Israelischer Botschafter in Neukölln: Perfekt abgeschirmt durch Neukölln
Der israelische Botschafter besucht die Sonnenallee, nachdem häufiger antiisraelische Plakate gesichtet wurden. Den Menschen dort begegnet er nicht.
Dann geht ein Ruck durch die PolizistInnen: Schwarze Limousinen nähern sich aus Richtung Karl-Marx-Straße, dann geht Prosor die letzten Schritte zur Ecke, neben ihm Bezirksbürgermeister Martin Hikel. Während sich schrankgleiche LKA-Männer um die beiden aufbauen, zeigt Hikel dem Besucher eine Reihe von Fotografien in einer schwarzen Mappe.
Abgebildet sind darauf Plakate, wie sie an der Sonnenallee zuletzt öfter zu sehen waren: Solidaritätsaufrufe mit palästinensischen Gefangenen, auch die Verherrlichung von Raketen auf Israel. Die B.Z. hatte darüber berichtet, Prosor selbst hatte den Artikel auf Twitter geteilt und dazugeschrieben: „Als ich vor einem knappen Jahr hier angekommen bin, hätte ich nicht erwartet, dass die Straßen von Neukölln denen von Gaza derart ähneln.“
Die Plakate stammen von der Gruppe Samidoun, die an Ostern auch eine Demo anmeldete, auf der antiisraelische sowie antisemitische Parolen gerufen worden sein sollen. Zwei weitere Kundgebungen wurden dann von der Polizei verboten – was eine Gruppe aus jüdischen und israelischen BerlinerInnen als diskriminierend und antidemokratisch kritisiert wurde.
Der Botschafter ist sich jedenfalls sicher, dass Poster und Parolen der Ausdruck kleiner, terroristischer Gruppen sind: „Die schweigende Mehrheit sind anständige Leute“ – gemeint ist natürlich die arabische Community in Neukölln. Samidoun müsse als Terrororganisation eingestuft und verboten werden, damit „befreie“ man auch alle anderen.
Hikel gibt zu Protokoll, dass die Demonstrationen „grenzwertig“ gewesen seien. „This is no fun, this is supporting terrorism“, sagt er zu den Plakatierungen in ein Mikro. Er verweist darauf, dass der Bezirk im Rahmen des Migrationsrats im Gespräch mit vielen Vereinen sei. Gleichzeitig habe Neukölln die Partnerschaft mit der israelischen Stadt Bat Yam reaktiviert.
Lebende Mauer vor der Shishabar
Dann geht es zu Fuß die Sonnenallee entlang: Zwei Dutzend uniformierte PolizistInnen, ein halbes Dutzend LKA-Personenschützer und eine nicht genau bezifferbare Menge auffällig unauffälliger Männer umgeben Prosor und Hikel wie ein Schutzschild, die Straße ist für den Verkehr abgeriegelt. Zum Kontakt mit den Menschen, die hier leben, kommt es nicht. Als der Tross eine Shishabar passiert, bilden die Uniformierten eine lebende Mauer zu den Männern, die davor sitzen und rauchen.
An Ende trinken Prosor und Hikel einen Kaffee in der Pannierstraße: nicht etwa vor der syrischen Palast-Konditorei, sondern vor der „Croissanterie“, dem mutmaßlich letzten Überbleibsel hier aus der Zeit, bevor die Sonnenalle arabisch und die Weserstraße verhipstert wurde.
Eines kann der menschliche Schutzschild dann nicht verhindern: Drei junge Männer, die gegenüber frühstücken, bekommen mit, was los ist, und improvisieren eine Protestnote: Sie schreiben mit grünem Nagellack „Free Palestine“ auf eine Serviette und lassen sie vom Tischrand flattern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen