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Juristin über die Neuregelung von § 219a„Das ist völlig widersprüchlich“

Erstmals seit der Paragraf geändert wurde, steht wieder eine Ärztin vor Gericht. Juristin Ulrike Lembke über die Chance, dass es noch zu einem besseren Gesetz kommt.

Jahrzehntealte Forderungen, die in ihrer Aktualität nichts eingebüßt haben Foto: imago-images/IPON
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Lembke, die Berliner Ärztin Bettina Gaber ist die Erste, deren Fall nach der Neuregelung des Paragrafen 219a verhandelt wird. Angeklagt war Gaber aber schon zuvor. Welches Recht kommt zur Anwendung, das neue oder das alte?

Ulrike Lembke: Das neue, weil es milder ist. Mit der alten Regelung war sanktionierbar, als ÄrztIn überhaupt zu sagen, dass man Schwangerschaftsabbrüche macht. Das war keine Grauzone, wie oft behauptet wird, sondern völlig unstreitig. Jetzt ist zumindest erlaubt, diese Tatsache mitzuteilen.

Gaber hat den relevanten Satz auf ihrer Website leicht verändert. Heute steht dort: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber.“

Das wird ihr nicht helfen. Es ist ja weiterhin verboten, über die Art und Weise zu informieren, wie Abbrüche durchgeführt werden. Nicht dass das sinnvoll wäre – aber sie darf nur schreiben: „Ich nehme Schwangerschaftsabbrüche vor.“ Ich gehe davon aus, dass sie verurteilt wird.

Ein anderer Fall – derjenige der Ärztin Kristina Hänel, deren Anklage die Debatte um den Paragrafen ins Rollen brachte – liegt beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Es entscheidet in nichtöffentlicher Sitzung über ihre Revision, das Urteil wird derzeit erwartet. Sollte sie schuldig gesprochen werden, will sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um den Paragrafen 219a zu kippen. Wie stünden ihre Chancen?

Hier gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte sich das Gericht schlicht den § 219a an sich anschauen. Unangemessene Werbung verbietet das deutsche Recht für ÄrztInnen ohnehin, und warum es hier eine Sondernorm gibt, überdies aus dem Strafrecht, ist schwer zu begründen. Wenn das Gericht sich also darauf bezieht, stünden die Chancen ziemlich gut. Ich glaube aber nicht, dass es das tut.

Sondern?

Die wahrscheinlichere Möglichkeit wäre, dass das Gericht argumentiert, der § 219a gehöre untrennbar zur Gesamtregelung in den § 218 ff, die den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland verbieten und Ausnahmen von diesem Verbot regeln. Das Urteil wäre dann eine Entscheidung über das Schutzgut des ungeborenen Lebens. Diese Setzung würde aber wiederum mich nicht überzeugen.

Warum nicht?

Dafür muss man sich die Rechtsgeschichte etwas genauer anschauen. Der § 219a wurde im Nationalsozialismus 1933 eingeführt. Den Nazis war es bevölkerungspolitisch ein Anliegen, Abtreibung unter den „arischen Volksgenossinnen“ extrem einzuschränken, später unter Androhung der Todesstrafe ganz zu verbieten. ÄrztInnen, sehr oft jüdisch, atheistisch oder sozialistisch, erwischte man aber schneller, indem schon Informationen über Abbrüche verboten wurden – deshalb der § 219a. Letztmals wesentlich geändert wurde der Paragraf 1974 im Zuge der Diskussion um eine bundesdeutsche Fristenregelung, um der Befürchtung zu begegnen, dass Schwangerschaftsabbrüche nun kommerzialisiert und normalisiert würden. Mit der heutigen Regelung in §§ 218 ff, wie sie seit 1995 im Strafgesetzbuch steht, hat § 219a insofern nichts zu tun. Der § 219a von 1974 wurde dabei übernommen, ohne dass auch nur ein Wort darüber gesprochen wurde.

Wie entstand die heutige Regelung des Paragrafen 218?

Der Paragraf steht seit 1871 im deutschen Strafgesetzbuch. Die heutige Regelung entstand nach der deutschen Einheit. Mit dieser prallten zwei völlig verschiedene Rechtslagen und Vorstellungen von der Rolle der Frau in der Gesellschaft aufeinander. Am Ende einer der längsten Bundestagsdebatten der Geschichte stand im Juni 1992 mit großer fraktionsübergreifender Mehrheit die Fristenlösung mit Beratungspflicht. Das Bundesverfassungsgericht akzeptierte das aber nicht und gab detailliert den Inhalt jener Regelungen vor, die 1995 als §§ 218ff in Kraft traten. Im Urteil legte das Gericht auch fest, dass eine ungewollt Schwangere die Pflicht hat, die Schwangerschaft auszutragen. Wenn ich das meinen Studierenden sage, glauben die, ich mache Witze. Aber das steht da, das gilt und das ist auch so gemeint. Als Frau liest man das einmal und vergisst es nie wieder.

Im Interview: Ulrike Lembke

ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied im Vorstand des Deutschen Juristinnenbundes.

Wie wird diese Austragungspflicht legitimiert?

Mit dem Lebensschutz. Aber es gibt einen großen Denkfehler. Die Idee der grundrechtlichen Schutzpflicht geht davon aus, dass sich der Staat schützend zwischen zwei Personen stellt und verlangt, dass die eine die Beeinträchtigung der anderen unterlässt. Aber hier ist es juristisch kategorial anders: Die ungewollt Schwangere und der Embryo sind nicht trennbar. Solange ein Fötus mit dem Körper der Schwangeren verbunden ist, gibt es kein Dreieck, sondern ein bilaterales Verhältnis von ungewollt Schwangerer und Staat. Von der ungewollt schwanger Gewordenen wird überdies nicht nur ein Unterlassen ­verlangt, sondern dass sie gegen ihren Willen ihren Körper dem Embryo zur Verfügung stellt.

Der Staat greift auf ihren Körper zu?

Das gesamte deutsche Recht kennt kein Leistungsrecht an Körpern. Man kann nicht einmal zu Blutspenden gezwungen werden, auch nicht, wenn direkt nebenan jemand stirbt. Aber dieser Widerspruch wird nicht thematisiert. Das ist das Schöne, wenn man das Bundesverfassungsgericht ist: Man beantwortet nur die Fragen, die man sich selbst stellt.

Wo bleiben die Grundrechte der Frau?

Die Gerichtsmehrheit – vier Männer und eine Frau – benennt zwar die Grundrechte der Frau, setzt sich aber nicht wirklich damit auseinander. Sobald der Embryo ins Bild kommt, ist die Frau irgendwie weg. Ein Problem im deutschen Rechtsdiskurs zum Schwangerschaftsabbruch ist, dass er extrem homogen ist. Es gibt so gut wie keine juristische Literatur in Deutschland, die eine andere Position einnimmt.

Woher kommt der Gedanke vom schützenswerten Embryo?

Das hat vermutlich auch mit dem deutschen Muttermythos zu tun. Das Bundesverfassungsgericht rekurriert auf sein Urteil von 1975, eines der sexistischsten überhaupt. Die natürliche Bestimmung der Frau ist demnach die der Mutter, und die ungewollt Schwangere hat die Pflicht, diese Rolle zu übernehmen. Bei den Debatten im Bundestag 1992 berief man sich dann auf ein humanitäres Menschenbild und sagte, es stünde dem Staat nicht zu, über den Wert von Leben zu entscheiden. Korrekt – aber es steht ihm auch nicht zu, über den Körper seiner Bürgerinnen zu entscheiden.

Zurück zu Kristina ­Hänel: Wenn das Bundesverfassungsgericht also argumentieren würde, das Schutzgut von 219a sei das ungeborene Leben – was dann?

Dann würde es eigentlich sehen müssen, dass die Neuregelung vom Februar 2019 in sich völlig widersprüchlich ist: Wie sollte § 219a denn ungeborenes Leben schützen, indem ÄrztInnen ausgerechnet nicht über die Methoden von Abbrüchen informieren dürfen – aber über die Tatsache, dass sie Abbrüche machen, schon? Und wie soll die ärztliche Versorgung ungewollt Schwangerer – ein Kernstück der Regelung von 1995 – denn weiterhin funktionieren, wenn ÄrztInnen kriminalisiert werden? Schwierig wird es für Hänel, wenn das Gericht sein Urteil von 1993 zugrunde legt und sich auf den Schutz des ungeborenen Lebens bezieht. Ich bin insgesamt also skeptisch, was die Erfolgsaussichten angeht. Aber ich lasse mich gern überraschen.

Paragraf 219a

Im November 2017 wird die Allgemeinärztin Kristina Hänel zu einer Strafe von 6.000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche macht. Das ist ÄrztInnen nach Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verboten.

Die Debatte geht weiter. Obwohl es im Bundestag eine Mehrheit zur Streichung des Paragrafen gibt, lässt sich die SPD nicht auf eine interfraktionelle Abstimmung ein.

Im Februar 2019 stimmt der Bundestag für eine Neufassung des Paragrafen. Die Ärztin Bettina Gaber wird am Freitag die Erste sein, die seitdem vor Gericht steht.

Was müsste passieren, damit das Bundesverfassungsgericht sich noch einmal grundsätzlich mit dem 218 beschäftigt?

Eine direkte Verfassungsbeschwerde ist nicht möglich, die Frist dafür ist längst abgelaufen. Verurteilungen wie beim § 219a sind unwahrscheinlich. ÄrztInnen in Deutschland halten sich natürlich an die Regeln und Ausnahmeregeln in §§ 218 und § 218a. Es müsste also der Gesetzgeber ran, was derzeit ebenfalls sehr unwahrscheinlich ist. Allerdings könnte das Bundesverfassungsgericht anlässlich der Entscheidung zu § 219a auch etwas zum § 218 sagen, wenn es das gern möchte. Ich glaube aber nicht, dass das passiert.

Vor fast 40 Jahren wurde die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen Cedaw beschlossen. Seitdem ermahnt der Ausschuss, der die Einhaltung der Konvention überwacht, Deutschland immer mal wieder. Warum?

Der Cedaw-Ausschuss sagt seit Langem, in Deutschland müsse es sichere und legale Wege zu Schwangerschaftsabbrüchen geben. Die Pflichtberatung und die Bedenkfrist sollten abgeschafft und Schwangerschaftsabbrüche von den Krankenkassen bezahlt werden. Der Ausschuss bezieht sich dabei auch auf die Weltgesundheitsorganisation, die sagt, die deutsche Regelung bevormunde Frauen.

Verstößt Deutschland damit gegen internationale Verträge?

Die Konvention ist nicht genau dasselbe wie das, was der Ausschuss sagt. Die Konvention bindet Deutschland rechtlich, der Ausschuss interpretiert die Konvention. Aber wenn Deutschland behaupten will, es halte sich ans Völkerrecht, muss es schon gut begründen, warum es meint, Cedaw besser zu verstehen als der dafür zuständige UN-Ausschuss.

Wer könnte eine solche Begründung einfordern?

Der Cedaw-Ausschuss selbst. Er wartet seit Monaten auf Antwort, was die Bundesregierung in Sachen Schwangerschaftsabbruch zu tun gedenkt. Aber die stellt sich tot. Nun kann man Deutschland nicht ohne Weiteres verklagen. Aber ungewollt Schwangere oder auch vom Informationsverbot betroffene ÄrztInnen könnten über Individualbeschwerden vor dem Cedaw-Ausschuss nachdenken. Und die Zivilgesellschaft muss der Bundesregierung immer wieder klarmachen, dass diese zwar anderen Staaten gern Vorschriften macht, sich aber selbst nicht an internationales Recht hält. Das wären Möglichkeiten, auch im deutschen Recht etwas zu verändern.

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20 Kommentare

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  • Pflichtberatung, Bedenkfrist und Fristenlösung waren ein Kompromiss, was man v.a. daran sieht, dass er beiden Seiten weh tut. Dennoch hat er ca. 100.000 Abtreibungen (pro Jahr!!) nicht verhindert. Was völlig fehlt ist die Debatte, wie so viele ungewollte Schwangerschaften verhindert werden könnten, damit die Eltern erst gar nicht entscheiden müssen. Es wird ja so allerhand über Sexualkunde in den Schulen diskutiert, aber verantwortungsvoller Umgang mit Sexualität kommt eindeutig zu kurz.

  • Hier in Frankreich haben wir eher das Problem, dass eine Schwangerschaftsberatung mit vielen gesetzlichen, teils strafrechtlichen Unwägbarkeiten verbunden ist.

    Ein Musiker der kürzlich ein Video auf YouTube geschaltet mit keinem Wort eine Abtreibung erwähnt oder gar zeigt, wurde massiv in seinem Umfeld angegriffen, Polizeieinschüchterung vor der Haustür etc. Einziger Grund er hatte das Video den Mère de Miséricorde gewidmet, die unter großem Druck in Frankreich Schwangere beraten.

