Italiens Zivilgesellschaft wacht auf: Die Schwarmintelligenz
Der rechtsextreme Matteo Salvini hat einen neuen Gegner: Die Sardinen-Bewegung protestiert friedlich gegen Hetze. Sie verbreitet sich rasend schnell.
Tausende Menschen drängen sich am frühen Abend in Rimini, gleich hinter dem alten Fischmarkt, auf dem Rathausplatz, und viele haben sich mit Sardinen ausgerüstet: aus Papier in Klarsichthülle, aus Pappe, aus Holz, mal in den Regenbogenfarben bemalt, mal in den Farben der EU.
Und immer wieder ist auf den Fischen zu lesen, „Rimini beißt nicht an“, oder auch „Rimini non si Lega“ – Rimini lässt sich nicht fesseln, ein Wortspiel mit dem Namen der aggressiv rechtspopulistischen Lega, die in ganz Italien auf dem Vormarsch ist und mittlerweile in den Meinungsumfragen bei 34 Prozent liegt.
„Wir stehen hier wirklich dicht gepackt wie die Sardinen“, strahlt Marta, eine 17-jährige Gymnasiastin, „und endlich wird sichtbar, dass es ein anderes Rimini, eine andre Romagna, ein anderes Italien gibt, das die Hassbotschaften von Matteo Salvini zurückweist, das für Demokratie, für Offenheit, für Toleranz und gegen Rassismus steht.“
Thunfisch gegen Sardinen
Nein, politisch aktiv war Marta bisher nicht, aber hier musste sie einfach dabei sein, „die Vorstellung, dass Salvini mit seiner Lega am 26. Januar auch hier in der Emilia Romagna die Regionalwahlen gewinnt, ist einfach schauerlich“.
Eben von diesem Sieg in der seit 1945 ununterbrochen links – zunächst von den Kommunisten, dann von den Linksdemoraten und heute von der Partito Democratico (PD) – regierten Region träumt Salvini, und um sein Ziel zu erreichen, tourt er in diesen Tagen unermüdlich durch die Emilia Romagna.
Marta, 17 Jahre alt, Schülerin
Nur eine gute Stunde vor dem Massenauflauf der Sardinen hatte auch er seinen Auftritt in Rimini, nur 300 Meter vom Rathausplatz entfernt. Schon da wurde deutlich, dass ihm der neue, völlig unerwartete Protest der Sardinen schon ein wenig zu schaffen macht.
Es begann mit dem Outfit: Salvini präsentierte sich in einem dunkelblauen Fleecepulli, auf ihm zu sehen ein Thunfisch, der sich daranmacht, einen Schwarm Sardinen zu verschlingen.
Die „Zecken“ waren ihm recht
In seiner kurzen Rede dann beschwert sich Salvini etwas lahm, die Sardinen seien ja „bloß dagegen“, statt konstruktive Vorschläge zu machen, und überhaupt, „dieser Kampf gegen Marsmenschen, Nazis, Faschisten – hier vor mir sehe ich keine Faschisten, sondern bloß Italiener, die stolz darauf sind, Italiener zu sein!“
Vor sich sieht Salvini, der das neue Parteibüro der Lega einweiht, eine bescheidene Schar von vielleicht 300 Fans – vor allem aber sieht er keinen einzigen Protestierenden.
Eigentlich mochte er die immer: die Militanten aus den Centri sociali, den besetzten autonomen Zentren, die ihm wütende Parolen zuriefen, die womöglich versuchten, die Polizeiketten rund um die Lega-Veranstaltungen zu durchbrechen. Die konnte er mit einer Mischung aus Ironie und Häme abfertigen, sie als „Zecken“ schmähen, als „figli di papà“, also vom begüterten Papa ausgehaltene Faulpelze lächerlich machen, die mal „lieber arbeiten gehen sollten“. Die Menge der Lega-Anhänger johlte dann jedes Mal begeistert.
