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Junge Menschen und ArbeitFreizeit statt Bullshit

Fleißig genannt zu werden ist oft ein Synonym für Überstundenmachen. Unsere Autorin hat keine Lust mehr darauf. Wertvoll ist für sie vor allem Zeit.

Zeit ist wertvoll – wozu sie also im Büro verbringen? Foto: Florian Gaertner/photothek.de/imago

M anchmal frage ich mich, woran man merkt, dass man alt ist. Für meine Kinder bin ich jetzt schon steinalt. Für manche berufliche Chancen, für viele Stipendien etwa, bin ich zu alt mit meinen 37 Jahren. Für viele Stipendien, für die ich nicht zu alt bin, bin ich zu Mutter.

Ich fühle mich gar nicht mehr so jung. Könnte mit diesem Elternsein zu tun haben. Viele Leute sagen trotzdem „junge Frau“ zu mir. Letztens wurde ich sogar nach meinem Ausweis gefragt, als ich eine Flasche Wein kaufen wollte.

Per Definition bin ich Millennial. Und ob ich mich jung fühle oder nicht, ich bin auch Teil dieser „jungen“ Menschen, die „nicht mehr arbeiten wollen“. Sofern arbeiten heißt, in – oft unterbezahlten – (Bullshit-)Jobs 40 Stunden abzusitzen, neben irgendwelchen grenzüberschreitenden Arbeitskolleg*innen, die es nie geschafft haben, sich eine Persönlichkeit außerhalb ihres Berufes zuzulegen.

Finanzieller Aufstieg fast unmöglich

Sofern es heißt, über die Arbeitszeit hinaus die obligatorischen, aber unbezahlten und oft vermeidbaren Überstunden zu leisten, damit einen jemand nach ordnungsdeutscher Art „fleißig“ und „engagiert“ nennt, wenn eigentlich gemeint ist, dass man hervorragend auszubeuten ist, weil man nie gelernt hat, seine Grenzen zu wahren, in einer Gesellschaft, in der Persönlichkeit mehr über den Beruf definiert wird als über den Charakter.

Es ist nicht so, dass ich mich nie habe ausbeuten lassen. Ich hatte nie Geld, deshalb viele schlechte Jobs und ein paar gute. Die guten waren alle schlecht bezahlt und auslaugend, am Ende also auch schlecht. Auf Dauer leidet die Gesundheit. Wenn nicht sofort, dann, wenn man in der Altersarmut hängt, weil man sein Leben lang unbezahlt „fleißig“ war und „engagiert“.

Ich glaube, viele Leute haben verstanden, dass es kaum noch möglich ist, finanziell aufzusteigen. Dass viel Geld zu haben, wenn man stirbt, auch keinen Sinn ergibt, wenn man selbst nie gelebt hat. Und dass die letzten Gedanken auf dem Sterbebett eher nicht sein werden: „Hätte ich bloß mehr Wochenstunden im Büro verbracht.“

Kopf schütteln

Ich musste erst lernen, dass meine Zeit wertvoll ist. Kinder führen die eigene Vergänglichkeit eindrücklich vor Augen. Ich musste lernen, dass ich mit Leuten, die erben werden, und ihrer Gratisarbeit nie mithalten werde können. Dass für mich Freizeit einen höheren Stellenwert haben muss, um zufrieden sein zu können mit den Beziehungen, die ich führe.

Ich gratuliere allen, die all das schon ab dem Berufseinstieg wissen. Die Ausdauer und finanzielle Mittel haben, das durchzuziehen. Ich kann nicht garantieren, dass ich nie wieder nach Feierabend „engagiert“ sein muss. Ich hab Rechnungen zu bezahlen. Aber ich versuche es.

Ich hoffe, meine Kinder werden irgendwann über die Messung von beruflichem Engagement in stündlicher Anwesenheit so sehr den Kopf schütteln wie wir heute darüber, dass man früher in Krankenhäusern geraucht hat.

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Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
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7 Kommentare

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  • Unbezahlte Überstunden sind kein Engagement, sondern ein geldwertes Geschenk des Arbeitnehmers an seine Firma. Schade, dass das nicht in umgekehrter Richtung vorkommt: Firma verschenkt Geld an seine Angestellten ohne Gegenleistung, einfach aus Engagement. Warum hört sich das eine lächerlich an und das andere nicht?

  • Wenn nach Auffassung der Autorin "Finanzieller Aufstieg fast unmöglich" ist, liegt das in erster Linie an den hohen Steern und Sozialabgaben, die in erster Linie der Rentnergeneration zufließen.

    Jetzt bekommen sie auch noch das Erdgas für ihre zum Teil großen Wohnhäuser von der jungen Generation qua Staatsverschudung bezahlt. Je wärmeliebender der Bewohner war und je schlechter isoliert das Haus, umso mehr Geld gibt es.

    Dabei wäre die Energiekrise auch eine Chance gewesen, dass mehr Senioren aus Häusern und Wohnungen in Familiengröße ausziehen, vielleicht auch verkaufen (müssen), und damit jungen einen kostengünstigeren "Aufstieg" ermöglichen.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @meerwind7:

      "liegt das in erster Linie an den hohen Steern und Sozialabgaben"

      Zuviel FDP-Wahlprogramm gelesen, wa?

      • @659554 (Profil gelöscht):

        "Zuviel FDP-Wahlprogramm gelesen?" (Marmotte27)



        Bin mir nicht sicher, aber mir scheint da steckt mehr dahinter. Diese Gier klingt ziemlich authentisch. - Gruselig!

  • und doch geht es wieder nur um Bürojobs, wo angeblich stündliche Anwesenheit die Währung für beruflichen Erfolg ist.



    Vielleicht gibt es auch Jobs in denen Erfolg und auch Lebensinhalt anders gemessen werden kann? Für einen selbst und für andere? ZB Leben gerettet oder kritische Infrastruktur aufgebaut? Oder das Klo repariert.

    • @fly:

      Das sind wohl die erwähnte "guten" Jobs die hoffnungslos unterbezahlt sind.

  • Den Satz "Ich glaube, viele Leute haben verstanden, dass es kaum noch möglich ist finanziell aufzusteigen" habe ich nicht verstanden. Soziologisch ist das keinesfalls bewiesen, der soziale Aufstieg, verbunden mit besseren finanziellen Möglichkeiten ist in den letzten 30 Jahren nahezu unverändert. Den Kindern geht es weit überwiegend nach wie vor finanziell besser als den Eltern.



    Ich verstehe die individuelle Müdigkeit und die Entscheidung bei dem ganzen Zeugs nicht mehr mitzumachen (ich bin ja selbst vor 2,5 Jahren mit 54 ausgestiegen) das Resignative ist mir aber fremd.



    Fakt ist doch: Es wird eine demographische Arbeitnehmermangelsituation kommen. In 5 Jahren allerspätestens, die Vorläufer sind doch jetzt schon überall zu sehen, Stichwort Facharbeitermangel. Wer als Junger(Inn) hier nicht mehr Chance als Risiko sieht und entsprechend 'engagiert' (sic!) zur Sache kommt, jo mei, da fehlt mir dann halt ein Fünfer!