazu kommt, dass an der Spitze auch Brantner und Banaszak erst noch zeigen müssen, wie stark sie ihre Ämter als Teamplayer interpretieren werden.
Zumal der neue Bundesvorstand nicht nur in sich zusammenfinden muss, sondern mit Blick auf das kommende Wahljahr auch noch mit weiteren Akteuren zu tun haben wird. Zuvorderst ist das der designierte Spitzenkandidat Robert Habeck als starker Mann der Grünen. Daneben wird es aber auch noch zwei Wahlkampfmanager auf extra geschaffenen Stellen geben.
Für jeden einen Posten
Zurück geht das auf Überlegungen aus dem Sommer, noch vor dem Rücktritt des bisherigen Vorstands. An der bisherigen Geschäftsführerin Emily Büning gab es von Realos schon damals Kritik. Sie setzten den Plan durch, dass nicht die Geschäftsführerin den Wahlkampf leiten sollten, sondern Franziska Brantner, die dafür temporär in die Parteizentrale gewechselt wäre.
Als im September Büning zusammen mit den bisherigen ParteichefInnen ihren Rückzug ankündigte und kurz darauf Brantner ihre Kandidatur für den Vorsitz erklärte, hätten die Grünen diese Überlegungen eigentlich beerdigen können. Den Wahlkampf hätten sie wieder bei der Geschäftsführung angliedern können.
Aber dann war da noch Andreas Audretsch. Der Vizechef der Bundestagsfraktion war kurzzeitig auch als Kandidat des linken Flügels für den Parteivorsitz im Gespräch gewesen. Nachdem die Wahl auf Banaszak gefallen war, erhielt er ersatzweise den Posten des Wahlkampfmanagers. Und damit auch wirklich alle mit Funktionen versorgt sind, bekommt er jetzt auch noch einen Stellvertreter: Der Realo Frederic Carpenter, der als Schatzmeister Platz macht, wird ersatzweise Vizewahlkampfleiter.
Was eine neue Frage aufwirft: Was bleibt für die potenzielle neue Geschäftsführerin Pegah Edalatian noch zu tun? Für den Parteitag gibt es einen Antrag, der flügelübergreifend unterstützt wird: Ihr Amt soll umbenannt werden. Wie in anderen Parteien auch, soll es künftig bei den Grünen eine Generalsekretärin geben. Vom Titel her wäre das eine Aufwertung. Was die Aufgaben angeht, geht das Wichtigste im Wahljahr aber an andere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe