Journalist:innen in Russland: „Permanente Anspannung“
Wegen des Ukrainekriegs verschärft Russland die Unterdrückung der freien Presse. Einige Journalist*innen verlassen deswegen ihre Heimat.
Unabhängige journalistische Medien sollen derweil in die Propaganda-Berichterstattung gezwungen werden: Besonders drastisch ist der Erlass des russischen Parlaments vom vierten März. Er verbietet Medien, die Invasion in der Ukraine als „Krieg“ zu bezeichnen.
Kirill Martynow ist stellvertretender Chefredakteur der Nowaja Gazeta, einer bisher unabhängig und kritisch berichtenden russischen Zeitung. Bei einem Panel des International Press Institute (IPI) sprach er kürzlich über die Konsequenzen eines solchen Gesetzes. Entweder verwende man die vom Staat publizierten Berichte, „was Propaganda ist“, oder man verwende selbst recherchierte Informationen – was der Staat dann als „Fake“ bezeichne. Die Nowaja Gazeta schreibe seither nicht mehr über den Krieg selbst, nur noch über seine Folgen.
Ein freier Journalist, der anonym bleiben will und nur über Signal kommuniziert, sagte: „Wir haben permanent ein Gefühl von Gefahr und Anspannung“. Die Regierung zwinge Journalist*innen, sich öffentlich kenntlich zu machen, berichtet er. Sie müssten gelb-grüne Warnwesten tragen – großflächige Presseausweise. Es sei nun geplant, dass Journalist*innen QR-Codes tragen müssten, die sofort ihre persönlichen Daten anzeigen. Der Staat argumentiere, das helfe der Polizei, schnell zu wissen, wer ein „echter“ und wer ein „falscher“ Pressevertreter sei.
Immer häufiger Festnahmen
Er sei bisher dreimal aufgrund seiner Arbeit festgenommen worden, erzählt der freie Journalist, der hier „Mikhail“ heißen soll, das letzte Mal bei einem der Proteste gegen den Ukrainekrieg. Er sei in eine zehn Kilometer entfernte Polizeistation verschleppt und für sieben Stunden festgehalten worden. Obwohl er wie gefordert gekleidet war, wurde ihm vorgeworfen, „kein richtiger Journalist“ zu sein und eine „illegale Veranstaltung“ organisiert zu haben. Sogar dem Kreml positiv gesinnte Journalisten würden mittlerweile festgenommen, sagt Mikhail.
Wie die russische Gewerkschaft der Journalist*innen und Medienschaffenden auf Twitter mitteilt, wurde am vergangenen Freitag der Chefredakteur einer Pskover Regionalzeitung festgenommen sowie fünf Journalisten des unabhängigen Mediums SotaVision. Die staatliche Medienregulierungsbehörde Roskomnadzor blockiert seit einer Woche die Webseiten von dreißig unabhängigen Medien im Rand. Regelmäßige Neuigkeiten dieser Art meldet auch das IPI in einem regelmäßigen Newsticker.
Die Repression gegen Medien in Russland spitzt sich zu. Begonnen hat sie schon lange vor dem Krieg. Anastasia Kirilenko ist Journalistin, lebt mittlerweile in Frankreich. Bevor sie Russland 2014 nach der Annexion der Krim verließ, arbeitete sie für Radio Free Europe, einem Sender, der von den USA finanziert wird und sich an Hörer:innen in osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern richtet, in denen die Pressefreiheit staatlich eingeschränkt wird.
Immer wieder habe der Staat Rügen und Warnungen gegen den Sender ausgesprochen, erzählt Kirilenko. Zwei ihrer Berichte hätten Putin direkt betroffen, deshalb habe sie 2011 einen Besuch von der Polizei bekommen. „Für viele Journalist*innen ist es wahrscheinlich schon Druck, wenn man fünf Stunden polizeilich befragt wird“, sagt sie, „aber viele meiner Kolleg:innen haben Schlimmeres erlebt.“ Im Jahr 2019 veröffentlichte das russische Fernsehen einen Beitrag über Kirilenko, der sie als Feindin Russlands denunziert.
„Sie wissen nicht, was sie denken sollen“
Selbst Kirilenkos Familie glaubt eher den Staatsmedien als ihr. „Sie sehen fern zur Hauptsendezeit“, sagt sie. Und dort gehe es nur darum, wie großartig Putin sei – „Propaganda-Klischees“. Ihre Familie störe das nicht. „Sie haben immer noch sowjetische Reflexe“, sagt sie. „Sie wissen nicht, was sie denken sollen“.
Für manche wird der Druck zu groß. Der anonyme „Mikhail“ sagt: „Ich liebe dieses Land und meine Heimatstadt“. Aber aufgrund der Situation werde er sie in den nächsten Tagen verlassen. „Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.“ Durch die SWIFT-Sanktionen funktionieren russische Bankkarten im Ausland nicht mehr, das erschwert ihm die Flucht zusätzlich.
Anastasia Kirilenko erzählt, ehe sie Russland verließ, habe sie eine Entscheidung getroffen: „Ich werde nie zur russischen Staatspropaganda beitragen – vorher wechsle ich den Job.“ Sie sagt: „Einen Beitrag zur Propaganda zu leisten, ist ein Beitrag dazu, das Land nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit zu führen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW