piwik no script img

Kampf um BachmutEin Kessel voll Ruinen

Nach zehn Monaten Kampf meldet Russland die Einnahme von Bachmut. Ukrainische Beobachter dementieren. Die russischen Truppen säßen in der Falle.

Was von Bachmut übrig ist: 8. Mai 2022 gegenüber 15. Mai 2023 Foto: picture alliance/dpa/Satellite image ©2023 Maxar Technologies | Satellite image

„Wladimir Putin beglückwünscht die Wagner-Sturmtruppen und alle Soldaten der russischen Streitkräfte, die diesen bei der Operation zur Befreiung von Artemowsk die notwendige Unterstützung und Flankendeckung gewährt haben“, meldet der Pressedienst des Kreml triumphal.

Bachmut, das in Russland noch immer Artemowsk heißt, sei eingenommen, berichteten auch das russische Verteidigungsministerium, der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sowie Denis Puschilin, Chef der von Moskau annektierten „Volksrepublik“ Donezk.

Und kurz schien es am Sonntagvormittag, als würde die Ukraine die Einnahme von Bachmut durch Russland bestätigen. So hatten westliche Medien berichtet, der im japanischen Hiroshima weilende Präsident Wolodimir Selenski habe den Verlust von Bachmut eingestanden.

Nein, hieß es wenig später von Selenskis Pressesprecher Serhiy Nikiforow, das sei ein Missverständnis gewesen. Auch das ukrainische Verteidigungsministerium dementiert eine Einnahme von Bachmut. Die Kämpfe in der Stadt gingen weiter, so Serhiy Cherevatyy, ein Sprecher der östlichen Einheiten der ukrainischen Streitkräfte, gegenüber Reuters.

Wer hat nun wen eingekesselt?

Folgt man der Darstellung des ukrainischen Verteidigungsministeriums, drohen die in Bachmut kämpfenden russischen Einheiten in einen ukrai­ni­schen Kessel zu geraten. Das Portal nv.ua zitiert dazu die stellvertretende Verteidigungsministerin Ganna Maljar: „Unsere Truppen haben die Stadt halb umzingelt. Das versetzt uns in die Lage, die Besatzer zu vernichten. Daher muss sich der Feind in dem Teil der Stadt, den er kontrolliert, verteidigen“, heißt es in einer Erklärung.

Die Stadt selbst, so der Sprecher Serhiy Cherevatyy, sei durch die russischen Angriffe praktisch vollständig zerstört worden. Und so könne Russland, so Cherevatyy gegenüber dem staatlichen Portal Suspilnyy, weder militärisch noch politisch einen Nutzen ziehen.

Noch drastischer schätzt der ukrainische Telegram-Kanal „Charkow 1654“ die Lage ein. Die ukrainischen Truppen hätten praktisch alle wichtigen Höhen eingenommen, die Russen befänden sich am geografisch tiefsten Punkt. Und damit werde jede ihrer Bewegungen selbstmörderisch. Die ukrainischen Streitkräfte würden also zwangsläufig in Bachmut die Oberhand gewinnen, so die Einschätzung des Telegram-Kanals.

Zu einer ganz anderen Einschätzung kommt die Journalistin Ekaterina Wolkowa in der russischen gazeta.ru. Ukrainische Einheiten, die nicht mehr rechtzeitig aus dem Westen der Stadt hätten fliehen können, so Wolkowa unter Berufung auf russische Militärblogger, würden sich in den Ruinen zerstörter Häuser verstecken. Sie seien von einer Einkesselung bedroht.

Dem Erdboden gleichgemacht

Seit zehn Monaten wird um Bachmut gekämpft. Seit Ende Februar, als die Lage für die Verteidiger der Stadt immer schwieriger wurde, war laut BBC von einem möglichen Rückzug der ukrainischen Streitkräfte die Rede. Die Russen seien immer mehr über den Norden der Stadt vorgerückt, hätten fast alle Versorgungswege abgeschnitten.

Im März hatte die russische Armee die ukrainischen Streitkräfte von Süden her unter Druck gesetzt, im April waren sie im Stadtzentrum angelangt. Durch die russischen Bomben- und Artillerieangriffe sei die Stadt weitgehend dem Erdboden gleichgemacht worden, so BBC.

Die russischen Geländegewinne in Bachmut gehen auf das Konto der russischen Söldnertruppe Wagner. Und die wollen sich am 25. Mai zurückziehen, so zitiert das russische ­Portal rbc.ru dessen Chef ­Jewgeni Prigoschin, und die Stadt, oder das, was von ihr übriggeblieben ist, dem russischen Militär übergeben. Im russischen Verteidigungsministerium, so rbc.ru, habe man auf diese Ankündigung noch nicht reagiert.

Prigoschin und seine Kämpfer haben sich mit der Schlacht um Bachmut einen Namen gemacht. Und das ist für die Machthabenden in Russland, analysiert der ukrainische Telegram-Kanal „Politika Strany“, eine Herausforderung. Viele Russen sähen in Prigoschin „mehr Putin als bei Putin selbst“. Und deswegen, so „Politika Strany“, strebe Prigoschin auf Dauer mehr an als die Kontrolle über das Verteidigungsministerium.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Die Verfilmung von "Im Westen nicht Neues" ist hierzulande auf allgemeine Begeisterung gestoßen.

    Nun sehen wir auch in Bachmut und Cherson die Bilder völliger Zerstörung.



    Die Bilder gleichen sich und könnten auch damals in Verdun gemacht worden sein.

    Wie kann es sein, das man gleichzeitig dem pazifistischen Manifest von Erich Maria Remarque huldigt und sich trotzdem für eine Verlängerung eines sog. "Abnutzungskrieges" (was für ein perfides Wort angesichts Hunderttausender Toter) einsetzt?

    Was ist eigentlich das Ziel?

    Wie viele Menschen müssen sterben, bevor wieder verhandelt wird?



    Wie viele Städte werden noch irreparabel in Schutt und Asche gelegt, bis sich mal jemand fragt, wie sinnvoll es wohl ist, etwas militärisch um den Preis seiner völligen Zerstörung zu verteidigen?

    Helmut Schmidt, selbst ein kalter Krieger, hat die militärische Verteidigung Deutschlands damals aus genau diesen Gründen für sinnlos erklärt.

    Aber vermutlich war er auch schon so ein "Putin-Versteher"

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Die deutsche Sprache bietet die nette Möglichkeit so etwas wie "müssen noch zerstört werden" im Passiv zu schreiben, um sich um genau diese Frage zu drücken.



      Immer, wenn jemand diese Konstruktion verwendet, sollten wir genau hinsehen.

      Städte zerstören ist eine aktive Tätigkeit, die auch ein Subjekt hat, nämlich der dessen Namen nicht genannt zu werden braucht.

      In diesem Sinne, lieber CHRONIST, bitte etwas mehr Klarheit. Im Übrigen setzt sich praktisch niemand "für die Verlängerung" dieses Krieges ein, außer demjenigen, der ihn angezettelt hat.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Ich liebe die Bücher von Remarque und Sie tun das auch. Mit Sicherheit tun das einige aber nicht alle. Und auch nicht die Mehrheit.

      Nach dem der Weltenbrand von 1914-1918 tobte, war die Bevölkerung kriegsmüde. Heute ist sie das nicht.



      Damals war der Krieg zudem vorbei, als das Buch und die Verfilmung erschien.

      Verhandelt wird ja auch, nur Ergebnislos. Zumindest bisher.

      Ebenfalls beschreibt Remarque doch in seinen Werken auch anderes. In Arc de Triumphe, welches 1938 spielt, beschreibt er Europa als eine Herde Walrösser, welche lethargisch am Strand liegt. Sie tun nichts während ein MenschenSchlächter den Strand entlang geht und Walross für Walross tötet. Sie könnten etwas tun, sich gemeinsam des Schlächters entledigen. Sich auf Ihn stürzen. Der Schlächter ist natürlich HilterDeutschland.

      Jetzt haben wir mittlerweile eine andere technologische Stufe der Zivilisation. 13'000 Atombomben. Eine Eskalation dahingehend zu vermeiden, ist allerhöchste Priorität und das wissen zumindest die verantwortlichen hier. Und auch in den USA haben wir einen Präsidenten, der daran kein Interesse hat.

      Vielleicht fehlt hier Teilen der Bevölkerung eine gewisse Abgeklärtheit. Die Konsequenzen eines Atomkrieges nach einer Eskalation sich vor Augen zu führen, ist auch neu für Jugend und junge Erwachsene. Das dauert.

      Und hier liegt ein Problem. Konventionell ist dieser Krieg nicht zu gewinnen, es droht ja der rote Knopf. Allerdings glücklicherweise für beide Seiten, sonst wäre er ja schon gedrückt worden.

      Welches Angebot der Ukraine mit Rückendeckung des Westens/ der Nato Länder würde denn den Aggressor zum Frieden bringen? Welches Angebot der Ukraine würde Erfolg versprechen ohne solch eine Unterstützung?

      Es wird verhandelt. Aber die Schlucht ist weit und tief. Nicht einfach. Beide Seiten müssten Positionen opfern. Und der Einschätzung, dass die Ukraine signifikaten territoriale Opfer anbieten müsste stimme ich zu.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      "Was ist eigentlich das Ziel?"



      Diese Frage müssen Sie an den richten, der diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen hat, Wladimir Putin.



      Die strategische Ziele der Ukraine in Bezug auf Bachmut sind einfach zu benennen (und sie wurden allesamt erreicht): Den Angreifer aufhalten , möglichst viel seines Angriffspotentials zu binden und zu zerstören, und Zeit für die Vorbereitung der Gegenoffensive zu gewinnen.



      Wenn die Ukrainer das nicht an dieser Stelle getan, sondern sich zurückgezogen hätten, hätte es eben dieselbe Situation, inklusive totaler Zerstörung, weiter westlich in Tschasiv Jar, oder Slovjansk gegeben.



      Und der Ort Bachmut ist dafür vom ukrainischen Generalstab nicht zufällig gewählt. Das mit dem "Kessel" ist ja keine Meinungsfrage a la "die Ukrainer sagen so, die Russen sagen so". Man muss nur einen Blick auf eine topografische Karte werfen um zu sehen, dass Bachmut 100-120 Höhenmeter tiefer liegt als das von den Ukainer gehaltene Tschasiv Jar (westlich von Bachmut) und die Höhenzüge nordwestlich und südwestlich von Bachmut, auf die die Ukrainer in den letzten zwei Wochen vorgerückt sind.



      "Wie viele Städte werden noch irreparabel in Schutt und Asche gelegt, bis sich mal jemand fragt, wie sinnvoll es wohl ist, etwas militärisch um den Preis seiner völligen Zerstörung zu verteidigen?"



      Erstaunlich, dass Sie die seit fast anderthalb Jahren praktizierte Vorgehensweise des russischen Militärs zwar genau verstanden haben - ukrainische Städte und Dörfer systematisch und komplett zu zerstören - aber der ukrainischen Seite daran eine Mitschuld zuschreiben, weil sie sich wehrt.

  • Prigozin ist ein Propagandawerkzeug, dessen Zweck wahrscheinlich nur war die Schuld für die katastrophale Leistung der Russen weg von Putin hin zum russischen Verteidigungsministerium über Bande zu leiten. Sonst wäre er heute nicht mehr am Leben.



    Ob er jetzt neue Ambitionen hegt sei mal dahingestellt, aber er dürfte den Bogen überspannt haben. Zurück nach Moskau wird schwer und wer glaubt, dass die Amis ihn lebend durch die Welt reisen lassen, träumt.



    Die Ukraine hat erreicht, was sie wollte. Große Teile von Wagner sind aufgerieben, und die Fähigkeiten der regulären russischen Armee sieht man grad an den Flanken bakhmuts.



    Wer die paar verbliebenen Steinklötze in der Stadt hält macht keinen Unterschied.

  • Laut der recht seriösen Website vom Institute for the study of war gibt es zwar nördlich und südlich von Bachmut Vorstöße der Ukrainer, die aber letztendlich nur leicht frontbegradigend wirken.



    Die Russen müßten schon saublöd sein, da dazwischen zu marschieren.



    Schau'n wir mal....

  • Zusammenfassend:



    - Unsere Kämpfer sind stark, motiviert und gut ausgerüstet



    - Wir haben die taktische und strategische Oberhand



    - Unser Feind hat furchtbare Verluste und opfert seine Leute umsonst für minimale Gewinne



    - Wir hingegen haben kaum mal Verluste und wenn, sind sie eher leicht verwundet



    Und schon hat man eine Zusammenfassung der Lage aus offiziellen Kanälen beider Seiten, man muss nur noch Russland und die Ukraine einfügen.

  • bachmut ...

    mit ca 42 qkm knapp halb so groß wie die pferdestadt verden in niedersachsen.

    wieviel blut und zerstörung für nix für beide seiten.



    brutalster häuserkampf.



    ein über monate sinnloses dahingemetzel.



    für die, die es überlebt haben wird eine blechmedaile ihre erinnerung wachhalten.

    • @adagiobarber:

      > für nix

      Der strategische Wert von Bachmut für beide Seiten liegt darin, dass die Stadt das letzte befestigte Hindernis vor den Städten Kramatorsk und Sloviansk ist, bzw anscheinend war.

      Diese Städte sind deutlich größer, und es wird mE noch ekliger werden.

      Es ist ein Abnutzungskrieg. Prigoschins Sträflingstruppe mag jetzt abgenutzt sein, aber da ist dann ja auch noch die reguläre russische Armee.

    • @adagiobarber:

      Falsch. Nix ist mit ' nix für beide Seiten '.

    • @adagiobarber:

      ich denke, das Blut ist der Sinn...also, den Gegner auszubluten, ähnlich Verdun. Tragische, furchtbare militärische Logik....