Journalismusforscherin zum Künasturteil: „Inbegriff von Menschenverachtung“
Die Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg über die Frage, warum Beleidigungen wie die von Renate Künast vor allem Frauen betreffen.
taz: „ Drecksfotze“, „Sondermüll“ und „Knatter sie doch mal so richtig durch“: Die Richter hielten diese Beleidigungen von Renate Künast für sachliche Kritik. Was heißt das für die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen?
Margreth Lünenborg: Diese Worte sind der Inbegriff von Menschenverachtung. Sie sind zutiefst frauenfeindlich, misogyn und sexistisch. Einen Menschen als „Sondermüll“ zu bezeichnen, ist nah an nationalsozialistischer Sprache. Das als Aussage in einem Sachzusammenhang zu begreifen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Das Urteil ist ein Blankoschein, Frauen in der Öffentlichkeit brutal zu attackieren.
Was an diesen Äußerungen ist spezifisch misogyn?
Auch Männer werden aggressiv attackiert, aber diese Art von Beleidigung ist massiv und primär an Frauen und ihre Körper adressiert. Geschlechtsteile negativ zu bewerten, Äußeres niederzumachen und Vergewaltigungen anzudrohen, das kommt bei Männern in dieser Form nicht vor. Es gibt Themen, auf die im Netz geradezu reflexhaft und aggressiv reagiert wird. Das gilt für Migration und Islam, das gilt immer auch für Geschlechterfragen und Feminismus. Auf die Wörter Gender oder Geschlecht folgen kalkulierbar Wellen von Empörung. Redaktionen wissen, dass sie bei Texten zu diesen Themen ihre Social Media Teams verstärken müssen.
Warum bricht sich die Aggression gerade bei diesen Themen Bahn?
Hier werden sehr grundlegende Fragen von Identität verhandelt. Wir erleben in Deutschland und den westlichen Industriestaaten, dass sich unsere Gesellschaft nachhaltig verändert, dass vermeintliche Stabilität so nicht mehr existiert. Das gilt auch für Geschlechterhierarchien. Dass diese Hierarchien in Bewegung geraten sind, bringt Unsicherheit und Spannungen mit sich, die sich hier entladen. Gleichzeitig sehen wir, wie hermetisch traditionelle Geschlechterrollen sind: Hier zeigen sich mit aller Macht die beharrenden Kräfte, die an einem Backlash arbeiten. Dabei gibt es Allianzen, die eine massive Macht entwickeln: hier verschränken sich unterschiedliche Diskursakteure von rechtspopulistischen und maskulinistischen bis hin zu bestimmten Akteuren der Kirche, die mit sich egalisierenden Geschlechterverhältnissen massive Probleme haben. Auch die Äußerungen gegen Künast kamen ja aus einem rechtsautoritären Kontext.
56, ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin an der FU Berlin.
Haben solche Beleidigungen Auswirkungen auf die Präsenz von Frauen in der Politik und im öffentlichen Raum?
Die Aggression und Frauenfeindlichkeit, die wir im Netz erleben, entsteht nicht im Netz. Hier wird nur sichtbar, was gesellschaftlich vorhanden ist. Aber dass es so massiv sichtbar wird, hat Folgen. Zahlreiche Frauen, seien es Politikerinnen oder zivilgesellschaftlich Engagierte, erleben verbale Hassattacken. Das kann, wenn Adressen kursieren, auch objektiv bedrohlich sein. Es gehört ein immenses Maß an Stabilität und Gelassenheit dazu, sich dem auszusetzen. Jede Frau muss überlegen, ob sie das aushalten kann.
Was ist die Folge?
Das sind Ausschlussmechanismen. Der öffentliche Diskurs wird an bestimmten Stellen geschlossen, Positionen werden nicht artikuliert. Die aggressive Stimme lässt andere verstummen.
Künast will Beschwerde einlegen. Angenommen, die nächste Instanz bestätigt das Urteil – welche Konsequenzen hätte das?
Ich bin keine Juristin, aber das Urteil signalisiert, dass solche Beleidigungen zum öffentlich Sagbaren gehören. Das darf in einer Demokratie nicht toleriert werden. Aber ich halte den öffentlichen Diskurs, der in Folge des ersten Gerichtsbeschlusses entstanden ist, für sehr wichtig. Auch wenn das Gericht den Grundsatz „wehrt euch“ nicht honoriert hat, gab es eine lautstarke öffentliche Erschütterung, die darauf verweist, dass Frauen nicht aushalten müssen, was Renate Künast passiert ist.
Was kann man dagegen tun?
Es gibt verschiedene Initiativen, die juristische Unterstützung bei Hass im Netz anbieten oder wie die Initiative #ichbinhier auch konkret intervenieren. Das schützt zwar die einzelne Frau nicht, beeinflusst aber den Diskurs. Wir können kommunikationswissenschaftlich nachweisen, dass sich Diskurse entspannen, sobald sich Menschen konstruktiv einklinken. Die Initiative etwa greift ein, wenn Debatten in Richtung Hate Speech abgleiten und versucht, sachbezogen zu moderieren. Auch Redaktionen können Grenzen aufzeigen, wenn sie Kommentare nicht nur löschen, sondern nachvollziehbar machen, wie eine Debatte konstruktiv geführt werden kann. Es geht darum, auf Hass nicht mit Aggression zu reagieren.
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