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Jobaussichten für ArbeitnehmerEine Million Menschen in Zeitarbeit

Leiharbeit erreicht einen Höchststand. Die Linkspartei kritisiert den Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles.

Das neue Gesetz biete „die legale Option, Dauerarbeitsplätze durch Leiharbeit zu ersetzen“ Foto: dpa

Berlin taz | Immer mehr Menschen in Deutschland sind in der Zeitarbeit tätig. 961.000 LeiharbeitnehmerInnen gab es im Juni vergangenen Jahres, ging aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung hervor. In den Jahren vor 2014 schwankten die Zahlen zwischen 610.000 und 910.000 ZeitarbeitnehmerInnen.

Fast zwei von drei LeiharbeitnehmerInnen lagen mit ihrem Verdienst unter der Niedriglohnschwelle von 1.970 Euro brutto für einen Vollzeitjob. Die Linkspartei nahm die Zahlen zum Anlass, den Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zur Eindämmung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen zu kritisieren. Der Entwurf, der noch im September in den Bundestag soll, sieht vor, dass Leih- oder ZeitarbeitnehmerInnen künftig nach neun Monaten in einer Firma genauso wie die Stammbelegschaft bezahlt werden müssen. Sie dürfen höchstens 18 Monate am Stück in denselben Betrieb entliehen werden.

Das neue Gesetz biete „die legale Option, Dauerarbeitsplätze durch Leiharbeit zu ersetzen“, rügte der Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst. Wenn man bedenke, dass die Hälfte aller LeiharbeiterInnen nicht länger als drei Monate beschäftigt sei, sei eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten „äußerst großzügig“. Die Linke fordert eine Einschränkung der Zeitarbeit und eine „Prekaritätsprämie“ von 10 Prozent auf den Lohn für Zeitarbeiter.

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Personaldienstleister, Thomas Hetz, konterte, die Zahl der Zeitarbeitnehmer sei nur deswegen so gestiegen, weil die Beschäftigung insgesamt zugenommen habe. Der Anteil der ZeitarbeitnehmerInnen an allen Beschäftigten betrage aber nur 2,2 Prozent und habe gegenüber dem Stand vor fünf Jahren nicht zugenommen. Zeitarbeit sei kein Massenphänomen.

Hetz rügte ebenfalls den Gesetzentwurf von Nahles. Die Arbeitgeber befürchten unter anderem hohe bürokratische Kosten, denn die gleiche Bezahlung von längerfristigen ZeitarbeiterInnen mit den Stammbelegschaften soll auch Sonderprämien und Sachleistungen mit einbeziehen.

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27 Kommentare

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  • 3G
    33641 (Profil gelöscht)

    Abfindungsanprüche verhindern, Bonuszahlungen sparen, Menschen nach Gutsherrenart heuern und feuern. Das ist Leiharbeit. Um die Abdeckung von Auftragsspitzen geht es schon lange nicht mehr.

  • taz: "Personaldienstleister, Thomas Hetz, konterte, die Zahl der Zeitarbeitnehmer sei nur deswegen so gestiegen, weil die Beschäftigung insgesamt zugenommen habe. Der Anteil der ZeitarbeitnehmerInnen an allen Beschäftigten betrage aber nur 2,2 Prozent und habe gegenüber dem Stand vor fünf Jahren nicht zugenommen. Zeitarbeit sei kein Massenphänomen."

     

    Interessante Argumentation von Thomas Hetz. Die Beschäftigung habe also (angeblich) insgesamt zugenommen und der Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen Beschäftigten betrage nur 2,2 Prozent. Solange Thomas Hetz nicht zu den 2,2 Prozent gehört ist das aber wohl auch egal, ob Zeitarbeitnehmer wie Tagelöhner behandelt und bezahlt werden. Da fehlt jetzt eigentlich nur noch der Satz von Hans-Werner Sinn (ifo-Präsident und Berater bei der Hartz IV Einführung) um die Bürger total zum Narren zu halten: "Jeder will arbeiten, es gibt aber nicht genug Arbeit. Und warum gibt es nicht genug Arbeit? Weil der Lohn zu hoch ist."

    • @Ricky-13:

      Wenn man so "unbezahlbar" wie Hans-Werner Sinn ist, dann sieht man das halt so.

  • Sozialdemokraten nennen sich heute Menschen, die ständig Lösungen für Probleme anbieten, die sie selbst erst herbeigeführt haben. Die Beschäftigung mit den Gesetzesentwürfen von Frau Nahles ist so erfrischend, wie die Suche in der Müllkippe nach einem vorschnell in den Hausmüll geworfenen Klassenfoto.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Rot ist die Liebe, rot ist die Tomat', rot ist der Schlips vom Sozialdemokrat'

     

    Erst die Zeitarbeit massiv liberalisieren und dann mit Krokodilstränen ihren Missbrauch beklagen.

  • Ist man drin im System, bei Bosch und Daimler oder Staatsbeamter... hast du letztlich so viel Geld in Ruhe deinen Hausbau zu planen.

     

    Bist du nicht drin reißen sich weder Gewerkschaften (ok, LIppenbekenntnisse) noch der Gesetzgeber um deine Belange.

     

    Hierarchie der Macht. Von wichtig nach unwichtig wird durchregiert und Frau Nahles hat eben Angst ihre Stammwähler (eben Mittelklasse Schichtler, festangestellt) zu verlieren.

    Was interessieren polnische Nichtwähler die hier knapp über MIndestlohn die Wirtschaft stützen.

  • Zeitarbeit wurde mit dem Flexibilisierungsargument eingeführt - und das ist auch stichhaltig.

    Dass aber ein Zeitarbeiter weniger verdienen darf, als die Stammbelegschaft, das macht keinen Sinn. Insofern müsste man die Lohnangleichung zumindest von Tag 1 an machen. Mit der "Sahne" für die Verleiher würde Leiharbeit nur dann interessant wenn es wirklich um Flexibilisierung geht - dann lohnen sich die Mehrkosten und die Leiharbeit wird nicht wie heute üblich zum Lohndumping und zur Abzweigung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen in die Kasse der Zeitarbeitsfirmen missbraucht.

    • @Grisch:

      Das Problem ist, dass für eine "normale" Firma (kein Großkonzern der sich seine eigene Unterentität für Leiharbeiter hält) der Leiharbeiter aufgrund der Flexibilität mehr kostet als der Festangestellte, nur da wir kein brauchbares Kündigungsschutzgesetz gemacht haben, sondern einen eigenen Industriezweig der davon lebt diese Leute zu "vermitteln" kommt beim Leiharbeiter weniger an, wir haben nur einen unnötigen Dienstleistungsabschnitt geschaffen (per Gesetz) den Niemand braucht zum Wohle von Niemand (außer vll. nem SPD-Minister der danach in der Branche nen tollen Job hatte),

  • Hier haben wir eine Erklärung, warum es Protestwähler gibt, die zur AfD abwandern, und warum alle demokratischen Parteien bei der Landtagswahl 2016 in Mecklenburg-Vorpommern nicht so gut wie erhofft abgeschnitten haben.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @Stefan Mustermann:

      Quatsch. Die AfD ist wirtschaftlich viel liberaler als die LINKE. Wäre das der Grund für Protestwahl dann hätte die LINKE deutlich stärker abgeschnitten.

      • 8G
        80975 (Profil gelöscht)
        @33523 (Profil gelöscht):

        So ein "Quatsch" ist das nicht. Der französische Soziologe Didier Eribon - selbst aus der Arbeiterschicht kommend - konstatiert die Hinwendung der Arbeiterschaft hin zur Rechten als einen "Akt der Notwehr", weil sie sich durch die etablierten Parteien verschachert fühlt. Auch wenn das heutige Dienstleistungsproletariat sicher, wie Sie ja sagen, mit der Rechten noch schlechter aufgestellt sein wird. Der Brexit ist ja ein ganz ähnliches Phänomen.

        Das Buch zu lesen lohnt sich: "Rückkehr nach Reims" von Didier Eribon, Suhrkamp Verlag

        • @80975 (Profil gelöscht):

          Danke für diesen Beitrag und den Buchtipp!

        • @80975 (Profil gelöscht):

          Könnte man so sicherlich als zumindest diskutabel bezeichnen, und inzwischen weiß ja auch jeder, dass sich unter rot/rot oder rrg auch nicht direkt soviel ändert, daher fällt die Linke als Protest eher direkt weg, wenn dann noch meinem Interesse zuwiderlaufende Positionen (Prekäre Arbeitsverhältnisse und Open Border Fantasien gehen selten Hand in Hand) dazu nehme, wird die Linke schnell nicht wählbar.

           

          Allerdings darf man vorallem LA nicht wirklich überinterpretieren, wir reden hier immernoch von 2,2%! der Arbeitnehmer, und darunter fallen sogar noch Akademiker und Fachkräfte wie ITler die in der Leiharbeit sehr gutes Geld verdienen im Vergleich zu Hilfskräften, bei 961000 Menschen ins gesamt in Deutschland werden Wahlergebnisse wie MV kaum mit der Leiharbeit zu erklären sein.

      • @33523 (Profil gelöscht):

        soweit denken aber anscheinend viele AfD-Wähler nicht...

         

        Würden sie das Programm der AfD durchlesen, dürften viele wegen persönlicher Betroffenheit negativer Maßnahmen die AfD gar nicht wählen.

         

        Es ist bis jetzt erst einmal einfach nur "Protest" gegen etwas etabliertes und ohne viel zu denken, einfach dagegen, kann ja nur besser werden - ich das Opfer. Ist ja an anderer Stelle hier gut beschrieben.

  • ZFA Firmen erhalten Fördergelder von Bundesagentur für Arbeit. Das Prinzip ist einfach. Wer drei Monate Gelder bekommt, der muss auch drei Monate danach weiter beschäftigt werden. Die sogenannte Nachbeschäftigungsfrist entspricht also der Förderdauer. Die meisten Menschen bekommen befristete Verträge über 6 oder 12 Monate.Wieder raus nach der Frist und wieder neu einstellen. Davon profitiert in großem Stil die Quote der BA. So wird jedesmal eine erfolgreich besetzte Stelle generiert. Dass Zeitarbeit in der BA klar bevorzugt wird, weiß inzwischen jeder. Bringt es doch schnell die Arbeitslosenzahlen nach unten.Die Branche beklagt auch zu recht, dass die Wirtschaft nicht bereit ist zu zahlen! Sie wollen gut ausgebildete Fachkräfte beschäftigen, aber nichts zahlen. So liefert die Leihbranche billige Tagelöhner anstatt NEIN zu sagen.Die immer mehr steigende Armut und die Aufstocker sind nur einige Konsequenzen dieser Menschenverachtung. Dann befürchten die Arbeitgeber auch noch hohe Kosten für gleiche Bezahlung von Zeitarbeitern. Diese Menschen leisten die gleiche Arbeit wie die Stammbelegschaft !

    • @patty:

      Und dann wird über die Ängste der

      "Mittelschicht" angesichts des Wahlergebnisses der AfD ein total

      verar.... Kommentar geschrieben.

      Wisst ihr eigentlich, was ihr da so an Widersprüchlichem schreibt, TAZ-Team?

      • @RiaS :

        Aus der katastrophalen Wirtschaftspolitik der großen Koalition den Wahlerfolg der AfD ableiten zu wollen ist aber auch ein wenig hanebüchen. Immerhin kommt Linke, die sich heutzutage als einzige Partei konsequent für Arbeitnehmerrechte stark macht, in Westdeutschland selten über die 5%, während die AfD in Sachen Neokapitalismus eigentlich noch jenseits der CDU argumentiert:

        https://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/artikel/afd-partei-der-reichen/

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @RiaS :

        Erstens ist die taz kein Team, sondern hat eine Redaktion mit verschiedenen Zweigen. Zweitens sollten sie mal unterscheiden, ob jemand für die taz in der Redaktion arbeitet oder gelegentlich mal in der taz schreibt bzw. publiziert. Die taz sitzt in Berlin/Hamburg. Seeßlen sitzt in Kaufbeuren im Allgäu. Nicht immer von Suppe auf Journalismus schließen, nur weil in beiden ein u und ein s vorkommt.

        • @24636 (Profil gelöscht):

          Naja, von einer Zeitung erwarte ich eher Journalismus als Suppe.