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Jüdisches Forum über Corona-Protest„Nicht zugänglich für Aufklärung“

Viele Inhalte auf der Corona-Demo waren „klar antisemitisch konnotiert“, sagt Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie.

Corona-Bekämpfung mit der Shoa gleichsetzen: „Hygiene“-Demo am Samstag, 1. August, in Berlin Foto: picture alliance/Fabian Sommer/dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Salomon, die Größe des Corona-Protests am Samstag in Berlin hat viele überrascht. Sie auch?

Levi Salomon: Ja. Ich hatte nicht geglaubt, dass es so viele werden. Es dürften über 15.000 Menschen gewesen sein. Und das sind zu viele.

Wer war da auf der Straße?

Es sind zum einen die üblichen Verdächtigen, die wir von den vorigen Corona-Protesten und „Hygiene“-Demos kennen. Hinzu kamen aber wirkliche Massen von Menschen aus Baden-Württemberg, viele aus einem esoterischen Spektrum. Diese Gruppe hat das Geschehen am Samstag dominiert. Mit ihnen unterwegs war eine größere Zahl von DemonstrantInnen aus den ostdeutschen Bundesländern, teils aus dem Kameradschafts- und dem Reichsbürger-Spektrum. Die RednerInnen auf den Bühnen stammten aus rechtsoffenen Kreisen. Die Menschen auf diesen Corona-Demos skandieren, sie seien für „Frieden“ und laufen gleichzeitig zusammen mit bekannten Rechtsextremen.

Im Interview: Levi Salomon

beobachtet seit 1997 rechte Aufmärsche in Berlin. 2008 gründete er das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Der Verein dokumentiert seit Jahren mit Videoaufnahmen antisemitische Vorfälle bei Demonstrationen.

Welche waren das zum Beispiel?

Anwesend war etwa der so genannte „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, ein kürzlich aus dem Schuldienst entlassener Shoa-Leugner und Video-Blogger. Oder Rüdiger Hoffmann, ein verurteilter rechtsextremer Gewaltverbrecher, der das Reichsbürgerprojekt staatenlos.info betreibt. Die rechtsextreme Gruppe „Patriotic Opposition“ hatte einen eigenen Lautsprecher-Truck, um nur drei Beispiele zu nennen.

War die Demo durchgängig antisemitisch?

Nein, das kann man nicht sagen. Es würde wohl kaum einer der Teilnehmer von sich sagen, er denke antisemitisch. Die meisten würden eher das Gegenteil von sich behaupten. Aber wir haben sehr viele Inhalte gesehen, die klar antisemitisch konnotiert waren.

Können Sie ein Beispiel geben?

Die Angriffe auf Angela Merkel und Jens Spahn wegen der Corona-Politik etwa. Da wird nicht einfach die Politik kritisiert, stattdessen wird unterstellt, bei den verantwortlichen Politikern handele es sich um Marionetten, hinter denen Strippenzieher stünden. Diese wollten dem Volk die Freiheit nehmen und dafür benutzten sie die Politiker. Und wer sind diese Strippenzieher? Die Zionisten. Das ist der Grundgedanke, auch wenn er bei einem Teil der Demonstranten nur unbewusst vorhanden sein mag. Das Problem ist, dass sie nicht zugänglich sind für Aufklärung. Man kann mit denen kaum ins Gespräch kommen und sie auf ihre Irrtümer aufmerksam machen.

Woran genau scheitert das?

Der häufigste Inhalt auf den Plakaten am Samstag war: „Gib Gates keine Chance“. Dahinter steckt die Vorstellung, der Milliardär Bill Gates habe Corona entweder selbst in die Welt gesetzt oder nutze es aus, um Menschen zwangsweise zu impfen und damit zu unterjochen. Viele Menschen haben sich mit dieser Verschwörungstheorie lange auseinandergesetzt. Es gab Faktenchecks dazu und viel sachliche Aufklärung. Trotzdem wurden diese Plakate am Samstag vielfach getragen. Denn es gibt Menschen, die sich verschlossen haben. Was nicht passieren darf, ist, dass sie neue Anhänger für ihre Ideen gewinnen.

Wie sollte die Regierung mit dieser Form der Corona-Kritik umgehen?

Sie darf sich nicht irre machen lassen, so wie auch der Rest der Gesellschaft nicht. Man darf nicht ängstlich sein und sich einreden lassen, wir hätten alles falsch gemacht. Nein, wir haben vieles richtig gemacht.

In der Corona-Bekämpfung oder bei der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien?

Bei beidem. Für letztes braucht es vor allem Aufklärung für die, die dafür noch erreichbar sind. Und daran arbeiten ja viele.

Warum kommen dann so so viele Menschen zu einer solchen Kundgebung?

Es gibt immer eine gewisse Anzahl an Menschen, die offen für Verschwörungstheorien und entsprechend mobilisierbar sind. Es ist nicht schön, man muss dagegen etwas unternehmen, aber es ist ein Teil der Gesellschaft. Es ist ein bestimmtes Milieu, das angeblich bürgerlich sei. Es ist aber nicht bürgerlich. Dieses Spektrum ist immer da, es wird bei diesen Protesten aber klarer sichtbar. Bei Pegida ist es genau dasselbe.

Wie groß ist dieses Spektrum?

Es ist jedenfalls eine Minderheit. Sie selbst überschätzen sich allerdings maßlos. Auf der Demo selbst kursierte erst die Zahl von 10.000, dann 100.000, 800.000 und schließlich haben sie behauptet, es seien 1,3 Millionen Menschen gekommen.

JournalistInnen haben berichtet, auf der Demo bedrängt worden zu sein, darunter Sie. Was ist genau geschehen?

Als die Polizei mit der dritten Durchsage die Kundgebung am Nachmittag aufgelöst wurde, stand ich im Pressebereich. Zwei Ordner haben verlangt, ich solle Pressebereich verlassen. Dazu hatten sie aber kein Recht, ich habe das abgelehnt. Sie haben mich körperlich bedrängt, das habe ich auch aufgenommen. Es war klar: Entweder es kommt zur körperlichen Auseinandersetzung oder ich muss raus.

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20 Kommentare

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  • Mich würde man interessieren, woher der Herr Salomon seine Erkenntnis nimmt, daß die Protestierenden den politisch Verantwortlichen unterstellen, Marionetten seien und die Strippenzieher dahinter Zionisten.



    Das ist so, wie es geschrieben steht, eine bloße Tatsachenunterstellung ohne Begründung.

  • 0G
    04515 (Profil gelöscht)

    "Genau so wenig gefällt mir diese ziemlich verschwörungstheoretische Begründung"

    Den Gedanken hatte ich auch. Und in der Bildunterschrift das Hakenkreuz mit der Shoa gleichzusetzen, greift zu kurz.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Es ist schon Bürgertum, was da umgeht. Das sich von der Realität entfernt hat, weil es sie nicht mehr nötig hatte. Bisher. Dann kam Corona und die von Geistwesen und Sylphen bevölkerte Welt bekam Flecken.



    Man nehme sich ein esoterisches Magazin aus dem Bioladen, dann erkennt man wie viele Menschen vom Überfluss des Kapitalismus leben können, indem sie pendeln oder Barcodelöschgeräte verkaufen. Die sind in Gefahr, wenn geimpft wird, also rationales Handeln Probleme löst.

  • Ich habe keinerlei Sympathie für die TeilnehmerInnen dieser Demo. Genau so wenig gefällt mir diese ziemlich verschwörungstheoretische Begründung, dass es Antisemiten oder Antizionisten sein müssen, die Merkel oder Spahn kritisieren, weil die von fremden Mächten beeinflusst wären und diese Mächte dann ja nur Juden sein könnten. Für mich ist das Unsinn. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass solche Denkkonstruktionen ein Mittel gegen Antisemitismus sein können. Ich denke, dass das Gegenteil der Fall ist.

  • Der häufigste Inhalt auf den Plakaten am Samstag war: „Gib Gates keine Chance“. ..."

    Sorry, aber Facepalm.............

    Was soll dieser Unsinn?

    Selbstverständlich, es gibt genug Irre die glauben "die Juden" wären an allem Schuld und die Erde würde von irgendwelchen Reptilien aus dem All regiert und überhaupt wäre die Erde eine Scheibe usw. Kurz: es gibt genug Spinner. Die leider auch äußerst gefährlich werden können - siehe Halle, um nur ein Beispiel aus einer nahezu endlosen Liste zu nennen.

