Jagd auf Kängurus: Ist es Schuhsohle oder Delikatesse?
In Australien werden Kängurus geschossen. Und gegessen. Nicht alle finden das gut. Dabei ist ihr Verzehr für die Umwelt besser als der von Rindern.
Der Jäger fährt zum Tier, springt aus dem Wagen. Er wuchtet den leblosen Körper hoch und hängt ihn an einem Gestell am Wagen an zwei Haken. Ein Stich mit einem scharfen Messer in die Hauptschlagader, und das Tier blutet aus. Dann schneidet er den Körper auf. Leber, Magen, Gedärme klatschen auf den Boden. Schließlich schlägt er dem Känguru den Schwanz ab, zuletzt den Kopf. Oder was davon übrig geblieben ist. Die Kugel hat das Gehirn komplett zerstört. Der Tod war augenblicklich. „So muss es sein, und nicht anders“, erklärt der Jäger dem Reporter.
Fleischproduktion ist nie ein angenehmes Geschäft. Tiere sterben; in den meisten Fällen leiden sie vorher, haben Panik, spüren das nahende Ende. Alle, die einmal ein paar Stunden in einem Schlachthof verbracht haben, wissen das. Vor diesem Hintergrund ist die Kängurujagd – oder „Ernte“ – wie sie in der australischen Fleischindustrie genannt wird, vergleichsweise human.
„Das Tier weidet in seiner natürlichen Umgebung – und eine Sekunde später ist es tot“, sagt ein Sprecher der Nationalparkbehörde des Bundesstaates New South Wales. Sowohl die Jagd als auch die Verarbeitung von Kängurus sei „so sehr reguliert wie kein anderer Zweig der Agrarindustrie“. Derzeit sterben in Australien so rund 1,6 Millionen Kängurus. Gejagt werden nur vier Arten, die endemisch vorkommen und oftmals sogar in Überzahl. Die Abschusslimits werden jedes Jahr neu berechnet. Sie richten sich nach dem Tierbestand in einem bestimmten Gebiet.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Nicht nur die Jagd, auch die Zubereitung von Kängurufleisch will gelernt sein. Denn es kann nicht so einfach zubereitet werden wie etwa Rindfleisch; der minimale Fettgehalt bedingt einigen Aufwand. Jedes Stück muss vor dem Braten oder Grillen in gutes Olivenöl eingelegt werden, idealerweise über Nacht, mindestens aber für zwei Stunden.
Zum Braten erhitzt man eine Grillpfanne ohne weiteres Öl so stark wie nur möglich, darin darf man das Fleisch nur für wenige Minuten pro Seite liegen lassen und dabei auf keinen Fall drücken oder sonst bewegen. In jedem Fall gilt: je kürzer, desto besser, denn ein Känguru-Rumpsteak oder -filet kann nur medium rare oder rare genossen werden. Anschließend sollte das Fleisch dann noch mehrere Minuten im Backofen geschmort werden und schließlich mit Aluminiumfolie zugedeckt für 20 Minuten bei Zimmertemperatur ruhen.
Nicht immer ein sauberes Geschäft
Gelingt es, dann kann man sich auf ein gutes Stück Fleisch freuen, dazu passt gedämpftes Gemüse und vielleicht eine Sauce béarnaise. Dank des prominenten Eigengeschmacks von Känguru – es erinnert an Wild – reicht in vielen Fällen aber auch Pfeffer und Salz.
Gelingt es hingegen nicht, hat man ein Steak auf dem Teller, das die Konsistenz einer Schuhsohle hat. Nicht nur deswegen ist Kängurufleisch bei den Australier:innen nicht so besonders populär. Viele Ältere sehen es zudem als Fleisch für „arme Leute“, ein Relikt aus Zeiten, in denen Känguru das einzige Tier war, das sich viele leisten konnten. Andere wollen ihr Nationaltier nicht essen. So endet der Großteil des Kängurufleisches in Australien im Hundefutter.
Zusätzlich hat sich gegen die kommerzielle Nutzung von Kängurus in den letzten Jahren eine massive Opposition gebildet. Tierschutzorganisationen vor allem in Europa laufen Sturm und haben in mehreren Fällen erreicht, dass Firmen auf den Verkauf von Känguruprodukten verzichten. In Großbritannien nahmen Verteiler nach Protesten Kängurufleisch aus dem Angebot. Im März gaben die Sportartikelhersteller Nike und Puma bekannt, keine Schuhe mehr aus Känguruleder herstellen zu wollen. Der Druck auf Adidas, dasselbe zu tun, ist groß.
Ganz unrecht haben die Kritiker und Kritikerinnen nicht. Die Kängurujagd ist nicht immer ein sauberes Geschäft. Laut dem australischen Tierschutzverband RSPCA kommen regelmäßig nicht sofort tödlich wirkende Schüsse in den Hals, den Brustkorb oder noch tiefer vor. Die obligatorische Ausbildung von Jägern in den meisten Bundesstaaten habe aber dazu geführt, dass die Zahl der Fehlschüsse heute nur noch bei rund vier Prozent liege – immer noch zu viel natürlich.
Zudem stört Tierschützer:innen, dass auch Muttertiere mit Jungen geschossen werden. Die verwaisten „Joeys“, so heißen die Babys in Australien, müssen dann gemäß Vorschrift von den Jägern erschlagen werden, weil sie ohne den Schutz ihrer Mütter sofort Opfer von Raubvögeln und Füchsen würden.
Kängurufleisch ökologisch sinnvoller
Untersuchungen zeigten, dass nichtprofessionelle Jäger für die meisten dieser Tierquälereien verantwortlich seien, so der RSPCA. Der Tierschutzverband fordert, ausnahmslos nur noch speziell lizenzierten Schützen die Jagd auf Kängurus zu erlauben. Bis heute kann praktisch jeder Landbesitzer selbst auf legale Weise zur Waffe greifen, wenn er zuvor ein Formular ausfüllt. Die toten Tiere muss er allerdings liegen lassen.
Das wiederum sei ein kompletter Unsinn und eine Verschwendung kostbaren Eiweißes, sagen Kritiker wie der Paläontologe Mike Archer. Kängurufleisch enthält praktisch kein Cholesterin – weniger als bestes Rindfleisch – und gilt deshalb als besonders gesund, zudem ist es reich an wichtigen Mineralien und frei von künstlichen Chemikalien.
Archer fordert seit Jahren, Australien solle anstelle von anderen Tieren mehr Kängurufleisch essen, denn damit helfe man auch der Umwelt. „Harthufige europäische Nutztiere wie Schafe und Rinder schädigen die Bodenoberfläche und beschleunigen den Prozess der Erosion.“ Kängurus dagegen hätten sich den ganz spezifischen Gegebenheiten des Landes „in Millionen von Jahren angepasst“, so der Wissenschaftler. Ihre weichen Füße garantierten die Unversehrtheit des Bodens.
Zudem fressen die Beuteltiere fünfmal weniger Gras als Schafe und trinken wesentlich weniger Wasser als Nutzvieh – ein entscheidender Faktor auf dem zweittrockensten Kontinent der Erde. „Wenn wir nicht lernen, mit dem zu leben, was uns dieses Land gibt“, sagt Paläontologe Archer, „dann werden wir es zerstören und dabei untergehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen