Journalismus und sexualisierte Gewalt: Das Wagnis, zu sprechen
Wer über prominente Männer und sexualisierte Gewalt berichtet, erntet Hass. Nicht die Fälle gelten als das Problem, sondern das Schreiben darüber.
D ie unangenehmsten Reaktionen kommen immer zum Thema sexualisierte Gewalt. Egal, ob es sich um Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber prominenten Männern handelt oder um den Umgang mit dem Thema Konsens und Sex in der linken Szene: Wer als Journalist_in über diese Fälle berichtet, sei es auch nur im Konjunktiv oder anonymisiert, wird mit so vielen und teilweise so hässlichen Zuschriften überhäuft, dass er_sie (meistens sie) es sich in der Folge dreimal überlegen wird, ob ein Artikel die Kopfschmerzen, die bereits vorprogrammiert sind, wert ist.
Je reicher der mutmaßliche Täter, desto schneller flattert dann auch die Post von dessen Anwälten herein. Aber verwundernd ist doch viel eher, wie Unbeteiligte häufig Partei ergreifen für Beschuldigte, als sei nicht die Allgegenwärtigkeit sexualisierter Gewalt das Problem, sondern das Sprechen und Schreiben darüber.
Natürlich geht es auch immer um das juristische Problem der Verdachtsberichterstattung. Beweislage und Zeug_innenaussagen müssen geprüft, Beschuldigte konfrontiert werden, um mit journalistischer Neutralität über solche Fälle berichten zu können. Wie aber steht es um die Kolumnenform oder den Meinungsbeitrag? Diese Formate leben ja nicht von investigativen Ansprüchen und Objektivität, sondern davon, Debatten, die sowieso in der Welt sind, genauer anzuschauen und zu bewerten. Sie wollen parteiisch sein, das ist in ihrem Kern angelegt. Und man kann durchaus eine Haltung formulieren, ohne falsche Tatsachen zu behaupten. Das ist ja das Interessante an Fällen von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch: Sie sind niemals Einzelfälle, wir alle sind in irgendeiner Weise in sie verwickelt. Die Frage ist nur, inwieweit wir bereit sind, uns damit auseinanderzusetzen.
Wenn es nach den Anwälten der Beschuldigten, aber auch nach den fleißigen Leser_innen und Kommentator_innen solcher Beiträge ginge, sollte man Vorwürfe sexualisierter Gewalt gar nicht erst öffentlich thematisieren dürfen, bis ein gerichtliches Urteil vorliegt. Das ist aus vielerlei Hinsicht völlig absurd, denn selten kommt es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren, und noch viel seltener gibt es eine Beweislage, die es dem Gericht ermöglichen würde, einen Täter zu verurteilen. Was Berichterstattung aber möglich macht, gerade wenn es um prominente Beschuldigte geht: Es kommen neue Betroffene hinzu, die sich bislang nicht getraut hatten, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Scham überwinden
Weil ihr Umfeld ihnen vielleicht einredete, sie seien selbst schuld, wenn sie sich auf Aftershowpartys mit Rockstars herumtrieben. Weil sie sich vielleicht schämten, mit dieser Geschichte öffentlich assoziiert zu werden. Weil sie bereits wissen, dass niemand ihnen glauben wird. In den meisten Fällen aber ist es schlicht das Unsichtbarbleiben der Systematik dahinter: Niemand ahnt, dass auf jedem Konzert dieser hypothetischen Band jungen Mädchen K.O.-Tropfen verabreicht werden und sie schlicht nicht in der Lage sind, Einvernehmen zu formulieren, wenn der Frontsänger der hypothetischen Band sich ihnen sexuell nähert. Niemand weiß, dass sie sehr viele sind, bis auf Social Media erste Erfahrungsberichte auftauchen und Journalist_innen das Thema aufgreifen und nach weiteren Betroffenen recherchieren.
Der Versuch, Journalist_innen mundtot zu machen, ist nicht nur von Anfang an schon ein Begleitphänomen der #Metoo-Bewegung gewesen, er scheint auch nahtlos anzuknüpfen an die jahrhundertealte Praxis der Beschämung von Überlebenden sexualisierter Gewalt, die es wagen, über ihre Erfahrung zu sprechen. Die französische Schriftstellerin Virginie Despentes fasste dieses grundsätzliche Misstrauen einmal sehr treffend in diesem schlichten Satz zusammen: „Mein Überleben an sich spricht gegen mich.“
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