Justiz in Afghanistan: Taliban verordnen noch mehr Scharia

Auf Anordnung des Talibanchefs gelten drakonische Scharia-Strafen jetzt in Afghanistan landesweit. Wie im Iran gibt es für „Rebellion“ die Todesstrafe.

Menschen sind auf einer Straße in Kabul unterwegs, die Frauen sind verschleiert

Menschen auf der Straße in der afghanischen Hauptstadt Kabul Foto: Ali Khara/reuters

BERLIN taz | Der Talibanführer Hebatullah Achundsada hat angeordnet, in Afghanistan ab jetzt die im islamischen Scharia-Recht enthaltenen Hudud- und Kisas-Körperstrafen anzuwenden. Sie umfassen Amputationen bei Diebstahl, Steinigungen oder Prügelstrafen bei Ehebruch, vorehelichem Geschlechtsverkehr und wenn Verliebte gegen den Willen der Eltern durchbrennen, sowie Hinrichtung bei Mord. Auf Wunsch kann die Familie des Opfers die Hinrichtung selbst vornehmen, aber auch Täter begnadigen.

Neu ist jetzt, dass solche Strafen auch bei „Rebellion“ verhängt werden können. Ähnlich wie im benachbarten Iran droht damit Afghan:innen, die sich an zivilem Protest oder bewaffnetem Widerstand beteiligen, nun auch die Todesstrafe.

Die Taliban halten zur Zeit mindestens sechs Frauenrechtlerinnen fest. In sozialen Medien ist von weit mehr „Verschwundenen“ die Rede, darunter Angehörige der früheren Streitkräfte, denen teilweise Zugehörigkeit zu bewaffneten Oppositionsgruppen vorgeworfen wird.

Bisher hielt sich die Talibanführung mit solchen Strafen zurück, offenbar um nach ihrer weltweit beispiellosen Ausgrenzung von Mädchen und Frauen nicht noch mehr Kritik auf sich zu ziehen.

Zuletzt gerieten sie aber unter Druck der in Afghanistan politisch eigentlich unbedeutenden Terrormiliz Islamischer Staat, dass sie sich „unislamisch“ verhielten, so lange sie auf diese Scharia-Strafen verzichten.

Scharia-Anweisung gilt als „verpflichtend“

Der Vizesprecher des höchsten Gerichts im Talibanemirat namens Enajatullah, der nur einen Namen hat, teilte am Montag mit, Hebatullah habe bei einem Treffen mit Richtern angewiesen, diese Strafen verpflichtend anzuwenden, wenn nach der Untersuchung eines Falles „alle Voraussetzungen dafür vorliegen“.

Laut Jusef Ahmadi, Sprecher von Talibanministerpräsident Mullah Muhammad Hassan, werde dies im ganzen Land umgesetzt.

Sajjed Akbar Agha, ein Ex-Talibanführer, der an Entführungen von Uno-Personal beteiligt war, sich dann aber der alten Regierung anschloss, begnadigt wurde und sich seither Politikexperte nennt, erklärte: „Werden nicht alle Aspekte umgesetzt, kann man das System nicht islamisch nennen. Es ist gut, dass jetzt alle Aspekte umgesetzt werden.“

Mutmaßlicher Suizid, um Steinigung zu entgehen

Zumindest in der westlichen Provinz Ghor preschten örtliche Talibanbehörden schon vor. Im Oktober verurteilten sie im Distrikt Dolina die 24-jährige Salima zum Tod durch Steinigung, nachdem sie mit ihrem Liebhaber geflohen war und beide geheiratet hatten. Der Mann Sradschuddin wurde erschossen, als die Taliban die beiden aufspürten. Auch von ihm wurde nur der Vorname bekannt.

Die Frau wurde kurz vor der geplanten Vollstreckung im Haus ihres Bruders erhängt aufgefunden, nachdem sie dort unter Arrest gestanden hatte, angeblich wegen Mangels an Arrestzellen im Gouverneursbüro, berichtete die afghanische Frauen-Nachrichtenwebseite Ruchschana.

Während ihres ersten Regimes (1996–2001) hatten sich die Taliban international noch stärker isoliert, nachdem aus dem Land geschmuggeltes Filmmaterial die öffentliche Erschießung einer Frau im Nationalstadion von Kabul gezeigt hatte. Sie wurde beschuldigt, ihren Mann ermordet zu haben. Die Umstände blieben aber unklar. In Afghanistan gab und gibt es ein hohes Niveau an häuslicher Gewalt.

London: Britisches Militär tötete 64 Kinder in Afghanistan

In der Vorwoche war bekannt geworden, dass die britische Armee bei Operationen in Afghanistan zwischen 2006 und 2014 mindestens 64 Kinder getötet und dafür deren Familien kompensiert hat. Das sind viermal mehr als bisher bekannt. Die Zahlen hatte die Hilfsorganisation Action on Armed Violence auf der Basis des Informationsfreiheitsgesetzes erklagt.

Die Organisation glaubt, die Zahl liege noch höher, denn unter den Toten, für die es Kompensation gab, seien auch „Söhne und Töchter“ gewesen, für die dem Verteidigungsministerium keine Altersangaben vorlagen. 881 afghanische Familien hatten auf Entschädigung geklagt. Nur ein Viertel davon wurde beschieden.

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