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Kampf gegen MikroplastikDer Kunststoff-Bumerang

Hamburg will ein Verbot der giftigen Minikügelchen in Zahnpasta und Kosmetika durchsetzen und startet eine Initiative im Bundesrat.

Reinigen mit Gift? Viele Kosmetika enthalten Mikroplastik Foto: dpa

Hamburg taz | Hamburg sagt Mikroplastik den Kampf an. Mithilfe einer Bundesratsinitiative sollen Kunststoffpartikel in Reinigungs-, Hygiene- und Kosmetikprodukten verboten werden. Einen entsprechenden Antrag will Umweltsenator Jens Kerstan am Freitag zusammen mit dem rot-rot-grün regierten Thüringen in die Länderkammer einbringen.

„Es wäre viel einfacher, wenn die Hersteller endlich auf Mikroplastik verzichten würden“, sagte Kerstan am Mittwoch bei der Vorstellung der Initiative. „Aber Freiwilligkeit hat hier bislang wenig bewirkt, deshalb wollen wir jetzt über den Bundesrat ein Verbot der Kunststoffteilchen in Kosmetika erreichen.“

Die nur unter dem Mikroskop erkennbaren Plastikperlen in Kosmetika seien eine tückische Gefahr für die Umwelt, sagte Kerstan. „Sie sind oft so winzig, dass die heutigen Kläranlagen sie nicht vollständig herausfiltern können. Eine Umrüstung wäre teuer und müsste von den Wasserkunden finanziert werden.“

Über Abwässer und Klärschlämme gelangt das Plastik in Gewässer und Böden. „Über Aufnahme durch Lebewesen wird es Teil der Nahrungskette und damit auch zu einer Belastung der menschlichen Nahrungsgrundlagen sowie möglicherweise der menschlichen Gesundheit“, heißt es in dem Antrag.

Das ist Mikroplastik

Mikroplastik sind kleinste Kunststoffteilchen von weniger als fünf Millimetern Größe. Sie sind in synthetischen Kleidungsstücken sowie vielen Hygiene- und Kosmetikprodukten, vor allem Zahnpasten und Hautcremes, enthalten.

Im Abwasser von Waschmaschinen wurden bis zu 1.900 Mikroplastikteilchen pro Waschgang gefunden.

Etwa 20.000 Tonnen größerer Teile wie Plastiktüten, Zahnpastatuben oder Schnüre gelangen jedes Jahr in Nord- und Ostsee. Sie werden von Sonne, Wind und Wellen zu Mikroplastik zerrieben.

Als Inhaltsstoff erkennbar ist Mikroplastik unter anderem an Bezeichnungen wie Polyethylen (PE), Polyethylenterephthalat(PET), Nylon-6 und Acrylates Crosspolymer (ACS).

Die Belastung von Wasser und Böden in norddeutschen Flüssen und Meeren ist extrem hoch. Nach zwei wissenschaftlichen Expeditionen der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) mit einem Forschungsschiff im Sommer 2016 resümierte Forschungsleiterin Gesine Witt: „Was wir gefunden haben, ist ein brisanter Giftcocktail.“ Nachgewiesen wurden hohe Konzen­trationen von Mikroplastik an fast allen untersuchten Stellen der Nord- und Ostsee sowie den Mündungen der Flüsse Weser, Elbe und Trave.

Im Wasser nicht abbaubare Kunststoffe wirken auf dort treibende Schadstoffe wie Polychlorierte Biphenyle (PCB) oder das Insektizid DDT wie Magnete. Sie vereinigen sich zu Giftklumpen. In den Sedimenten werden diese von Muscheln und Würmern aufgenommen und gelangen über Krabben und Fische letztlich in die menschliche Nahrung. Einige dieser Stoffe können auch menschliche Körperzellen durchdringen, sagt Witt: „Sie sind eindeutig krebserregend.“ Notwendig sei es, diese Stoffe durch weniger schädliche zu ersetzen. „Man sollte auf plastikhaltige Kosmetikprodukte verzichten. Es gibt auch welche mit unschädlichen Inhaltsstoffen“, sagt Witt.

Mit Beiersdorf und Unilever haben zwei der weltweit größten Kosmetikkonzerne ihren Sitz in Hamburg. Beiersdorf gibt an, seit 2015 Mikroplastik „überwiegend“ durch biologisch abbaubare Stoffe zu ersetzen. Unilever nutzt nach eigenem Bekunden seit Anfang 2015 weltweit kein festes Mikroplastik mehr.

Nach einer Schätzung des Fraunhofer-Instituts werden in Deutschland pro Jahr etwa 330.000 Tonnen Mikroplastik freigesetzt. Laut Umweltbehörde gelangen durch Kosmetikprodukte pro Jahr rund 922 Tonnen Mikroplastik in die Kanalisation. Die mit Abstand meisten Mikroplastikteilchen aber entstehen durch den Abrieb von Reifen.

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