Jüdisches Forum über Corona-Protest: „Nicht zugänglich für Aufklärung“
Viele Inhalte auf der Corona-Demo waren „klar antisemitisch konnotiert“, sagt Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie.
taz: Herr Salomon, die Größe des Corona-Protests am Samstag in Berlin hat viele überrascht. Sie auch?
Levi Salomon: Ja. Ich hatte nicht geglaubt, dass es so viele werden. Es dürften über 15.000 Menschen gewesen sein. Und das sind zu viele.
Wer war da auf der Straße?
Es sind zum einen die üblichen Verdächtigen, die wir von den vorigen Corona-Protesten und „Hygiene“-Demos kennen. Hinzu kamen aber wirkliche Massen von Menschen aus Baden-Württemberg, viele aus einem esoterischen Spektrum. Diese Gruppe hat das Geschehen am Samstag dominiert. Mit ihnen unterwegs war eine größere Zahl von DemonstrantInnen aus den ostdeutschen Bundesländern, teils aus dem Kameradschafts- und dem Reichsbürger-Spektrum. Die RednerInnen auf den Bühnen stammten aus rechtsoffenen Kreisen. Die Menschen auf diesen Corona-Demos skandieren, sie seien für „Frieden“ und laufen gleichzeitig zusammen mit bekannten Rechtsextremen.
beobachtet seit 1997 rechte Aufmärsche in Berlin. 2008 gründete er das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Der Verein dokumentiert seit Jahren mit Videoaufnahmen antisemitische Vorfälle bei Demonstrationen.
Welche waren das zum Beispiel?
Anwesend war etwa der so genannte „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, ein kürzlich aus dem Schuldienst entlassener Shoa-Leugner und Video-Blogger. Oder Rüdiger Hoffmann, ein verurteilter rechtsextremer Gewaltverbrecher, der das Reichsbürgerprojekt staatenlos.info betreibt. Die rechtsextreme Gruppe „Patriotic Opposition“ hatte einen eigenen Lautsprecher-Truck, um nur drei Beispiele zu nennen.
War die Demo durchgängig antisemitisch?
Nein, das kann man nicht sagen. Es würde wohl kaum einer der Teilnehmer von sich sagen, er denke antisemitisch. Die meisten würden eher das Gegenteil von sich behaupten. Aber wir haben sehr viele Inhalte gesehen, die klar antisemitisch konnotiert waren.
Können Sie ein Beispiel geben?
Die Angriffe auf Angela Merkel und Jens Spahn wegen der Corona-Politik etwa. Da wird nicht einfach die Politik kritisiert, stattdessen wird unterstellt, bei den verantwortlichen Politikern handele es sich um Marionetten, hinter denen Strippenzieher stünden. Diese wollten dem Volk die Freiheit nehmen und dafür benutzten sie die Politiker. Und wer sind diese Strippenzieher? Die Zionisten. Das ist der Grundgedanke, auch wenn er bei einem Teil der Demonstranten nur unbewusst vorhanden sein mag. Das Problem ist, dass sie nicht zugänglich sind für Aufklärung. Man kann mit denen kaum ins Gespräch kommen und sie auf ihre Irrtümer aufmerksam machen.
Woran genau scheitert das?
Der häufigste Inhalt auf den Plakaten am Samstag war: „Gib Gates keine Chance“. Dahinter steckt die Vorstellung, der Milliardär Bill Gates habe Corona entweder selbst in die Welt gesetzt oder nutze es aus, um Menschen zwangsweise zu impfen und damit zu unterjochen. Viele Menschen haben sich mit dieser Verschwörungstheorie lange auseinandergesetzt. Es gab Faktenchecks dazu und viel sachliche Aufklärung. Trotzdem wurden diese Plakate am Samstag vielfach getragen. Denn es gibt Menschen, die sich verschlossen haben. Was nicht passieren darf, ist, dass sie neue Anhänger für ihre Ideen gewinnen.
Wie sollte die Regierung mit dieser Form der Corona-Kritik umgehen?
Sie darf sich nicht irre machen lassen, so wie auch der Rest der Gesellschaft nicht. Man darf nicht ängstlich sein und sich einreden lassen, wir hätten alles falsch gemacht. Nein, wir haben vieles richtig gemacht.
In der Corona-Bekämpfung oder bei der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien?
Bei beidem. Für letztes braucht es vor allem Aufklärung für die, die dafür noch erreichbar sind. Und daran arbeiten ja viele.
Warum kommen dann so so viele Menschen zu einer solchen Kundgebung?
Es gibt immer eine gewisse Anzahl an Menschen, die offen für Verschwörungstheorien und entsprechend mobilisierbar sind. Es ist nicht schön, man muss dagegen etwas unternehmen, aber es ist ein Teil der Gesellschaft. Es ist ein bestimmtes Milieu, das angeblich bürgerlich sei. Es ist aber nicht bürgerlich. Dieses Spektrum ist immer da, es wird bei diesen Protesten aber klarer sichtbar. Bei Pegida ist es genau dasselbe.
Wie groß ist dieses Spektrum?
Es ist jedenfalls eine Minderheit. Sie selbst überschätzen sich allerdings maßlos. Auf der Demo selbst kursierte erst die Zahl von 10.000, dann 100.000, 800.000 und schließlich haben sie behauptet, es seien 1,3 Millionen Menschen gekommen.
JournalistInnen haben berichtet, auf der Demo bedrängt worden zu sein, darunter Sie. Was ist genau geschehen?
Als die Polizei mit der dritten Durchsage die Kundgebung am Nachmittag aufgelöst wurde, stand ich im Pressebereich. Zwei Ordner haben verlangt, ich solle Pressebereich verlassen. Dazu hatten sie aber kein Recht, ich habe das abgelehnt. Sie haben mich körperlich bedrängt, das habe ich auch aufgenommen. Es war klar: Entweder es kommt zur körperlichen Auseinandersetzung oder ich muss raus.
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