  • Dass die Schwangere und der Fötus eins seien, ist mir ein wenig zu kurz gegriffen, die Rekursion auf die Nazivergangenheit des § 219a auch.

    Zum Einen ist es durchaus schwierig zu begründen, dass das individuelle Lebensrecht des Kindes erst mit der Möglichkeit eines selbständigen (oder auch erst mit Geburt) Überlebens gegeben sein soll. "Selbständig lebensfähig" gilt auch nicht für Schwerverletzte und Komapatienten als Maßstab, warum also bei Ungeborenen?

    Jedenfalls gibt es ohne Ende anderer Definitionen davon, was "menschliches Leben" genau ausmacht. Da ist von Individualität die Rede, von der Ausbildung wesentlicher Organe, von der "Seele" - also von diversen zum,indest überlegenswerten Kriterien, die völlig unabhängig davon sind, ob der Fötus ohne die Mutter existieren könnte oder nicht. Die lapidare Feststellung, die "Untrennbarkeit" (klar sind sie trennbar, das ist ja das Problem) unterbinde die Unterstellung eines eigenen, separat zu schützenden Lebensrechts, kehrt leider die meisten davon schlicht unter den Teppich. So kann man polemisieren, aber die Lebenschützer - und zwar nich tdie radikalen Glaubenskrieger, sondern auch die berufsmäßigen Lebens- und Allesandereschützer in Karlsruhe - wird man so nicht überzeugt bekommen.

    Was die Herkunft des § 219a betrifft: Die ist systematisch eigentlich irrelevant. Das Verfassungsgericht hat 1995 einen Kompromiss gestrickt, der auf dem aufbaute, was im Gesetz stand und erklärte, wie das geändert werden muss, um die Rechte der Mutter und des Fötus ordentlich gegeneinander abzuwägen. Man kann also davon ausgehen, dass die Regel an sich - unabhängig davon, wer sie mal ins Gesetz geschrieben hat - gewollter Teil des Schutzsystems ist. Dass der 219a dagegen bei einer solchen kleinteiligen Generalrevision "einfach so" unbeachtet durchgeschwommen sein soll, ist - milde ausgedrückt - reichlich unwahrscheinlich.

  • Zzu einem Zeitpunkt, in das Kind bzw. der Foetus mal so gerade lebensfaehig sein koennte, hat die Schwangere nach dieser Argumentation ebenfalls das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Mit der Folge, dass das Leben des Kindes wohl gerettet werden sollte, dafuer monatelange intensivmedizinische Betreuung benoetigt wird und das Fruehchen mit erhoehter Wahrscheinlichkeit eine Behinderung oder sonstige lebenslange Gesundheitsschaeden abbekommt. Man koennte das zynischerweise zulassen, weil es kein Recht auf den Koerper der Frau gibt, sie dann aber zum Schadenersatz in Geld verpflichten, weil sie dieses Ergebnis mutwillig herbeigefuehrt hat, und da geht es um hunderttausende Euro je Fruehstgeburt. Uebrigens gibt es durchaus hoechtppersoenlich zu leistenden Pflichten im Gesetz, z.B. zu Erster Hilfe und frueher, mit dem eigenen Koerper zum Wehrdienst zu erscheinen.

  • Eine Schwangerschaft kann unfreiwillig beginnen. Ungefaehr ab dem dritten Monat muss man aber im Regelfall davon ausgehen, dass die Frau freiwillig immer noch schwanger ist. Damit war es auch ihre eigene Entscheidung, den anfaenglichen Zellklumpen zu einem Wesen heranreifen zu lassen, dass dann irgendwann eben auch Rechte hat. Die Argumentation mit der unfreiwilligen Schwangerschaft zieht daher nur begrenzte Zeit.

  • Sehr gute Frage Haresu! Gegenfrage an dich: Wieso lese ich sowas eigentlich noch? I can't believe I still have to read and protest this sh*t! Und mit sowas meine ich DEINE undifferenzierte Perspektive auf eine argumentativ scharfe Ausführung, die einem patriarchale Unterdrückungmechansimen von Frauen* in ihrer Souveränität über ihre Körper und Lebensentwürfe durch die Jahrhunderte gewachsen treffend vor die Augen führt. Und guess what? Auf den Straßen findet man grade zu Hauf Menschen, die Menschen wie Ulrike Lembke glauben (unglaulich, oder?), diese Strukturen anprangern und etwas entgegenstellen wollen. Ich glaube, man nennt das Feminismus.