    Allerdings Kritik an Gates pauschal in die Nähe von Antisemitismus zu rücken ist - bestenfalls kontraproduktiv.

    Denn wer ist Gates?

    Gates ist ein Milliardär, der keinen Uniabschluss hat. Er ist ein überführter Dieb geistigen Eigentums. Er verfügt über keinerlei Expertise im Gesundheitswesen.

    Warum interessiert sich überhaupt jemand für das was Gates zum Thema Covid zu sagen hat?!

    Bin kein Impfskeptiker, im Gegenteil. M.M.n. sind Impfungen ein unverzichtbares Werkzeug um potenzial tödliche Krankheiten auszurotten oder zumindest zu begrenzen.

    Dennoch, hier einige Dinge, denen ich mehr vertrauen würde als einen von Gates beworbenen Impfstoff:



    - einen "one night stand" mit Charlie Sheen



    - Leitungswasser aus Flint, Michigan



    - den Anruf eines mir bisher unbekannten Enkels mit der Bitte um Geld



    - Sushi von der Tankstelle



    - eine Cocktailparty mit Harvey Weinstein



    - die Garantie meiner Sicherheit auf dem z.Z. stattfindenden "meist friedlichen" Protesten............

    • @Tobias Schmidt:

      Interessant wem und was Sie so alles den Vorzug geben.

      Da hätten Sie sich aber gut mit den Demonstranten verstanden.

      Was denken Sie wie glücklich die Corona-Leugner wären, wenn Bill Gates Jude wäre?

      Das wäre der Jackpot.

      Gibt man "Bill Gates Jude" bei Google ein, bekommt man 3,5 Millionen Treffer. Auf den Gedanken sind also schon ein paar Leute gekommen.

    • @Tobias Schmidt:

      Dafür, dass Sie ihm Harvey Weinstein vorziehen, ist es aber erstaunlich dürftig, was Sie gegen Gates vorzubringen haben...



      Er ist Milliardär? Er hat keinen Unibaschluss? Really?

    • @Tobias Schmidt:

      Sorry, Ihre Entgegnung ist ziemlich naiv.

      "Gates" ist hier eine Chiffre, die es diesen... (naja, ich verzichte auf eine nähere Beschreibung) Menschen ermöglicht, dunkle Verschwörungen irgendwohin zu projizieren. Strukturell nicht sehr zu unterscheiden von "Soros" oder "Rothschild".

      Diese Menschen haben keine Ahnung davon, was Microsoft so auf dem Kerbholz hat, oder was die Bill & Melinda Gates Foundation so treibt (auch Gutes, wohlgemerkt!).

      Insofern ist es höchstwahrscheinlich keine gute Idee, das mit der berechtigten Kritik am räuberischen Verhalten des Microsoft-Konzerns in einen Topf zu rühren.

    • @Tobias Schmidt:

      Der Slogan "Gib Gates keine Chance" übt keine Kritik an Dingen, die Gates konkret tut oder getan hat, sondern bedient die Verschwörungserzählung einer angeblich von Gates heimlich eingefädelten Impfpflicht mit gleichzeitiger Chipimplantation, die genau in der Tradition steht, die Levi Salomon im Interview beschreibt.

      • @Kolyma:

        Leute, lest Ihr eigentlich die taz? Da war doch vor kurzem erst wieder überzeugend dargelegt, dass das Verhalten der Gates-Stiftung in Afrika kontraproduktiv (im Kampf gegen den Hunger) und Teil einer Allianz von Chemie- und Saatsgutkonzernen ist. Das war auf der Demo nicht das Thema. Leider instrumentalisieren das Antisemiten in ihrem (Un-)Sinn. Aber das ändert doch nichts daran, dass die Arbeit dieser Stiftung kritisiert werden muss und die Zusammenarbeit von Regierungen wie der der BRD mit dieser Stiftung ebenfalls.

        • @Andreas Strobl:

          Differenzieren ist schwierig. Und erfordert einiges an kognitiver Leistung.

          Die B&M Gates Foundation ist sicher zu kritisieren. Sie ist zu sehr in der neoliberalen Denke eingebettet, fokussiert das Problem zu sehr technologisch und ignoriert die gesellschaftliche Dimension auf gefährliche Weise.

