Juso-Chef über Bundestagswahlkampf: „Das ist unsere Bedingung“
Juso-Chef Philipp Türmer über die „Shit-Show“ der SPD und was er Olaf Scholz erzählen will, wenn er ihn demnächst trifft.
taz: Herr Türmer, Olaf Scholz war zum Jusokongress eingeladen, hat aber abgesagt. Sind Sie erleichtert oder enttäuscht?
Philipp Türmer: Ich hätte es gut gefunden, wenn er gekommen wäre. Da hätten wir wirklich gute Debatten gehabt.
taz: Sie haben die Debatte um die Kandidatur als „Shit-Show“ bezeichnet.
Türmer: Ja.
Philipp Türmer
28, ist seit November 2023 Vorsitzender der Jungsozialisten, kurz Jusos. Er ist im hessischen Offenbach aufgewachsen, der Vater Beamter im Finanzministerium, die Mutter Oberstaatsanwältin – „meine Ausgangslage war gut“, sagt er. Türmer hat in Frankfurt am Main Wirtschaftswissenschaften und Jura studiert. Derzeit sitzt er an seiner juristischen Doktorarbeit.
taz: Sich aber dennoch daran beteiligt.
Türmer: Aber konstruktiv – hoffe ich zumindest. Wir haben gesagt, wir brauchen da schnelle Entscheidungen, aber keine Selbstkrönung.
taz: Jetzt hat Scholz aber doch die Krone auf.
Türmer: Aber es gab keine Selbstkrönung.
taz: Und finden Sie das Ergebnis ok?
Türmer: Die letzten zwei Wochen mit dieser Debatte haben uns nicht wirklich gutgetan. Und ich werde sie nicht wieder eröffnen.
taz: Kam die Entscheidung für Scholz gerade noch rechtzeitig oder viel zu spät?
Türmer: Mit dem Kanzler als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf zu ziehen, diese Entscheidung hätten wir auch schon vor zwei Wochen treffen können.
taz: Hängen die Jusos jetzt doch Plakate mit Olaf Scholz’ Konterfei auf?
Türmer: Es ist richtig, dass Olaf Scholz sich in der Vergangenheit große Kritik hat anhören müssen von uns. Zuletzt rund um das Sicherheitspaket. Aber am Ende geht es darum, dass wir für diese Partei und für die richtigen Inhalte kämpfen. Und dann bin ich mir ganz sicher, dass Jusos Plakate aufhängen werden. Bei einem Wahlkampf, der die richtigen Schwerpunkte setzt, sind wir mit voller Überzeugung dabei. Das ist unsere Bedingung.
taz: Die SPD steht in Umfragen bei 14 Prozent, die Union liegt mit 32 Prozent meilenweit vorn. Wie soll man diesen Vorsprung noch aufholen?
Türmer: Indem man den Wahlkampf über die richtigen Themen und Inhalte führt. Da kann Dynamik entstehen.
taz: Womit kann die SPD Dynamik entfachen?
Türmer: Wir haben richtige Probleme mit Wirtschaft, Wachstum und Industrie in diesem Land. Und das, was von der Union kommt, ist dermaßen rückwärtsgewandt, da heißt es, man müsse einfach das Bürger*innengeld abschaffen. Ach, und die wichtigste Sache: Die Cannabislegalisierung zurückdrehen. Das ist doch Mumpitz. Wir müssen endlich richtig investieren, das hat Merz und seine Union immer noch nicht gecheckt.
taz: Die Jusos fordern jetzt einfach mal eine Billion für Investitionen. 1 Billion Schulden. Echt jetzt?
Türmer: 1 Billion, das klingt im ersten Moment hoch. Aber tatsächlich ist das genau das Ausmaß, in dem gerade andere Industrieländer investieren. Die USA haben ein 1-Billion-Investitionsprogramm aufgelegt, China investiert gerade 774 Milliarden Euro. Wir machen all das nicht. Und das Verrückte ist, wenn der Staat diese Summe morgen aufnehmen würde, hätten wir immer noch die geringste Schuldenquote von allen Industrieländern.
taz: Trauen Sie Olaf Scholz zu, der als Finanzminister sehr stark auf die Schuldenbremse gepocht hat, dass er sich für eine derart massive Reform einsetzt, die die Aufnahme solcher Summen erlaubt?
Türmer: Ich glaube, da hat er seine Meinung geändert. Am Ende ist die Koalition an der Schuldenbremse zerplatzt.
taz: Sie fordern auch eine WG-Garantie von 400 Euro. Wieso nicht gleich einen generellen Mietendeckel?
Türmer: Der steht auch in unserem Antrag. Aber wir machen ja vor allen Dingen Politik für junge Menschen. Und die finden im Moment einfach gerade in den großen Städten keine WG-Zimmer mehr, die sie sich noch leisten können. Und das ist inakzeptabel.
taz: Ministerin für Bauen und Wohnen ist Klara Geywitz von der SPD. Gab es da Versäumnisse?
Türmer: Offensichtlich. Beim sozialen Wohnungsbau und auch bei Azubi- und Studierendenwohnheimen, da ist auch etwas passiert. Aber wir wollten 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen. Das haben wir nicht geschafft. Da muss dringend mehr passieren.
taz: Mit welcher progressiven Erzählung sollte die SPD in diesen Wahlkampf ziehen? Es reicht doch nicht, zu fordern: „Wir müssen verhindern, dass Friedrich Merz ins Kanzleramt einzieht.“
Türmer: Wir wollen dieses Land rundum sanieren, so dass niemand über das WLAN in der Bahn verzweifelt, man nicht überall im Stau steht und nirgendwo einfach mal so eine Brücke zusammenbricht. Und gleichzeitig wollen wir endlich wieder für Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land sorgen. Es ist inakzeptabel, dass jemand mit mittlerem Einkommen rund 50 Prozent an Steuern und Sozialabgaben zahlt, aber Milliardär*innen, die von ihren Kapitalerträgen leben, pauschal nur 25 Prozent auf diese Kapitalerträge zahlen. Ich will, dass wir wieder in einem Land leben, in dem wieder neuer Wohlstand erarbeitet und nicht nur alter vererbt wird. Ich finde, das ist eine starke Erzählung.
taz: Die SPD soll sich also für eine Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer oder eine Erbschaftssteuerreform starkmachen?
Türmer: Eins von beidem muss man auf jeden Fall machen.
taz: Scholz hat sich nicht gerade damit hervorgetan, dass er für eine Vermögenssteuer gekämpft hat oder für eine faire Besteuerung von Erbschaften.
Türmer: Beides ist Beschlusslage der SPD. Wenn wir eins aus den letzten zwei Wochen mitnehmen, dann, dass Olaf Scholz der Kanzlerkandidat der SPD sein will. Dann gehe ich auch davon aus, dass er mit diesen SPD-Beschlüssen in den Wahlkampf zieht.
taz: Haben Sie auch Gelegenheit, ihm das persönlich zu sagen?
Türmer: Bestimmt. Wir sind miteinander verabredet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“