    Die Argumentationskulisse ist ein passender Begriff, wenn man Kommentare wie deinen liest, und nicht die fundierte und auch (Obacht!) sehr differenzierte Analyse einer Expertin, die sich mit Rechtsprechung und historisch gewachsenen Geschlechter-Bildern auseinandersetzt und diese in Verbindung zueinander sieht. Jetzt echt mal, was kannst du schon für Argumente aufbringen? Dass ein Fötus am Ende schützenswerter ist als die körperliche Selbstbestimmung eines schon existierenden Menschen? Das Subjekt, mit dem der Staat interagieren soll, ist einzig die schwangere Person, und zwar in dem Sinne, dass der Staat ihr alle Freiheiten zugesteht, mit ihrem Bauch und Leben so umzugehen, wie sie es für richtig hält. An alle ignoranten Menschen, die die Kommentarfunktion hier nutzen: lasst euch mal lieber endlich auf eine solidarische Perspektive ein. 1933 ist zum Glück Vergangenheit, Paragraph 219a sollte das also auch sein. Mit der "Nichtlösbarkeit des Konflikts" und staatlicher Mitmischung in MEINEM Uterus gebe ich mich nicht einfach ab. My body, my choice!

    • @FeminismusFetzt:

      Die Analyse von Frau Lembke ist leider alles Andere als fundiert und differenziert. An den beiden entscheidenden Punkten greift sie auf - wie sie selbst zugibt, von Juristen beiderlei Geschlechts äußerst selten so vertretene - Totschlagargumente zurück und entzieht sich somit dem differenzierten Diskurs (vgl. mein Posting oben). Auch macht sie die schlicht falsche Behauptung über die aktuelle Lösung, in der wären die Rechte der Frau irgendwo unter den Tisch gefallen (wäre das so, könnte jede Abtreibung ganz einfach und klar gekantet wie Totschlag bestraft werden).

      Was @Haresu richtig herausstellt, ist dass es eben nicht richtiger wird, nur weil man die die Lösung schön einfach schwarz-weiß malt ("my body, my choice" u. ä.). Das "ungebetene Gast" im Uterus ist eben nicht "Teil des Körpers der Mutter" - was spätestens klar wird, wenn man ihn entfernt und der Körper der Mutter danach immer noch komplett ist. Die Frage, welche Rechte man dem Fremdkörper zugesteht, ist daher wirklich ZUNÄCHST mal eine getrennte von der Willensfreiheit der Schwangeren. Die kommt erest wieder ins Sopiel, wenn es gilt, etwaige Rechte des Fremdkörpers gegen sie abzuwägen.

  • Ich denke nicht daß das Verfassungsgericht befugt ist, aus einer nicht strafbaren Sache eine irreparabel unrichtig strafbare Sache zu machen. So totalitär sind wir nicht, wollen wir nicht, können wir nicht, machen wir nicht. Nicht jeder Empfehlung eines Bundesverfassungsgericht ist in dem Fall Folge zu leisten. Im Falle einer ungewollten Schwangerschaft hat die optionale Abtreibung gemäß internationalem Standard in jedem gewünschten Fall geprüft und beraten zu werden.

  • Wieso lese ich so etwas eigentlich noch? Immer das Gleiche und immer alles schön undifferenziert. Der Lebensschutz- Auftrag hat irgendwas mit einem Muttermythos zu tun und ist im übrigen natürlich dem bevölkerungspolitischen Denken der Nazis entsprungen. Echt jetzt? Das soll die Sicht der Männer und Frauen des Bundesverfassungsgerichts heute noch prägen? Glaubt das irgend jemand wirklich? Das ist doch nur Argumentationskulisse. Gänzlich falsch wird es dann, so zu tun als gäbe es überhaupt kein eigenes Recht des ungeborenen Lebens und als ginge es ausschließlich um ein von Rechtsverhältnis zwischen Staat und Frau. Das ist reine Behauptung. Man kann das vielleicht so sehen, ist damit aber klar in der Minderheit und von irgendeiner Selbstverständlichkeit dieser Sicht kann gar keine Rede sein. Die Mehrheit der Menschen ist der Meinung, dass es zwei Rechte gibt und dass es ein brauchbarer Ansatz ist wenn der Stast sich einmischt beim Verhandeln dieser Rechte und dass, da beide Rechte gegensätzlich sein können, man einfach mit der Nichtlösbarkeit dieses Konflikts leben muss.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Die Entstehung und Motivation für den Paragraphen sind durchaus von Belang, würde ich meinen - auch wenn diese heute weniger völkisch hergleitet werden. Gleichgeblieben ist die Funktion bzw. die Folge der Paragraphen: die Kontrolle des Staates über die schwangere Person bzw. die Einschränkung der Selbstbestimmung jener. Ich denke schon, dass die große Zahl (abseits Konservativer) gebährfähiger Personen selbst über ihren Körper bestimmen will und junge Menschen gebährfähigen Personen die Entscheidung überlassen wollen. Hieraus entsteht eine Opposition gegenüber der aktuellen normativ regulierenden/fremdbestimmenden und kriminalisierenden Situation. Entsprechend gibt es Kritik/Protest u.a. an den veralteten Paragraphen, der Aufklärung und Information über medizinische Unterstützung massiv einschränkt. Insofern ist der Kampf der Feminist*innen/Ärzt*innen notwendig und unterstützenswert.