Die Sardinen dagegen setzen auf ein radikal anderes Protestformat, und das wird auch in Rimini deutlich. Gleich zum Auftakt schärft eine Sprecherin den wohl 7.000 Menschen auf dem Platz – kein Klacks in einer 150.000-Einwohner-Stadt – ein: „Keine Parteifahnen, keine Hassparolen, wir sind absolut friedlich“.
Bunter Widerstand
In der Tat wirkt die Versammlung wie ein enormes Familientreffen. Schüler und Studentinnen mischen sich mit alten Herrschaften um die 80, Elternpaare schieben Kinderwagen, ein angegrauter Herr erklärt, er sei schon 1980 bei den Protesten gegen die nukleare Aufrüstung dabei gewesen, die meisten aber lassen wissen, sie seien keine politischen Aktivisten.
Und statt einer Rede gibt es Gesang. Mit leuchtenden Augen stimmen Tausende „Romagna mia“ an, die Lokalhymne der Region an der Adria, die nur eine gute Stunde vorher auch Salvini bei seiner Kundgebung gesungen hatte, und die Botschaft ist klar: Wir lassen uns von der Lega weder unsere Hymne noch unseren Landstrich rauben.
Heiter ist die Stimmung auf dem Platz, von Aggressivität keine Spur, selbst dann nicht, wenn die Rede auf die Rechtspopulisten von der Lega kommt. „Bella Ciao“, die alte Partisanenweise, ist das nächste Lied, das der Platz anstimmt, wieder singen alle mit Inbrunst mit.
Und auf ihre Weise stehlen sie Salvini die Show. Der hatte in den letzten Monaten den Mythos verbreitet, er vertrete „das Volk gegen den Palazzo“. Jetzt muss er Tag für Tag ganz viel Volk zur Kenntnis nehmen, das Präsenz zeigt: Präsenz gegen ihn.
Superwahljahr 2020
Eben darum ging es den vier Gründern des Ganzen. Sie wollten vor knapp zwei Wochen, als der Lega-Anführer dort seinen Regionalwahlkampf eröffnete, eigentlich nur zu einem lokalen Event in Bologna aufrufen. Salvini hatte den PalaDozza angemietet, einen Sportpalast mit 5.700 Plätzen. Deshalb die „6.000 Sardinen“.
Die vier, alle um die 30 Jahre alt, hatten die Idee, mit einem Facebook-Aufruf einfach mehr Leute auf die Piazza zu bringen als die Lega versammeln würde, mehr Leute mit der einen Botschaft, dass es ein anderes als das rechte, rabiate Italien der Lega gibt.
Schließlich hatte der Politiker, der „Italiener zuerst!“ predigt und in seiner Zeit als Innenminister die Politik der „geschlossenen Häfen“ durchgesetzt hatte, gerade erst am 27. Oktober die Region Umbrien mit einem triumphalen Wahlsieg erobern können.
In acht weiteren Regionen wird allein im kommenden Jahr gewählt. Am 26. Januar 2020 im süditalienischen Kalabrien und am selben Tag eben auch hier, in der Emilia Romagna, der Region, über die Salvini die Parole ausgegeben hatte, sie zu „befreien“. Und die Meinungsumfragen zeigen: Seine Chancen stehen nicht schlecht, Kopf an Kopf liegen die Rechte und die Linke.
Die dicken Fische kommen noch
In Bologna allerdings war dann das Rennen klar für die Sardinen ausgegangen, nicht 6.000, sondern um die 12.000 Menschen hatten sich eingefunden, um ebenso friedlich wie entschlossen gegen die Lega Stellung zu beziehen. Und was als lokaler, spontaner Grassroots-Protest begann, wurde binnen weniger Tage zur Lawine – jeden Abend gehen quer durch Italien Tausende Menschen auf die Straße, um zu zeigen, dass sie „nicht anbeißen“ bei den Hasspredigern.
Dabei kommen die wirklich großen Städte erst noch, mit Mailand am nächsten Wochenende, mit Rom am 14. Dezember. Auf der dortigen Facebook-Gruppe haben sich mehr als 100.000 Menschen registriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland