Islam in Deutschland: Schluss mit Lagerdenken
Statt Schwarz-Weiß-Denken soll es an dieser Stelle künftig um die Zwischentöne gehen. Sie fehlen auch in der Debatte um Muezzin-Rufe in Köln.
E s gibt Dinge im Leben, die erfordern Eindeutigkeit. Ist man gegen Rechtsextremismus? Gegen Rassismus und Antisemitismus? Gegen Homofeindlichkeit? Für eine offene Gesellschaft? In diesen Momenten braucht es eine klare Haltung.
Meist reicht das Leben aber darüber hinaus. Wenn es komplexer wird, ein dafür oder dagegen nicht mehr ausreicht, schaffen es politische Diskussionen immer häufiger nicht über das eigene Lagerdenken hinaus. Der Wunsch nach Eindeutigkeit, nach geordneten Verhältnissen bringt die Menschen dazu, sich geistig nicht mehr anzustrengen. Wer die Welt in Freunde und Feinde einteilt, muss sich nicht bemühen, Argumente, die nicht die eigenen sind, anzuhören, abzuwägen und auszuhalten.
Es wäre sicherlich einfacher, wenn die Welt so funktionieren würde: schwarz oder weiß, Freund oder Feind, gut oder böse. Ich vermisse die Möglichkeit laut in Schattierungen denken zu können, ohne sofort vorgeworfen zu bekommen, man würde sich von der einen oder anderen Seite vereinnahmen lassen. Sich zu erlauben abzuwägen, ist nicht mehr möglich, wenn da der Druck ist, sich sofort einem bestimmten Lager zuzuordnen.
Wer Schattierungen will, muss die Lager verlassen und sich in die Grauzone bewegen. Sie ist ein dialektischer Ort. Dort heißt es: einerseits, andererseits. Widersprüche werden dort benannt und nicht im nächsten Moment aufgelöst, sondern ausgehalten. Man lebt mit ihnen.
Zwischen Untergang und Zeichen des Respekts
Wenn es zum Beispiel um den Islam geht, zeigt sich, wie unbeweglich die Menschen geworden sind und wie selten sie sich noch in die Grauzone begeben wollen.
Seit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker angekündigt hat, dass in einem zweijährigen Pilotprojekt Muezzinrufe von allen 45 Moscheen der Stadt zugelassen werden, stehen sich Menschen gegenüber, die in dem Vorhaben nur den nächsten Schritt zum Untergang des Abendlands wittern oder, wie Reker selbst, die Erlaubnis zum Gebetsruf einzig als ein Zeichen des Respekts und der Vielfalt betrachten. Zwischen diesen beiden Positionen findet relativ wenig statt. Und das, was stattfindet, wird nicht gern gehört.
Einerseits: Es gibt Muslim:innen, denen bedeutet der Gebetsruf etwas. Sie verbinden Positives damit: Er erinnert sie daran, mehrmals am Tag zum Gebet innezuhalten. Er mag für sie Symbol ihrer Religiosität sein. Man muss das als nicht religiöser Mensch nicht verstehen oder gutheißen. Doch selbstverständlich sollte es für alle möglich sein, das Grundrecht auf Religionsfreiheit – das auch die Freiheit von Religion bedeuten kann – auszuüben. Wer die Debatte allerdings für Hass und Hetze gegen Muslim:innen nutzt, hat das nicht verstanden.
Andererseits: Rekers Begründung der „Vielfalt“ schloss sich auch Ditib an, der größte Moscheeverband Deutschlands mit Sitz in Köln. Die Entscheidung der Stadt reihe sich in eine Kette „der gegenseitigen Toleranz und Akzeptanz“ ein. Solche Aussagen von einem Verband zu lesen, der immer wieder mit homosexuellenfeindlichen und antisemitischen Aussagen auffällt und von der autokratischen türkischen Regierung gesteuert wird, ist an Heuchelei nicht zu übertreffen. Für diesen politischen Islam, der mit Vielfalt nichts zu tun hat, darf nirgendwo Platz sein. Besonders im Sinne derjenigen aus muslimischen Familien, die unter solchen Vorstellungen leiden.
Nicht vergessen werden sollten deshalb die Menschen, in denen der Allahu-Akbar-Ruf Angst auslöst. In denen er negative Erinnerung an das weckt, wovor sie einmal geflohen sind. Diese Ängste brauchen einen Raum, ohne dass darauf der Vorwurf folgt, man schüre Hass. Vielleicht kann dieser Raum die Grauzone sein. Ein Raum, in dem Gedanken ohne Angst formuliert werden können. Ein Plädoyer für das Dazwischen.
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