      • @Uranus:

        Nein, nicht die Funktion des Gesetzes ist gleich geblieben sondern allenfalls seine Wirkung ähnlich. Die Kontrolle über die Frauen ist Ergebnis aber nicht Ziel der Gesetze. Letzteres zu glauben ist zwar naheliegend und nachvollziehbar, hier geht es aber nicht um die Unterdrückung der Frauen im Allgemeinen, sondern um eine Abwägung von Rechten. Die von Frauen werden dabei verletzt, die von Embryos geschützt. Rechtsnormen zur Abtreibung gab es immer schon, seit der Antike, aus besseren und schlechteren Gründen, aber jedenfalls hat die Gesellschaft immer gemeint, diese Frage irgendwie regeln zu müssen. Übrigens sind auch sehr liberale Regelungen Erlaubnisse und Erlaubnisse sind eben auch nur Bevormundungen. Die Tatsache, dass die deutsche Gesetzgebung einige Formulierungen von den Nazis übernommen hat sollte jedenfalls nicht ständig als Waffe gegen die jetzige Regelung benutzt werden.



        Informationen will ich übrigens keineswegs einschränken, der 219 gehört komplett abgeschafft, er ist reine Heuchelei. Und natürlich gehört er nicht untrennbar zur Gesamtregelung. Umso mehr ärgere ich mich dann aber auch immer wieder, wenn diese Verklammerung auch von feministischer Seite aufrechterhalten wird, wenn so getan wird als würde die Unsinnigkeit und Obzönität des 219 gleich auch die Nichtberechtigung des 218 beweisen. Von mir aus kann man übrigens auch den 218er komplett abschaffen, es wäre mindestens einen Versuch wert. Ich habe aber überhaupt keine Lust mir erzählen zu lassen, dass es kein Problem gibt, kein Dilemma zwischen zwei Rechten, nicht Zwei sondern nur Eine und die solle machen was sie will. Es gibt nicht einfach nur ein Problem der Fremdbestimmung, man kann das nicht einfach behaupten.

        • @Benedikt Bräutigam:

          "Rechtsnormen zur Abtreibung gab es immer schon, seit der Antike, aus besseren und schlechteren Gründen, aber jedenfalls hat die Gesellschaft immer gemeint, diese Frage irgendwie regeln zu müssen."



          Was sieht denn aber das "Problem der Fremdbestimmung" in der Realität aus? Erwähnt sollte werden, dass es ebenso seitjeher ungewollte Schwangerschaften und schwangere Personen gibt, die die Schwangerschaft abbrechen wollen. In der Vergangenheit und in Ländern mit frauenfeindlicheren Gesetzen/ungenügender medizinischer Versorgung sterben schwangere Personen bei dem Versuch, selbst abzutreiben. Die WHO schätzt die Zahl auf 47.000 pro Jahr weltweit (Stand 2008) - abgesehen von Verletzungen und der möglichen Folge später geplant nicht mehr schwanger werden zu können. Auch heute gibt es keine 100 prozentig sichere Verhütungsmethode und unterschiedliches Wissen darüber. Selbst in Deutschland ist der Zugang zu medizinischer Unterstüzung bei Schwangerschaftsabbrüchen eingeschränkt, wie die TAZ bereits berichtete.

      • @Uranus:

        Falsch! Der Staat - d.h. sein Souverän, also das Volk, in dessen Namen die Gesetze gemacht werden - will ungeborenes Leben schützen. Da gibt es Argumente dafür und dawider.



        Bitte unterstellen Sie nicht vermeintliche Motive und Absichten, ohne die Position der einzelnen Menschen genau zu kennen. Es verweist ja auch niemand darauf, dass es sicherlich Ärztinnen und Ärzte gibt, die Abtreibungen lediglich wegen des finanziellen Vorteils machen wollen (und davon gibt es sicherlich auch auch den/die eine(n) oder andere(n)

        • @Emmo:

          "Der Staat - d.h. sein Souverän, also das Volk, in dessen Namen die Gesetze gemacht werden"



          Das ist meines Erachtens aber nicht deckungsgleich zu sehen. Es sind ja nicht 100 % für diese Regelung. Zweitens sind 50% von den gesetzlichen Bestimmungen, für die diese gelten sollen, nicht betroffen, da sie nicht schwanger werden können. Trotzdem meinen einige von jenen, darüber bestimmen zu dürfen/können. Das spiegelt auch patriarchale Verhältnisse wider, die sich auch in religiösen bzw. von diesen abgeleiteten Vorstellungen widerfinden. Nicht gerade emanzipatorisch würde ich meinen ...

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ich wünsche mir, an einem Tag aufzuwachen, an dem keine Merkel mehr mit ihrem Rucksack CDU/CSU/SPD an der Regierung ist und Frauen ihren Wünschen und Bedürfnissen und Ärzte ihren Aufgaben nachgehen dürften.



    Aber es wird ein sehnsüchtiger Traum bleiben. Rechts regiert die Welt. Und Rechts bestimmt, wann welches Kind auf die Erde kommen darf.

    • @91672 (Profil gelöscht):

      "Und Rechts bestimmt, wann welches Kind auf die Erde kommen darf."

      Genau nicht. Das bestimmt auch weiter maßgeblich die Mutter des Kindes. Die Staatsgewalt - ob rechts oder links oder wie auch immer gesteuert - kann allenfalls konstatieren, dass grundsätzlich JEDES Kind zur Welt kommen dürfen sollte, und reagieren, wenn eine Mutter ein Kind NICHT zur Welt kommen lassen will.

      An dieser grundsätzlichen Machtverteilung will glaube ich auch niemand etwas ändern - zumal das ja auch rein biologisch nicht möglich ist. Es geht nur darum, ab wann ein Kind ein Kind ist, bzw. ab wann man der Mutter zumuten kann, es als solches zu behandeln und seine Rechte zu achten. Und ja, es geht um (Menschen-)Rechte, und damit um einen Aufgabenbereich des Staates, in dem er nicht einfach die Hände in den Schoß legen und unterstellen darf, dass die Hauptbetroffene deren Wahrung schon am besten allein hinkriegt.

      Das würde auch eine links-grüne Regierung nicht so ohne Weiteres ändern können.

    • @91672 (Profil gelöscht):

      Es ist nun mal fuer ein Kind gesuender, wenn es nach neun Monaten auf die Welt kommt , als im sechsten Monat, wo es anschliessend intensivmedizinische Betreuung benotigt.

      • 9G
        91672 (Profil gelöscht)
        @meerwind7:

        Aber in einer CDU-Republik zur Welt zu kommen, ist wahrhaftig kein Zuckerschlecken. Denn dann darf man vielleicht mit Glyphosath-Kartoffeln genährt noch die Schule und ein paar Jahre unbezahlte Lehre durchstehen. Dann aber ist Schluss. Rente gibts deshalb nicht mehr, weil Frau Merkel die Klimafrage vergessen hatte.

  • Mein Körper, mein Leben meine Wahl. Verständlich und doch ziemlich vermessen, da man über ein anderes Leben entscheidet. Wie auch immer, in dem Punkt wünsche ich niemanden, diese Wahl treffen zu müssen. Egal wie, es wird nie einen Königsweg geben. Ich bin nur gespannt, wie dieses Dilemma mal gelöst wird.

    • @Merke:

      Wenn aber Jemand diese unendlich schwierige Entscheidung einmal getroffen hat, dann sollte sie aber auch die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen, ohne das sich dafür wieder Welche strafbar machen müssen. Schöner war es für den konservativen Religioten natürlich früher, da lief das für anständige Leute unsichtbar anonym im Hinterzimmer bei der Engelmacherin ab, genauso herrlich verdrängbar wie das, was der Pfarrer mit den Ministranten machte.