          Auf der anderen Seite investiert sie viel in Malaria-Forschung, ein Gebiet, dass von der klassischen Farma eher ignoriert wird, weil die "Kunden" nicht sehr zahlungskräftig sind. Und Malaria killt tatsächlich viele Menschen, erzeugt viel Leid und Armut.

          Dieser Gegensatz muss ausgehalten werden. Berechtigte Kritik an (sagen wir, die B&M Gates Foundation) sollte einen nicht in die Nähe dieser... Menschen bringen, die meinen, mit der Impfung bekäme man einen Chip von Microsoft implantiert (oder gar das Coronavirus hätte einen Chip drin, wow).

          Als denkender Mensch hat man die verdammte Verantwortung, das auszuhalten.

          "Leider instrumentalisieren..." -- da drücken Sie sich um Ihre Pflicht.

          • @tomás zerolo:

            Stimmt. Der Sommer muss meine kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt haben. (So erkläre ich es mir zumindest, nachdem es gerade schon wieder so heiß ist.) Darüber habe ich ganz vergessen, dass ja Hitler (sic) auch die Autobahnen gebaut hat. Also kann ja nicht alles so falsch gewesen sein.

  • Danke für das Interview.

    In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Video-Berichterstattung des JFDA über die "Hygienedemos", Nazi-Demos und eben über den "Tag der Freiheit" hinweisen.

    Ich würde sagen, es sind die besten Videos, die es zu diesem Themenbereich gibt.

    Hier das Video vom Samstag:

    www.facebook.com/w...v=2631889243743651

    • @Jim Hawkins:

      Dieses Video ist in der Tat ziemlich gruselig. Danke für den Link.

      • @Kolyma:

        Der Link funtkoniert nicht. Zumindest für mich, der ich facebook nicht benutze. Schade.

        • @Andreas Strobl:

          Dann nehmen Sie einfach den:

          jfda.de/blog/2020/...reiheit-b01082020/

          • @Jim Hawkins:

            Die Polizei löst eine Demonstration gegen 17 Uhr auf, die seit 11 Uhr unterwegs ist. Menschen, die ohne jegliche Rücksicht auf Corona demonstrieren, denn diese vielleicht 30Tausend "glauben" ja nicht an die Existenz des Virus!!!



            Auf dem Video ist u.a. ein Mann zu sehen, der den Beamten erregt entgegenruft: "Schießt auf uns, schießt auf uns, dann habt ihr es wenigstens erledigt."



            Erfahrungen von Ohnmacht gegenüber dem Staat teilen wir alle, nur wird von diesen, zum Glück noch sehr minoritären, Wirrköpfen alles getan, um den autoritären Nationalstaat erst zu ermöglichen. Retten wir deshalb eine solidarisch handelnde und fühlende Gesellschaft, sonst landen wir noch bei diesen " 1,3 Millionen", die den 17. Juni in Straße des 1. August 2020 umbenennen möchten!

            • @Ataraxia:

              Diese Leute behaupten, wir würden uns in einer Diktatur befinden oder wären zumindest auf dem besten Weg da hin.

              In ihrer ganzen verblendeten Dummheit verkennen sie, dass sie in einer Diktatur nicht demonstrieren dürften, sondern aus einem Hubschrauber über dem Wannsee geworfen würden.

              Die Vorstellung, es wären tatsächlich 1,3 Millionen ist natürlich sehr beunruhigend, aber trotz allem Hader und aller Kritik glaube ich an die Vernunft der Mehrheit.

              Dass die da ist, zeigen auch die meisten Umfragen.

              Für mich als Schwabe ist es schlimm, dass diese Pest aus dem Südwesten kommt und sich ausbreitet, genau wie ein Virus.

              • @Jim Hawkins:

                Eigentlich konnten das ja nur Außerirdische oder Sachsen sein. Bis es hauptsächlich Schwaben waren. Der Tiergarten empfiehlt sich bei solchen Urlaubsreisen übrigens sehr: Noch erlaubt die Regierung friedliche Spaziergänge mit Maultaschen und Spätzle. Die Mercedes-Sterne, von denen wir in Berlin einige haben, könnt ihr aber ruhig wieder mitnehmen Richtung Untertürkheim.

              • @Jim Hawkins:

                Ein weiterer Schwabe!? Ach, wie schön! Und ich dachte, ich wäre mit meinen Vorstellungen einer funktionierenden Gesellschaft der einzige Alien im Schwabenland.