Israels Wahldebakel: Die Sünden des David Ben-Gurion
Das israelische Wahlergebnis ist auch Ergebnis sozialistischer Beschwichtigungspolitik. Religiöse Fanatiker ernten die süßen Früchte.
B ei diesen Wahlen hat die Linke eine schwere Niederlage erlitten, von der sie sich vielleicht nie mehr erholen wird. Meretz, die einzige Partei, die sich eindeutig als links definiert – außer den Kommunisten – scheiterte an der Sperrklausel und droht, von der politischen Landkarte zu verschwinden. Die sich abzeichnende Koalition von Benjamin Netanjahu ist offen rassistisch.
Sie stützt sich auf fanatische, fundamentalistisch-religiöse Parteien, die Liberalismus und Demokratie zutiefst ablehnen und die das Rechtssystem zerstören wollen. Um zu verstehen, wie das passieren konnte, tut ein Blick in die Vergangenheit Not. Der Hauptschuldige ist David Ben-Gurion. Israels erster Regierungschef pries das, was er als „Staatlichkeit“ bezeichnete, und unterband Strömungen, die seiner Meinung nach die Staatlichkeit bedrohten.
So entschied er bereits in den 1950er Jahren, das unabhängige Bildungssystem der Arbeiterpartei einzustellen. Damit verlor die sozialistische Bewegung die Möglichkeit, die eigenen Werte an die Jugend weiterzugeben. Dem entgegen rührte Ben-Gurion das unabhängige orthodoxe Bildungssystem nicht an.
Die ultraorthodoxen Rabbiner durften ungehindert hunderttausende Schüler nach den eigenen fanatisch-religiösen Vorstellungen erziehen und so eine riesige Öffentlichkeit schaffen, die die von Ben-Gurion als so wichtig empfundene Staatlichkeit komplett ablehnten. Zusätzlich befreite Ben-Gurion die orthodoxen Staatsbürger von der Wehrpflicht. So wuchs eine Bevölkerung, die sich faktisch wie ein Staat im Staate verhielt, eine Gesellschaft innerhalb einer Gesellschaft.
lehrt Jüdisches Denken am Sapir College in Sderot und ist Autor vieler Sachbücher und Romane. Auf Englisch erschien im Mai sein Spionagethriller „The March Angel“.
Unter der Regierung von Menachem Begin und später auch unter Netanjahu gesellte sich der Sektor der verbitterten, frustrierten Juden dazu, deren Familien aus muslimischen Ländern nach Israel eingewandert waren und die sich nicht mit den bis in die 1970er Jahre vorherrschenden Werten der Moderne und der Säkularität identifizierten.
Fataler Faktor Demografie
Erschwerend kommt die demografische Entwicklung hinzu. Die religiöse, konservative und ärmere Bevölkerung wächst deutlich schneller als die säkulare, liberale und etablierte. All das macht sich an den Wahlurnen bemerkbar. Demokratie kann bisweilen eine fürchterliche Angelegenheit sein.
Parallel zum ständigen Erstarken der religiösen Rechten, die immer radikaler wird, dümpelt die Linke seit Jahrzehnten unentschlossen vor sich hin. Das fängt an mit der „warmen Ecke“, die den Orthodoxen im Herzen von Ben-Gurion vorbehalten war, setzt sich fort mit der seltsamen Sympathie, die Chefs der Arbeitspartei, darunter auch Schimon Peres, für die Siedlerbewegung empfanden, und endet mit den Versuchen des noch amtierenden Regierungschefs Jair Lapid, sich als Rechter in Szene zu setzen.
Im Wahlkampf war nahezu keine klare linke Stimme zu hören. Keine kompromisslose. Zappelnd, sich entschuldigend, stotternd bläst Israels Linke die eigene Seele aus. Die letzten der Linken sind im Schockzustand und tiefer Trauer. Viele werden sich in den kommenden Jahren auf den Weg nach Berlin machen. Viele mehr wären längst unterwegs, würden die Immobilienpreise dort nicht so drastisch steigen.
Was bleibt? Israel wird nicht mehr „die einzige Demokratie im Nahen Osten“ sein, wie Netanjahu gern betont, sondern eher eine Theokratie mit diktatorischen Zügen. Wird Deutschland für Israel trotzdem weiter die Carte blanche bereithalten? Tatsache ist wohl, dass sich die künftigen Machthaber in Jerusalem ohnehin von Kritik aus dem Ausland kaum beeindrucken lassen würden. Einzig effektiv wäre, Israels Linke zu unterstützen. Wenigstens das, was davon noch übrig ist.
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