Kaffee aus Äthiopien: Bio-Siegel außer Kontrolle
Jahrelang moniert ein Brancheninsider Missstände bei der Biokontrolle. Doch deutsche wie EU-Behörden bleiben weitgehend untätig.
Dabei lebt Bio auch vom Vertrauen, dass die Ökokontrolle überprüft, ob Bauern die Vorschriften des Siegels einhalten: etwa, ob sie wirklich auf chemisch-synthetische Pestizide und mineralische Stickstoffdünger verzichten. Äthiopien ist der fünftgrößte Kaffeeproduzent der Welt – und für Deutschland und andere EU-Staaten ein wichtiger Lieferant der Biovariante dieses Produkts.
Die Beschwerden, die der taz vorliegen, hat Albrecht Benzing geschrieben. Er kennt sich aus in der Branche: Der Agraringenieur ist Ko-Chef der bayerischen Biokontrollstelle Ceres. Sie hat die betroffenen Betriebe kontrolliert, als diese von BCS zu Ceres wechselten. Kaum vorstellbar, dass ein derartiger Experte so genau belegte und schwerwiegende Vorwürfe komplett erfindet und jahrelang immer wieder vorträgt – selbst wenn Ceres mit BCS und Control Union um Kunden konkurriert. Zu groß wäre das Risiko, verklagt zu werden.
Große Teile des äthiopischen Biokaffees kommen von Kleinbauernorganisationen mit zehntausenden Mitgliedern. Laut EU-Recht müssen die Kontrollstellen die einzelnen Landwirte nur stichprobenartig besuchen. Bei den meisten genügt eine Inspektion durch einen internen Kontrolleur der Organisation.
Unkontrollierte Betriebe
Doch viele Mitglieder einer namentlich genannten Erzeugergemeinschaft in Äthiopien hätten von BCS das Bio-Siegel bekommen, ohne jemals inspiziert geworden zu sein, schrieb Benzing am 14. Januar 2013 an EU-Kommission und deutsche Aufsichtsinstitutionen.
Obwohl der Organisation damals rund 27.000 Bauern angehört hätten, sei kein Verstoß entdeckt worden. „Die Kontrolleure sind nicht kompetent genug oder darin geschult, Verstöße zu finden und aufzuzeichnen“, so der Kritiker. Da sich die Ware nicht zu den Erzeugern zurückverfolgen lasse, „kann nicht garantiert werden, dass der Kaffee, der als ‚bio‘ exportiert wird, tatsächlich von den Mitgliedshöfen kommt“, heißt es in den Beschwerden über die Lage im Jahr 2012. All das zeigten interne Unterlagen des Unternehmens.
Früher: Auch der Kaffee mit dem taz-Logo kommt zum größten Teil von äthiopischen Biobauern: vom Genossenschaftsverband Sidama Coffee Farmers Cooperative Union. Bis 2013 wurde Sidama von der umstrittenen Bio-Kontrollstelle BCS zertifiziert. Das teilte am Dienstag auf Anfrage das Fair-Handelshaus Gepa mit. Gepa packt den Kaffee ab und nutzt für den Vertrieb die Marke der taz.
Später: Seit 2013 wird der Lieferant laut Gepa aber von Ceres überprüft – also der Kontrollstelle, die auf die Probleme bei manchen ihrer Konkurrenten hingewiesen hat.
BioFach: Bei der weltgrößten Naturkost-Messe BioFach soll auch über die Kontrollprobleme mit Importen von außerhalb der EU diskutiert werden. Die Messe beginnt am Mittwoch in Nürnberg. (jma)
Ähnliche Probleme soll es in einem mit etwa 60.000 Mitgliedern noch größeren Erzeugerverbund gegeben haben. Zusätzlich hätten einige der Bauern den als Droge benutzten Khatstrauch mit konventionellen Insektiziden in Mischkulturen mit dem Ökokaffee angebaut. Eine große Farm produzierte sowohl Bio- als auch konventionellen Kaffee, aber bei der Verarbeitung der Ernte gab es nach Augenzeugenberichten „keinerlei Trennung“, heißt es in der Beschwerde. Anders als vorgeschrieben habe zudem auch keinerlei Plan existiert, den konventionellen Teil des Betriebs auf Bio umzustellen.
