Kampf gegen Sexismus an der Charité: Übergriffig im OP-Saal
Im stark hierarchischen Klinikalltag ist Sexismus besonders verbreitet. Eine Aktionswoche von Studierenden macht darauf aufmerksam.
Gut drei Dutzend Studierende der Charité Berlin sitzen am Montagabend in den engen und steil abfallenden Reihen des Erich-Hoffmann-Hörsaals. Zwischen dem dunklen Holz und den Ferngläsern, die aus den Tischen hervorgeholt werden können, um das Kleingeschriebene auf der Tafel erkennen zu können, müssen sie sich wie in längst vergangenen Zeiten fühlen.
Auch das Thema dieses Abends würde man lieber in dieser längst vergangenen Zeit wissen: Es geht um Chefärzte, die Studentinnen gegenüber anzügliche Sprüche ablassen. Um hitzige Wortgefechte im OP, bei denen der Anstand flöten geht. Und um Frauen in den Kliniken, die von Kolleg*innen und Patient*innen grundsätzlich eher als Schwestern denn als Ärztinnen wahrgenommen werden.
Weil fast jede Person, die an der Charité arbeitet oder studiert, früher oder später ähnliche Erfahrungen macht, hat eine Gruppe von Studentinnen nun unter dem Motto „Diagnose Sexismus“ eine Aktionswoche ausgerufen. Eine Woche lang finden Vorträge, Workshops und Gesprächsrunden statt.
Zum Auftakt der Aktionswoche stellt Frederiecke Sonntag von der Studierendengruppe Medical Students for Choice den Anwesenden eine Onlineplattform vor. Hier können Pfleger*innen, Mediziner*innen und Studierende ihre Erfahrungen mit Sexismus teilen. „Seit dem Sommer sind rund 200 Kommentare bei uns eingegangen“, berichtet Sonntag. Sie und ihre Aktivistengruppe kuratieren die Plattform, anonymisieren die Beiträge und veröffentlichen die Erzählungen der Betroffenen.
Es sind keine Einzelfälle
Die Schilderungen, die hier zu lesen sind, zeigen, wie unterschiedlich Sexismus im Klinikalltag ist. Eine Medizinerin zitiert, was der zuständige Chefarzt während ihres praktischen Jahres zu ihr sagte: „Was wollen Sie als Frau mal machen? Ich gebe Ihnen einen Rat, machen Sie ein nettes, kleines Fach. Allgemeinmedizin zum Beispiel.“
Eine Studentin im 10. Semester erzählt von einer Situation mit einem Arzt. Er sagte zu ihr: „Wissen Sie, wo der Zugang bei der Sternotomie [Durchtrennen des Brustbeins, Anm. d. Red.] gesetzt wird?“ Dann strich er ihr mit den Fingern über den Ausschnitt. „Hier.“
Zu diesen Beiträgen hat die Gleichstellungsbeauftragte der Charité, Christine Kurmeyer, auch Zahlen mit in den Hörsaal gebracht. Sie zeigen das Ausmaß der Einzelschilderungen: 76 Prozent der befragten Frauen und 62 Prozent der Männer an der Charité geben an, schon sexuell belästigt worden zu sein. Das zeigt eine Studie, die unter der Leitung Kurmeyers an der Charité durchgeführt und im Oktober veröffentlicht wurde. Es sei die erste Untersuchung dieser Art an Kliniken.
Meist sind es verbale Grenzverletzungen wie abwertende Sprüche, und sie finden vor allem unter Kolleg*innen statt. „Das hat mit der starken Konkurrenz in den Kliniken zu tun“, vermutet Kurmeyer, denn Sexismus habe immer etwas mit Machtdemonstration zu tun. Bei der Pflege ist körperliche Belästigung ein besonders großes Problem. Schon allein die Arbeit mit den Patient*innen sei sehr körperbetont. Die Übergriffe lassen sich deshalb leicht kaschieren. „Dann heißt es: Ich musste mich schnell festhalten und da war nur Ihr Po“, so Kurmeyer.
Hierarchien fördern Sexismus
Es hat einen Grund, warum sexuelle Belästigungen in den Kliniken besonders oft vorkommen. „Der Klinikalltag ist eine permanente Grenzüberschreitung“, sagt Kurmeyer. In den OPs gehe es um Leben und Tod. „Dann heißt es: Frauen sollen sich nicht so anstellen, wenn mal ein problematischer Spruch fällt.“ Außerdem müssen sich Patient*innen oft entblößen, damit überhaupt eine Diagnose möglich ist. „Da ist die Gefahr der Grenzverletzung besonders groß.“
Überhaupt sei der Klinikalltag von starken Hierarchien geprägt, bei der Pflegekräfte ganz unten und – meist männliche – Chefärzte ganz oben stehen. „Die Patienten verstärken das zusätzlich“, sagt Kurmeyer. Diese Hierarchie fördere Sexismus.
Nach dem Vortrag haben die Studierenden im Saal viele Fragen; mit dem Thema scheinen die meisten tatsächlich selbst Erfahrungen gemacht zu haben. „Was kann Ihre Antidiskriminierungsarbeit überhaupt erreichen?“, wirft eine Studentin etwas verzweifelt in die Runde. Ein Professor habe im Seminar immer gesagt: „Die Gleichstellungsbeauftragte hat mir gesagt, ich soll diesen Witz nicht machen.“ Den sexistischen Witz habe er dann trotzdem gemacht.
Doch tatsächlich tut sich an der Charité mittlerweile etwas. Richtlinien legen jetzt fest, welche Schritte folgen müssen, wenn jemand sexuelle Belästigung meldet. „Gefeuert wird nicht gleich nach dem ersten Vorfall“, sagt Kurmeyer. Aber die Charité habe bereits jemandem deswegen gekündigt.
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