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Jugendarbeiter über Rechtsextremismus„Wir sind nicht mehr“

Tobias Burdukat kritisiert den Hashtag #wirsindmehr. Wer in linken Projekten im ländlichen Raum unterwegs ist, wisse: So ganz stimmt das nicht.

Wer wirklich die Zivilgesellschaft gegen die Nazis mobilisieren wolle, der dürfe die Antifa nicht ausgrenzen, sagt Jugendsozialarbeiter Burdukat Foto: Verena Vargas
Barbara Junge
Bernd Pickert
Interview von Barbara Junge und Bernd Pickert

Nach den Ereignissen bei den „Trauermärschen“ von Chemnitz in Sachsen und zuletzt Köthen in Sachsen-Anhalt zeigten sich viele über das Mobilisierungspotenzial einer organisierten Naziszene überrascht. Tobias Burdukat nicht. Der Jugendsozialarbeiter, der mit seinem „Dorf der Jugend“ in der alten Spritzenfabrik im sächsischen Grimma seit vielen Jahren eine aufklärerische und letztlich antifaschistische Jugendarbeit macht, kennt es gar nicht anders: „Die Nazis waren schon immer da“, sagt er im taz-Interview. Die Politik habe sie nur stets ignoriert.

Der 35-jährige Burdukat, der 2016 für sein Engagement den taz Panter Preis bekam, wurde selbst in seiner Jugend in Grimma schon von Nazis zusammengeschlagen. „Die haben jetzt Kinder, und das sind auch größtenteils wieder Nazis,“ berichtet er. Und weil gerade aus den ländlichen Regionen in Sachsen letztlich alle wegziehen, die für eine weltoffene Gesellschaft stehen, weil es ihnen dort zu eng wird und sie es nicht mehr aushalten, können sich die Nazis immer ungehinderter ausbreiten.

Deshalb kritisiert er auch den Hashtag #wirsindmehr, der dem Konzert gegen rechts in Chemnitz am 3. September als Motto diente: Diejenigen, die in Projekten im ländlichen Raum unterwegs sind, hätten sofort gewusst: „So ganz die Wahrheit ist das nicht.“

Besser hätte ihm #wannwennnichtjetzt gefallen: „Wenn die Menschen wirklich wollen, dass sie mehr sind, dann müssen sie was tun. Dann müssen sie auf die Dörfer kommen. In der Stadt ändert sich das nicht.“ Um gegenzuhalten, fehle es auch an Geld: Burdukat selbst hat eine 30-Stunden-Stelle, deren Verlängerung er jedes Jahr neu beantragen muss. Bei anderen Projekten sieht es nicht besser aus.

Und im Übrigen: Wer wirklich die Zivilgesellschaft gegen die Nazis mobilisieren wolle, der dürfe die Antifa nicht ausgrenzen. Das habe, sagt Burdukat, doch auch bei der Anti-Atombewegung funktioniert: Bauern hätten damals mit militanten Atomgegnern gemeinsam gestanden. Ergebnis: Heute ist der Atomausstieg beschlossen.

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Hier können Sie sich das Gespräch mit Tobias Burdukat ansehen:

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9 Kommentare

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  • Es entvölkern sich vor allen Regionen in Ostdeutschland. Es sind die Regionenen mit hoher Arbeitslosigkeit.



    Die Menschen ziehen nicht in die Ballungsräume mit ihren mikrigen teuren Wohnungen um dort wie im Interview geäußert „alternativ“ zu leben. Sie ziehen wegen Arbeit dorthin

  • Spannend, insbesondere, dass erstmal alle Meinungen zu einer Gesellschaft gehören und es unter anderem deshalb auf dem 'Land' zu einer Unwucht kommt, weil die Jungen abhauen und die Rechten machen lassen.



    Und 2. dass die rechten durch die Stigmatisierung das Bild der coolen Subkultur erfolgreich für sich beanspruchen können.



    War in meiner Jugend noch anders, war aber auch auf dem Land im Westen, in der Ecke und Zeit, wo auch Dorfpunks spielt.



    Nur, was macht man mit dieser Einschätzung?

    Das mit den Bauern und den militanten AKW-Gegner sehe ich im übrigen anders,



    Otto Normalbauer hatte nichts für die Militanten übrig, außer vielleicht in Gorleben, aber auch da waren die Militanten in der Minderheit und die Bauern hatten direkte und persönlich was davon, dass der Widerstand erfolgreich war.



    Wobei es Gorleben immer noch gibt.



    Der Punkt ist, die Zivilgesellschaft will keine Militanz. Und es wird auch nicht dazu kommen, dass sie Militanz will.

    • @Peterbausv:

      Ich finde ja auffällig, dass Herr Burdokat davon ausgeht, dass es vergleichbare Strukturen und Jugenderfahrungen solcher Art auch im Westen (als Regel) gibt.

      Ich kann selbst auch sagen, dass das in den meisten Gegenden im Westen nicht so war und ist. Glaubwürdiger sind aber die regelmäßigen Erfahrungen meines jüngeren Kollegen, der genauso alt wie Herr Burdokat sein wird und in Sachsen genau solche Erfahrungen gemacht hat, aber sich beruflich nun regelmäßig zum fachlichen Austausch mit Pädagogen aus Gesamt-, überwiegend aber aus Westdeutschland trifft und dabei immer wieder in erstaunte Gesichter blickt, wenn er genau solche "normalen" Osterfahrungen ab den 90ern erwähnt. So gewöhnlich ist das definitiv im Westen nicht. Da gibt es viele Konservative, die dann irgendwann vielleicht im Posaunennchor, der Jungen Union/Jungen Liberalen und vielleicht beim RCDS mitmachen, aber extreme Rechte, die andere jagen, gibt es so nicht. Es gibt verschiedene Peer-Groups und in ländlichen Regionen Fußballvereine und Feuerwehren etc. Allerdings haben die eher wohl gemeinsam Spaß, als andere zu hetzen. Aber selbst die eher konservativeren und die eher linken finden im Erwachsenenalter oft doch noch zusammen, z.B. wenn sie als Eltern zusammen beim Elterabend sitzen oder sich auf einem Weinfest treffen oder Nachbarn werden. Da kann man sich schon unterhalten und hat Themen, auch wenn man vielleicht nicht die ganze Freizeit zusammen verbringen mag.

  • #wirsindmehr

    Wäre dem so, sähe der Bundestag ganz anders aus.

    • @Jens Frisch:

      In dem Fall sollten wir froh sein, dass die Wahlbeteiligung so niedrig ist....sonst sähe der ganz anders aus!

  • Respekt!

  • gutes Interview! So ehrlich und offen auf den Punkt gebracht.

  • Köthen in Thüringen?

    • @My Sharona:

      Die meisten Westler kennen sich in den sog. Neuen Bundesländern geographisch nach 30 Jahren immer noch nicht aus, denken es aber anscheinend, sonst würden sie ja wenigstens nachschauen.