In der Mail wird auch ein ehemaliger BCS-Kontrolleur zitiert. Er habe in seiner Zeit bei der Nürnberger Kontrollstelle mehrmals gravierende Verstöße in Äthiopien festgestellt – trotzdem hätten die Betriebe das Bio-Siegel bekommen, ohne dass die Unregelmäßigkeiten korrigiert worden seien.
Zertifiziert trotz Verstößen
Auch die niederländische Kontrollfirma Control Union habe eine Kaffeebauernorganisation mit 10.500 Mitgliedern ohne interne Kontrollen bei den Landwirten zertifiziert, schrieb Benzing in einer Mail vom 21. Oktober 2013 an die EU-Kommission und den holländischen Akkreditierungsrat RvA. Beleg auch hier: Unterlagen der Erzeugerorganisation.
Solche Beschwerden können die für BCS und Control Union zuständigen Aufsichtsinstitutionen nur in Äthiopien überprüfen. Dazu müssten sie mit den von Benzing erwähnten Bauern und mit den Kontrolleuren vor Ort sprechen.
Laut EU-Ökoverordnung Nummer 834/2007 muss die Europäische Kommission die Kontrollstellen überwachen, die sie für die Überprüfung von Importen zugelassen hat. Ausdrücklich kann sie dazu sogar Sachverständige mit Besuchen vor Ort beauftragen. Doch bislang hat die Brüssler Behörde trotz Benzings Beschwerden niemanden nach Äthiopien geschickt, um sich BCS’ Arbeit dort anzuschauen. Sie hat der Kontrollstelle auch nicht verboten, Importe aus Äthiopien weiterhin zu zertifizieren.
Überprüfung in China
Versäumnisse sieht die Europäische Kommission trotzdem nicht. 2013 habe sie die Vorwürfe überprüft, schreibt sie der taz. Allerdings „nicht in Äthiopien“, sondern „in China“. Das reiche, weil „die Überprüfung sich auf Probleme konzentrierte, die der Beschwerdeführer aufgezeigt hatte“. Der Europäische Bürgerbeauftragte, den Benzing eingeschaltet hatte, nachdem Brüssel erst gar nicht auf seine Beschwerde reagiert hatte, habe im April 2014 erklärt: „Die Kommission hat die Angelegenheit beigelegt.“ Im Übrigen verweisen die EU-Beamten darauf, dass BCS von der Deutschen Akkreditierungsstelle anerkannt sei. Diese Berliner Firma soll im Auftrag des Staates Kontrollstellen regelmäßig vor Ort überprüfen.
Die Akkreditierungsstelle wollte der taz „aus Gründen der zu wahrenden Vertraulichkeit“ nichts Konkretes zu dem Fall mitteilen. Die Berliner Firma steht unter Fachaufsicht des deutschen Landwirtschaftsministeriums. Doch das schiebt die Schuld nach Brüssel.
„Genau das ist das Spielchen seit Jahren: Die Kommission verweist auf die Akkreditierungsstellen, diese auf die Kommission. Und dann passiert nichts“, klagt Benzing. Es würde auch nichts bringen, BCS in China zu überprüfen, wenn es um Vorwürfe in Äthiopien gehe. „Eine Firma wie BCS ist einfach so komplex, dass die Arbeit in China wenig mit der Arbeit in Äthiopien zu tun hat. Die Beschwerden haben sich immer spezifisch auf die Arbeit in Äthiopien bezogen“, so Benzing.
