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Israelboykott in der PopkulturBrücken bauen oder abreißen

Immer wieder lassen sich Popstars und Talente vor den Karren eines Israelboykotts spannen und geben keine Konzerte mehr im Land.

Radiohead, hier beim Glastonbury Festival, bekamen den Druck vor dem Auftritt in Israel zu spüren Foto: dpa

„Wenn du in Tel Aviv auftrittst, unterstützt du die Feier von Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen, Enteignungen und einer kontinuierlichen Unterdrückung“, bekam Björk 2008 in einem offenen Brief der Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel zu hören, die weltweit bekannt ist unter dem Kürzel BDS. Ihr Konzert sagte die Isländerin daraufhin ab.

2015 erhielt auch die britische Autorin J. K. Rowling einen Brief der Organisation, in dem sie aufgerufen wurde, „auf der richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen. Rowling war prominenteste Unterzeichnerin des im Guardian veröffentlichten Aufrufs „Israel needs cultural bridges, not boycotts“.

Im gleichen Jahr hatten bereits zahlreiche britische Kulturschaffende eine Solidaritätserklärung unter dem Motto „UK Artists for Palestine“ veröffentlicht, in der sie sich analog zur BDS-Kampagne verpflichten, „keine beruflichen Einladungen nach Israel anzunehmen, keine Förderung von irgendeiner Institution, die mit seiner Regierung zusammenhängt, bis sie internationales Recht und das allgemeine Prinzip der Menschenrechte anerkennt“. Unterzeichnet war der Aufruf unter anderem von den PopkünstlerInnen Jarvis Cocker, Kate Tempest, Richard Ashcroft, Brian Eno, Robert Wyatt und Matthew Herbert.

Seit die weltweite Kampagne zum kulturellen, wirtschaftlichen und akademischen Boykott Israels 2005 offiziell ins Leben gerufen wurde, hat sich durch die immer größer werdende Liste an Unterstützern der Druck auf Künstler enorm erhöht. Stars aus allen kulturellen Gebieten von Snoop Dogg über Judith Butler und Carlos Santana bis Jean-Luc Godard finden sich dort, Israelboykottbefürworter für jede Zielgruppe. Sobald die Tour eines westlichen Musikers auch einen Termin in Israel enthält, stehen BDS-Aktivisten mit offenen Briefen auf dem Plan und schaffen Druck.

Alice Walker rief 2013 öffentlich die US-Sängerin Alicia Keys auf, ein geplantes Konzert abzusagen, Roger Waters mit Unterstützung von Thurston Moore, Brian Eno und anderen im Juli 2017 forderten dies von der britischen Popband Radiohead. Via Facebook und Twitter werden Fans und Öffentlichkeit mobilisiert und uneinsichtige Musiker zusätzlich unter Druck gesetzt, wie es Radiohead nach ihrem Konzert massiv zu spüren bekamen.

Eine neue Entwicklung ist, dass bei den Kampagnen zunehmend auch jüdische KünstlerInnen angegangen werden, die keinen israelischen Pass besitzen. So wurde 2015 bei einem Festival in Spanien der US-amerikanische Musiker Matisyahu dazu genötigt, öffentlich Stellung gegen Israel zu beziehen. Als er sich weigerte, wurde er kurzerhand wieder ausgeladen.

Neben der weltweiten BDS-Kampagne existieren zahlreiche Solidaritätserklärungen, von „Black 4 Palestine“, einem Zusammenschluss afroamerikanischer Aktivisten und Kulturschaffender von Angela Davis bis zu Mumia Abu-Jamal, bis hin zu regionalen Zusammenschlüssen wie den „500 Artists Against Israeli Apartheid“ aus Montreal, der sich 2010 gegen „den israelischen Kolonialismus und Apartheid“ richtete.

Unter den 500 Unterzeichnern finden sich auch zahlreiche Musiker des linken Plattenlabels Constellation Records, das seitdem seine Tonträger nicht mehr nach Israel exportiert. Kaum merklich haben sich durch solche subtilen Maßnahmen neue Selbstverständlichkeiten etabliert, der kulturelle Boykott des Landes scheint zu einem Konsens unter vielen Kulturschaffenden geworden zu sein.

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11 Kommentare

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  • Wenn es irgendeinen Bereich gibt der egal wo, nicht über Boykotte reden sollte sondern den Spielraum für Botschaften nutzen sollte und das auch effektiv schafft (da die Zuhörer/Zuschauer denen stets offen gegenüber stehen), dann ist es die Kunst.

  • Eine schöne, erfreuliche Erfolgsgeschichte.

    Es ist insbesondere beruhigend, dass sich die Künstler vom Antisemitismusvorwurf nicht mehr sonderlich beeindrucken lassen.

    • @Linksman:

      Das ist in der Tat äußerst beruhigend!

      Die Künstler fühlen sich durch den Antisemitismus"vorwurf" schwer geschmeichelt!

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich unterstelle jetzt mal, die Künstler haben dabei keine antisemitischen Motive.

    Dann halte ich die Kulturboycott-Haltung mindestens für einfallslos, undifferenziert und vereinfachend, zumindest, solange daran kein explizites unkommerzielles Engagement geknüpft ist.

     

    Als Künstler kann man auch mit entsprechender politischer Botschaft touren. Wenn die israelische Regierung anfängt, Künstler auszuweisen, dann steht sie in der Öffentlichkeit schlecht da und nicht der Künstler. Dann hat sich das mit dem Boycott auch erledigt.

    Wer in Israel kein Geld mehr verdienen will - das für sich ist legitim - kann, als reicher Popkünstler (hier geht's ja nicht um Arme), auch für Benefizzwecke in Israel spielen.

    Solange die Meinung frei geäußert werden darf, halt ich es für "schön blöd", diesen politischen Spielraum nicht zu nutzen

     

    Als Label bietet sich immer noch die Möglichkeit, die Platten nur über einige israelische politische Underground-, DIY- oder Indie-Labels zu vertreiben. Wenn man damit kein Geld verdienen will, umso besser. Dann können mehr Gelder der linken Szene vor Ort zu Gute kommen und ihre kulturelle Arbeit wird gefördert.

     

    Der BDS-Boycott ist ganz schön billig. Das pauschale Abwatschen dient doch vielen am Ende dazu, sich gerade nicht inhaltlich äußern zu müssen und eine Auseinandersetzung über die Thematik zu vermeiden.

    "Ich spiel nicht mehr mit den Schmuddelkindern" - so macht man sich die Hände vermeintlich auch nicht schmutzig. Aber auch nur vermeintlich.

     

    Bei Judith Butler bin ich enttäuscht, muss ich sagen. Dieser Heldin meiner Studientage hätte ich mehr Differance und Dialektik zugetraut.

  • Eine Alternative wäre - auftreten und Mißbilligung an der israelischen Politik äußern, bin gespannt, ob es zu einer Folge-Einladung gäbe...

  • Eine Alternative wäre - auftreten und Mißbilligung an der israelischen Politik äußern, bin gespannt, ob es zu einer Folge-Einladung gäbe...

  • «Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‹Ich bin der Faschismus›. Nein, er wird sagen: ‹Ich bin der Antifaschismus›.» (Ignazio Silone, politisch engagierter italienischer Schriftsteller)

  • Spätestens, wenn von Juden verlangt wird, sich zu Israel zu erklären oder gar zu distanzieren, muss die Frage, ob das schon Antisemitismus ist, nicht mehr gestellt werden. Die Antwort ist offensichtlich, wenn aus dem "Jude sein" eine Konsequenz gezogen wird, die andere nicht trifft bzw. für Juden andere Voraussetzungen für Vertragsschlüsse gelten.

     

    Was wäre von einem Vermieter zu halten, der von einem Muslim vor Vertragsabschluss eine Distanzierung vom Terror erwartet?

    • @Dr. McSchreck:

      Dieser Kommentar geht am Thema vorbei. Boykottmaßnahmen sind der wahrscheinlich einzige Weg, wie humanistische demokratische Menschen dafür kämpfen können, Israel von seiner brutalen Besatzungspolitik abzubringen. Zahllose UN-Resolutionen haben nicht bewirkt, dass Besiedlung und Unterdrückung aufhören. Dieser Boykott geht nicht gegen Juden sondern gegen die israelische Politik. Die "Antisemitismus"keule ist hier nicht angebracht, genausowenig wie "Antiamerikanismus bei Kritik an Trump oder "Antiturkismus" oder "Antiislamismus" bei Kritik an Erdogan.

      • @Simufi:

        Vielleicht ist es Ihnen nicht aufgefallen, aber ich schrieb von "Juden", nicht von Israelis, die unter Druck gesetzt werden, steht auch im Artikel.

        Wenn man von einem Juden etwas verlangt, was man von anderen nicht verlangt, damit er auftreten darf, nenne ich das "antisemitisch".

         

        Ich würde es auch anti-muslimisch nennen, wenn man von muslimischen Musikern erwarten würde, dass sie sich vom Terror distanzieren, bevor sie auftreten (es sei denn, sie hätten davor Anlass gegeben, dass man dies verlangt. Dafür reicht aber definitiv nicht der Glaube).