Kampagne gegen Außenwerbung: Anti-Werbe-Ini droht, Hamburg zu verklagen
Das Volksbegehren Hamburg Werbefrei verlangt vom Senat, dass er eine Testimonial-Kampagne der Außenwerber unterbindet. Diese müssten neutral agieren.
„Hamburg werbefrei“ möchte die Werbung im öffentlichen Raum stark einschränken. Insbesondere elektronische, animierte und sehr große Werbetafeln sollen aus dem Stadtbild verschwinden. Am Mittwoch startet dazu eine Unterschriftensammlung, die in einen Volksentscheid münden soll – es sei denn, die Hamburgische Bürgerschaft macht das Anliegen zu ihrem eigenen. Das hat sie auf einer früheren Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens bereits einmal abgelehnt.
Seit einigen Wochen hängen an vielen Masten der Stadt DIN-A3-Plakate, die in Schwarz-Weiß-Optik für das Volksbegehren werben. Etwa zeitgleich startete der Fachverband Außenwerbung (FAW) seine Kampagne in Hamburg. Vertreter gemeinnütziger Organisationen machen darauf aufmerksam, wie wichtig diese Werbemöglichkeiten sind, die sie selbst in Buchungslücken für wenig oder gar kein Geld bespielen können, darunter die Ehrenamtlichen beim Fußball, die Hamburger Tafel, eine Organisation der Ukrainehilfe und das Reeperbahn-Festival. „Mehr als Werbung!“ und „Außenwerbung macht’s möglich!“ steht auf den Bildschirmen.
Weniger Meinungsmacht und mehr Kultur
„Unmittelbar vor dem Start des Volksbegehrens ist diese massive, allgegenwärtige Kampagne als politische Einflussnahme zu bewerten“, kritisiert „Hamburg werbefrei“. In Zügen und Bahnhöfen der Hamburger Hochbahn sei politische Werbung grundsätzlich untersagt – auf den vielen digitalen Werbetafeln aufgrund der marktbeherrschenden Stellung der Anbieter höchst fragwürdig.
Der Hamburger Senat hat den Unternehmen Ströer und Wall (JC Decaux) 2007 ein Quasi-Exklusivrecht zur Nutzung des öffentlichen Raums für Werbung eingeräumt. 2020 zahlten sie der Stadt dafür knapp 27 Millionen Euro. Nach Angaben der Linken in der Bürgerschaft betreiben sie inzwischen 2.700 hinterleuchtete Werbeanlagen im Stadtgebiet. Im kommenden Jahr laufen die Verträge aus.
Die Volksinitiative will verhindern, dass der Senat einfach neue Verträge nach altem Muster abschließt. Sie erhofft sich dadurch weniger Energieverschwendung, weniger Ablenkung, weniger Lichtverschmutzung, weniger Meinungsmacht und mehr Kultur statt Kommerz. 50 Prozent der Werbefläche soll der Kultur vorbehalten werden.
Ini sieht eine Gegenkampagne
Mit dem Versuch, Außenwerbung positiv darzustellen, missbrauchten Ströer und Wall ihr Monopol, um ein direktdemokratisches Verfahren zu ihren Gunsten zu beeinflussen, sagt Nils Erik Flick, Initiator des Volksbegehrens. Das dürfe der Senat nicht tolerieren.
„Wenn der Senat ausschließlich zwei Unternehmen Sondernutzungserlaubnisse erteilt, haben diese sich neutral zu verhalten“, sagt Fadi El-Ghazi, der Anwalt der Volksinitiative. Andernfalls missbrauchten sie ihre Macht.
Dass die Aktion gerade jetzt stattfinde, sei Zufall, sagte Kai-Marcus Thäsler, Geschäftsführer des Fachverbandes, der taz. Auch in anderen Städten seien ähnliche „Dankesaktionen“ geplant. Die Kampagne in Hamburg sei bereits für das vergangene Jahr geplant gewesen, dann aber auf 2025 verschoben worden. „Man muss immer darauf achten, wann Kapazitäten dafür da sind“, sagte Thäsler. Er habe nicht einmal gewusst, dass „Hamburg werbefrei“ genau jetzt plakatiert. Martin Weise, Sprecher der Volksinitiative, mag das nicht recht glauben. „Das ist eine Gegenkampagne“, sagt er.
Ultimatum für den Senat
Der Anwalt der Initiatoren, El-Ghazi, hat dem Senat ein Ultimatum gestellt: Sollte er die Kampagne der Außenwerber nicht bis zum 17. April stoppen, will er Klage einreichen, und zwar direkt beim Landesverfassungsgericht. Der Senat sei für die Durchführung des Volksbegehrens verantwortlich, sagt El-Ghazi. Die Landesabstimmungsleitung müsse „in angemessenem Umfang“ über das Volksbegehren informieren. Angesichts der laufenden Gegenkampagne müsse hier deutlich mehr geschehen, so der Anwalt.
El-Ghazi argumentiert auch im Hinblick auf eine Klage, dass der Senat Ströer und Wall quasi ein Monopol eingeräumt habe. Zumindest für die U-Bahn rechnet er sich gute Klagechancen aus, weil dort politische Werbung verboten ist. Er räumt aber ein: „Wir betreten juristisches Neuland.“
Der Senat teilte auf Anfrage mit, er habe sich mit der FAW-Kampagne noch nicht befasst, wolle aber in Kürze den Verband und die betroffenen Unternehmen anhören. Nach vorläufiger Einschätzung handele es sich bei der Kampagne um eine deutschlandweite Kampagne. „Nicht nur örtlich, sondern auch inhaltlich dürfte die Kampagne keinen erkennbaren Bezug zum Volksbegehren selbst haben“, vermutet die Senatskanzlei.
In einer früheren Version dieses Textes heißt es, der Senat sei für die Durchführung des Volksentscheids verantwortlich. Anwalt El-Ghazi kommt es jedoch darauf an, dass das auch schon für das Volksbegehren gelte.
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