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Jahresrückblick der SportredaktionWas Frau Berger mit der Hand macht und wie sich Trump feiert

2025 hat im Sport so viel geboten, das lässt sich nicht einfach abrufen. Hier die Highlights und Tiefschläge des Jahres, nur wenig vorsortiert.

Im Mittelpunkt: Englands Chloe Kelly avancierte im EM-Finale gegen Spanien zur Matchwinnerin Foto: Cat Goryn/Shutterstock/imago

Was war der Sportmoment des Jahres?

Hatte man so etwas schon gesehen? Es war noch keine Viertelstunde im EM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Frankreich gespielt, da griff Verteidigerin Kathrin Hendrich beherzt zu, nahm den Zopf ihrer Gegenspielerin Griedge Mbock in die Hand und zog daran. Gegen die fällige Rote Karte gab es keinen Protest, und so musste Deutschland 100 Minuten in Unterzahl gegen Frankreich verteidigen, was es zu verteidigen gab. Und das war viel. Der Zug am Zopf war einer der zahlreichen irren Momente in diesem Fußballspiel des Jahres.

Da war ja dann noch dieses wunderschöne Abseitstor der Französinnen, die dann ja noch ein Abseitstor geschossen haben. Da war der verschossene Elfmeter von Sjoeke Nüsken, der den hoffnungslos unterlegenen Deutschen dann doch nicht die Führung gebracht hat. Da war diese Parade von Ann-Kathrin Berger, an die man sich noch erinnern wird, wenn dereinst die besten Torhüterinnenaktionen des 21. Jahrhunderts prämiert werden. Da waren die zwei Schüsse, die Berger im Elfmeterschießen pariert hat. Und da war der Elfmeter, den sie selbst verwandelt hat. Es war ein Spiel voller Sportmomente des Jahres. Andreas Rüttenauer

Wie lautet das Sportzitat des Jahres?

Trump-Infantino-Zitate sind eine schöne Sache. So wirr, so surreal, dass sie jede Sammlung schmücken. Aber seien wir ehrlich, hat irgendwer Bedarf, den Schrott schon wieder zu lesen? Würdigen wir stattdessen ein paar größere Momente des Sports in diesem düsteren 2025.

„Es gibt viele Menschen, die Selbstbewusstsein nicht mögen, besonders, wenn eine Frau viel Selbstbewusstsein ausstrahlt. Vielleicht ist es gerade mein Selbstbewusstsein, das dafür sorgt, dass mir das egal ist.“ Fußballerin Chloe Kelly, eine der Gewinnerinnen dieses Jahres, der es an Selbstbewusstsein sicher nicht mangelt.

„Sport ist nicht neutral bei Ungerechtigkeit. Sport darf nicht schweigen, während Athleten und Zivilisten in Gaza wahllos massenhaft getötet werden. Schweigen bedeutet akzeptieren, dass das Leben mancher weniger wert ist als das anderer.“ 50 Sport­le­r:in­nen schweigen nicht und fordern in einem Brief an die Uefa im September Sanktionen gegen Israel.

„Fankultur überlebt jede Ministerkonferenz.“ Protestbanner von Fans gegen die Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen im Stadion. Erwies sich als korrekt.

„Bislang haben wir uns dafür entschieden, vor Spielen niederzuknien. Es ist klar, dass wir und der Fußball einen anderen Weg finden müssen, um Rassismus zu bekämpfen.“ Die Engländerinnen glauben angesichts immer neuer Hasswellen nicht mehr an Symbolik.

Und zum Schluss, etwas unorthodox in dieser Reihe: „Ich liebe es, wenn meine Mannschaft mich ein bisschen testet.“ Torhüterin Ann-Katrin Berger zu ihrer spektakulären Parade gegen Frankreich. Große Unterhaltung kann sie. Und damit sind wir wieder bei Trump. Alina Schwermer

Wer war der Gewinner des Sportjahres?

Wäre ja was, könnte man auf die Frage nach dem Gewinner des Jahres „Alexander Zverev“ antworten. Kann man aber nicht, es sei denn, man ist sehr gutmütig. Im Grunde hat sich Zverev zu Beginn des Jahres selbst aus der Wertung genommen: Er sei einfach nicht gut genug, bekannte er nach der Finalniederlage gegen Jannik Sinner bei den Australian Open. Der hätte Zverev den Titel als Verlierer des Jahres streitig machen können, denn bei den French Open in Paris passierte dem Italiener etwas, was so nicht passieren sollte: Er vergab drei Matchbälle und musste in einem epischen Spiel (ja, das war: ganz großes Tennis) seinem Kontrahenten Carlos Alcaraz Sieg und Trophäe überlassen. Also ist der Spanier der Gewinner des Jahres? Nein, doch Sinner, denn die Revanche in Wimbledon gelang ihm eindrucksvoll. René Hamann

Was war das größte sportliche Ärgernis des Jahres?

Für mich persönlich sicherlich das Endergebnis der Frauenfußball-EM. Nachdem das spanische Team sich durch das Turnier gezaubert hat, verliert es dann ausgerechnet im Elfmeterschießen gegen die Engländerinnen. Aber, Schwamm drüber! Bei der Nations League konnten die Spanierinnen wieder zeigen, was sie draufhaben. War also nur ein temporäres Ärgernis.

