Juristin über Bahnstreik: „Streiks müssen wehtun“
Die Lokführergewerkschaft GDL will wieder streiken. Streikrecht habe Vorrang vor Reiseplänen der Bahnkunden, sagt Rechtsprofessorin Lena Rudkowski.
taz: Frau Rudkowski, die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) will in dieser Woche streiken, um eine 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Welche rechtlichen Vorgaben muss die GDL beachten?
Lena Rudkowski: Das Streikrecht ist nicht gesetzlich geregelt. Es gibt nur Vorgaben der Gerichte, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts. Im Kern verlangt dieses, dass ein Streik verhältnismäßig ist. Das heißt: der Streik muss erforderlich und angemessen sein.
37, ist Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Uni Gießen. Sie promovierte zu „Streik in der Daseinsvorsorge“.
Was ist besonders, wenn die Deutsche Bahn bestreikt wird?
Der Bahnverkehr gehört wie Krankenhäuser und Kitas zur sogenannten Daseinsfürsorge. Es wird also nicht die Produktion eines Industrieunternehmens bestreikt, sondern ein Dienst für die Allgemeinheit.
Wie wird dort die Verhältnismäßigkeit geprüft?
Bei einem Bahnstreik wird das Streikrecht, das im Grundgesetz ja vorbehaltlos gewährleistet ist, mit verfassungsrechtlichen Positionen der Bahnkunden abgewogen. Dass Bahnkunden nicht zum eigentlich gewünschten Zeitpunkt fahren können, ist ein Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit. Das hat aber keinen Vorrang vor dem Streikrecht, denn Streiks müssen ja wehtun, sonst wären sie irrelevant.
Bestreikt wird wahrscheinlich auch der Güterverkehr. Wie sieht es hier aus?
Wenn der Güterverkehr zu lange ausfällt und wichtige Rohstoffe oder Bauteile fehlen, können ganze Branchen lahmgelegt werden. Hier kommt es sehr auf die Dauer des Streiks an, ob er noch verhältnismäßig ist. Vermutlich deshalb hat die GDL angekündigt, dass der kommende Streik maximal fünf Tage dauern soll.
Welche Bedeutung haben Notdienste?
In der Daseinsfürsorge sind Notdienste erforderlich, um ein Mindestmaß an Leistungen zu gewährleisten. Meist einigen sich Arbeitgeber und Gewerkschaft geräuschlos auf solche Notdienste oder die Gewerkschaft richtet sie von sich aus ein. Ob auch im kommenden Bahnstreik der eine oder andere Zug fahren wird, ist noch offen.
Kann die Bahn vor Gericht klagen, um einen Streik als unverhältnismäßig verbieten zu lassen?
Grundsätzlich kann sie das. Allerdings ist die Rechtsprechung seit den nuller Jahren eher gewerkschaftsfreundlich. Früher galt ein Streik als Ultima Ratio, als letztes Mittel. Heute wird den Gewerkschaften ein Beurteilungsspielraum zugestanden, wann ein Streik erforderlich und angemessen ist.
Haben entsprechende Eilanträge der Arbeitgeber also gar keine Chance mehr?
Solche Anträge haben sehr selten Erfolg. Aber es gibt Ausnahmen. 2021 beanstandete das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einen Warnstreik in zwei Kliniken, weil kein Notdienst vorgesehen war. Den hat dann das Gericht angeordnet.
Von konservativer Seite wird oft gefordert, das Streikrecht zumindest im Bereich der Daseinsfürsorge gesetzlich zu regeln. Wäre das sinnvoll?
Gesetzliche Regelungen haben den Vorteil, dass sie transparenter sind als reines Richterrecht. Allerdings sind die Interessenunterschiede zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften im Streikrecht so groß, dass es für den Gesetzgeber bequemer ist, die Vorgaben auch künftig den Gerichten zu überlassen. Manche Forderungen, etwa eine Vorwarnpflicht für Streiks in der Daseinsfürsorge, erfüllen die Gewerkschaften inzwischen meist freiwillig. Auch die GDL hat den kommenden Streik vorher angekündigt, damit sich Bahnkunden darauf einstellen können.
Vorige Woche hat die Deutsche Bahn beim Landesarbeitsgericht Hessen eine Feststellungsklage erhoben, weil die GDL nicht mehr tariffähig sei. Worum geht es da?
Die GDL hat voriges Jahr eine Leiharbeitsgenossenschaft namens Fair Train gegründet, die der Bahn Beschäftigte abwirbt, um sie ihr dann zu besseren Konditionen auszuleihen. Die Bahn argumentiert nun, dass die GDL damit selbst Arbeitgeberin sei, daher ein Interessenkonflikt vorliege und sie deshalb als Gewerkschaft keine Tarifverträge mehr erstreiten könne.
Welche Auswirkungen hat dieser Rechtsstreit auf den kommenden Bahnstreik?
Voraussichtlich hat das keine Auswirkungen. Die Bahn hat keinen Eilantrag gestellt. Das Verfahren wirft auch viele neue Rechtsfragen auf. Bis über die Klage der Bahn entschieden ist, kann es noch einige Zeit dauern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance