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Israel-Palästina-KonfliktJournalistin in Jenin erschossen

Eine Al-Jazeera-Journalistin wird im Westjordanland getötet. Augenzeugen berichten, dass Israels Militär schoss; die beschuldigen militante Palästinenser.

Palästinenserinnen protestieren mit Plakaten für die getötete Journalistin Shireen Abu Akleh Foto: Raneen Sawafta/reuters

Tel Aviv taz | Eine palästinensische Journalistin des Nachrichtensenders Al Jazeera wurde am Mittwochmorgen in einem Flüchtlingslager in Jenin, im Norden des Westjordanlands, getötet. Sie berichtete dort über eine Razzia des israelischen Militärs.

Die genauen Umstände, in denen die 51-Jährige Shireen Abu Akleh getötet wurde, sind bislang noch ungeklärt. Ein weiterer Journalist, der für die Zeitung Al Quds in Jenin war, wurde in den Rücken geschossen, ist aber in stabilem Zustand.

Die aus Jerusalem stammende Abu Akleh arbeitete seit 1997 für Al Jazeera, ein weltweit operierendes Medienunternehmen mit Sitz in Katar. Durch ihre Fernsehberichte aus den palästinensischen Gebieten war sie für die Zu­schaue­r:in­nen von Al Jazeera ein bekanntes Gesicht.

Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und Israelis schieben sich gegenseitig die Schuld zu

Das palästinensische Gesundheitsministerium sagte, Abu Akleh wurde durch Kugeln des israelischen Militärs getötet. Israel trage „die volle Verantwortung“ für den Tod von Abu Akleh, ließ Palästinenserführer Mahmoud Abbas verlauten. Auch der Nachrichtenkanal Al Jazeera selbst bezeichnete den Vorfall als „Mord, der gegen internationale Gesetze und Normen verstößt“, durchgeführt durch die „israelischen Besatzungstruppen“.

Das israelische Militär hingegen twitterte, dass der Vorfall untersucht und die Möglichkeit geprüft wird, dass die Jour­na­lis­t:in­nen von Kugeln palästinensischer Bewaffneter getötet wurden. Das israelische Außenministerium veröffentlichte am Mittwoch Morgen ein Video, in dem ein palästinensischer Bewaffneter einen Schuss abgibt. „Sie haben einen getroffen, sie haben einen Soldaten getroffen, er liegt auf dem Boden“, hört man einen Palästinenser auf Arabisch sagen. „Doch kein israelischer Soldat wurde in Jenin getroffen“, twitterte das Außenministerium dazu: „Palästinensische Terroristen, die wahllos schießen, haben wahrscheinlich die Journalistin Shireen Abu Akleh getroffen.“

Ein Sprecher des israelischen Militärs bestärkte diese Position gegenüber der israelischen Nachrichten-Sendeanstalt Kan: „Ich glaube nicht, dass wir sie getötet haben. Wir haben den Palästinensern vorgeschlagen, eine rasche gemeinsame Untersuchung einzuleiten. Wenn wir sie tatsächlich getötet haben, werden wir die Verantwortung übernehmen, aber das scheint nicht der Fall zu sein.“

Eine Augenzeugin, die mit Al Jazeera sprach, zeichnete ein anderes Bild des Vorfalls. Shata Hanaysha habe neben Abu Akleh gesessen, als sie erschossen wurde.„Wir trugen alle Schutzwesten und Helme“, wird Shata Hanaysha von Al Jazeera zitiert: „Wir waren vier Journalisten in einem exponierten Gebiet. Es gab keine Konfrontationen oder Schüsse von palästinensischen Kämpfern.“ Die israelische Armee sei vor ihnen stationiert gewesen, sagte Hanaysha, und hinter ihnen sei eine Mauer gewesen. „Die Besatzungsarmee hörte nicht auf zu schießen, selbst nachdem sie [Abu Akleh] zusammengebrochen war“, ergänzte sie.

Gemeinsame Untersuchung soll Abu Aklehs Tod aufklären

Der amerikanische Botschafter in Israel regte eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls an, auch angesichts der Tatsache, dass die getötete Journalistin auch US-Staatsbürgerin war.

Der israelische Außenminister Yair Lapid erklärte, Tel Aviv biete eine „gemeinsame pathologische Untersuchung“ des „traurigen Todes“ von Abu Akleh an. Er fügte hinzu, dass „Journalisten in Konfliktgebieten geschützt werden müssen“. Ob eine solche pathologische Untersuchung stattfinden wird, ist offen.

Der Vorfall erinnert an den Tod des Photo- und Videojournalisten Yasser Murtaja. Er wurde erschossen, als er im April 2018 über Proteste im Gazastreifen berichtet. Auch er war durch seine Presse-Weste als Journalist identifizierbar.

Derzeit befindet sich die Leiche in den Händen der Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und wird laut vorläufigen Informationen palästinensischer Jour­na­lis­t:in­nen am Donnerstag zum Sitz des Palästinenserpräsidenten Abbas in Ramallah gebracht. Die Beerdigung soll ebenfalls für Donnerstag angesetzt sein.

Jenin ist zunehmend im Fokus des israelisch-palästinensischen Konflikts

Die Stadt Jenin im nördlichen Westjordanland steht zunehmend im Fokus des sich immer mehr aufheizenden Konflikts zwischen den Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und Israel.

Einige der Attentäter, die in den vergangenen Wochen Anschläge in Israel verübt haben, kamen aus Jenin oder Umgebung. Unter ihnen auch zwei, die am vergangenen Donnerstag drei Israelis mit Axt und Messer in Elad getötet haben. Seit Beginn der Reihe von Anschläge hat das israelische Militär immer wieder Razzien in Jenin durchgeführt, so auch am vergangenen Mittwoch.

Während Israel die Stadt als Drehscheibe für terroristische Aktivität betrachtet, gilt Jenin in den Augen vieler Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen als Stadt des Widerstandes, allem voran das etwa einen halben Quadratkilometer große Flüchtlingslager.

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3 Kommentare

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  • "Augenzeugen berichten? Bei den Hitzköpfen dort, warten wir doch bitte das Ergebnis der Untersuchung ab und spekulieren nicht.

    • @Max Sterckxc:

      Einer der Augenzeugen ist der ebenfalls angeschossene Kollege der Ermordeten, der Journalist Ali al-Samoudi. Er hat gegenüber CNN geäußert, dass die Schüsse von einem israelischen Soldaten abgegeben wurden. NACHDEM sie sich als Journalisten identifiziert hatten.



      Ist aber vermutlich auch ein "Hitzkopf", gell?

      • @Kaboom:

        Israelische Soldaten waren von Ali al-Samoudi 150 Meter entfernt, palästinensische Schützen waren von dem Augenzeugen ca. 200 m entfernt.



        Also nein, kein Hitzkopf, sondern ein Hetzer und Lügner.