Den viel bittereren Nachgeschmack hat hingegen die Selbstehrung Donald Trumps bei der Auslosung zur Fußball-WM hinterlassen, initiiert durch seinen Sidekick Gianni Infantino. Auf Letzteren ist, wenn es um Schleimerei und Korruption geht, schließlich Verlass. Denn nachdem der US-Präsident – seiner eigenen Meinung nach ungerechterweise – weder den Friedensnobelpreis bekommen hat, noch vom Time Magazine zur „Person of the Year“ gekürt worden ist – ja, nicht einmal das People Magazine ihn zum „Sexiest Man Alive“ auserwählt hat –, ist er dann doch noch dieses Jahr zu seinem Friedenspreis gekommen. Kumpel Infantino hat dafür einfach den Fifa-Friedenspreis geschaffen. Ein Klotz aus goldenen Zombie-Hände, die sich verzweifelt nach oben Richtung Weltkugel recken.

Die dazugehörige Medaille hat sich Trump dann auch noch selbst umgehängt. Kritik gab’s hingegen wenig. Schließlich weiß jeder: Fußball ist klar unpolitisch. Weise Worte kamen dementsprechend von Julian Nagelsmann, der Preis könne Trump einen Anreiz bieten, „sich für den Frieden auf der Welt einzusetzen“. Kein Kommentar. Immerhin: Auf die New Yorker Tennis-Richkids beim Finale der US Open war dieses Jahr wenigstens Verlass. Sie begleiteten den dortigen Auftritt Trumps mit Buhrufen und Pfiffen. Ruth Lang Fuentes

Was war das Sportbuch des Jahres?

Vielleicht ist dieses eine Buch nicht das eine Buch des Jahres. Aber in seinem scheinbar kleinteiligen Thema offenbart sich die Relevanz von allem: dass nämlich der Sport nicht Anhängsel, sondern gestaltender Teil der Gesellschaft ist. Viele Menschen lieben ihn, engagieren sich enorm und sorgen dafür, dass Großes geschieht. Und Großes muss halt nicht immer Gutes sein. Dieter Vaupel ist Radsportler, Historiker und durchaus Fan des Radsports. Nun hat er die Geschichte der Deutschland-Rundfahrt rekonstruiert. Die sollte nämlich einerseits einmal, zweimal, sogar dreimal so etwas wie das deutsche Pendant zur Tour de France sein. Andererseits hat sie mehrfach gezeigt, dass sie das nicht sein kann.

Von ihren Anfängen 1911 und die Wiederbelebung in den 1920er Jahren über die massive Aufrüstung des Events von 1937 bis 1939 bis hin zu den immer wieder unternommenen und stets scheiternden Versuchen, die Deutschland-Rundfahrt wiederzubeleben. Kurz gesagt: Zur Monstrosität des NS-Regimes hat der Sport mit seinem Gigantismus, seinen Ausschluss von „nicht-deutschen“ Menschen, seiner ideologischen Überfrachtung und seiner Indienstnahme in die Expansionspolitik mehr als nur ein bisschen beigetragen. Kann man das beweisen? Für den Radsport hat es Dieter Vaupel getan: „Die Deutschland-Rundfahrt. Geschichte eines Radrennens. 1911 bis 1950“ (Edition Einwurf 2025, 28 Euro) Martin Krauss

Wer war die Sportfunktionärin des Jahres?

Was für eine Nachricht Ende des Jahres! Immerhin gut 62 Jahre hat man auf diese warten müssen. Erstmals seit Einführung der Männerfußball-Bundesliga übernimmt eine Frau in einem Verein den wichtigsten Posten. Tatjana Haenni wird oberste Geschäftsführerin bei RB Leipzig. Der so häufig geschmähte Konzernklub RB Leipzig konnte ganz im Sinne seines eigenen Selbstverständnisses, moderner und beweglicher als alle anderen zu sein, diese frohe Kunde noch vor Weihnachten verbreiten.

Geschickt getimt an dem Tag, als auch die Frauen-Bundesliga einen autonomen Ligaverband ins Leben rief. Wobei die näheren Ausführungen aus dem RB-Kosmos zu der Postenbesetzung dann doch wieder eine paternalistische und oberchefige Färbung hatten: „Es war wichtig, jemanden zu finden, der zu uns passt, der in die Stadt passt, kompatibel ist mit der Geschäftsführung und mein höchstes Vertrauen genießt.“ Das erklärte ihr künftiger Vorgesetzter Oliver Mintzlaff, Chef der internationalen Sportsparte bei Red Bull. Anders als bei anderen Klubs gibt es eben noch eine Hierarchieebene über dem Verein.

Haenni hat einmal gesagt: „Ich habe nichts gegen Männer, auch nicht im Frauenfußball …, solange sie sich damit auskennen.“ Schön, dass das nun offenbar auch mal umgekehrt gilt. Als Geschäftsführerin wird sie allerdings ebenso für die Fußballerinnen von RB Leipzig verantwortlich sein. Gemessen an den Möglichkeiten des Vereins wird diese Abteilung bislang erstaunlich kurz gehalten. Die Einstellung von Haenni darf auch die Fußballerinnen hoffen lassen. Johannes Kopp

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