Tatsächlich haben die Ermittlungen der EU-Kommission in China laut Benzing nichts an den Missständen bei BCS in Äthiopien geändert: Im September 2016 berichtete er den Aufsichtsinstitutionen von zwei neuen großen Fällen aus den Jahren 2014 und 2015.
Pestizide und Dünger auf der Biofläche
Zum einen hatte erneut eine Organisation von ungefähr 3.700 Kaffeekleinbauern kein funktionierendes internes Kontrollsystem. Zum anderen gaben Mitglieder einer Gruppe von Sesam-Erzeugern Benzing zufolge zu, dass sie auf Flächen, auf denen angeblich Ökolandbau betrieben werden sollte, verbotene Düngerarten und Pestizide benutzt hätten.
„Die Tatsache, dass die Bauern ,frei von der Leber weg' mit unseren Inspektorinnen darüber plauderten, ohne etwas zu verstecken zu versuchen, zeigt, dass sie entweder keine Ahnung hatten, überhaupt Teil eines Bioprojekts zu sein, oder nicht wussten, was ‚bio‘ bedeutet“, sagt Benzing der taz. „Es zeigt auch, dass offensichtlich nie echte Inspektionen stattgefunden hatten, sonst hätten die Bauern ja zumindest versucht, zu vertuschen.“
Auch diese Beschwerde wird wohl vorerst keinen Kontrollbesuch der EU-Kommission in Äthiopien zur Folge haben. Denn dafür macht Brüssel in einem Schreiben an die taz zur Bedingung, „dass die politischen und sozialen Unruhen dort zu Ende gekommen sind“. Dabei rät etwa das Auswärtige Amt in Berlin keinesfalls von Reisen nach Äthiopien allgemein ab, sondern nur vom Besuch bestimmter Regionen des Landes. Dennoch begnügt sich die Kommission zumindest vorerst damit, zum Beispiel BCS zu den Vorwürfen zu befragen.
Die Reaktion der Aufsichtsinstitutionen scheint kein Einzelfall zu sein. Auch wegen der Beschwerde über Control Union haben sie so gut wie nichts unternommen. Fragen der taz dazu ließ die Kommission unbeantwortet. Der holländische Akkreditierungsrat gab sich nach eigenen Angaben damit zufrieden, dass die beschuldigte Control Union selbst Benzings Beschwerde bearbeitet habe. Das Ergebnis: Unbekannt? Und BCS und Control Union reagierten auf Bitten der taz um Stellungnahme gar nicht.
Nötig wäre mehr Personal
Für den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) beweisen solche Fälle: „Die Europäische Kommission überwacht die Kontrollstellen in Drittstaaten kaum“, wie Geschäftsführer Peter Röhrig der taz sagt. Tatsächlich plant die zuständige Direktion nach ihrem Arbeitsplan, 2017 ähnlich wie in den Vorjahren nur sieben Kontrollstellen in jeweils einem Nicht-EU-Land zu überprüfen – obwohl immerhin 55 Inspektionsfirmen für insgesamt mehr als 100 Staaten zugelassen sind. „Die Kommission muss dafür mehr Personal einsetzen“, fordert Röhrig deshalb.
Doch davon ist die Behörde weit entfernt. Ihr seit Jahren diskutierter Entwurf für eine neue Ökoverordnung würde nicht dazu führen, dass die Aufsicht der Kontrollstellen mehr Ressourcen bekommt. Die Kommission ist der Meinung, dass „das existierende System alle Voraussetzungen hat, um seine Aufgaben ausreichend zu erfüllen“.
Trotzdem rät Kritiker Benzing den Verbrauchern, weiter Bio zu kaufen. Die Aufsicht der Kontrollstellen im Inland sei viel besser. „Und auch die meisten Kontrollstellen in Drittländern arbeiten gut – von Ausnahmen abgesehen. Aber die Probleme dort sind schwerwiegend und müssen endlich gelöst werden.“
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