Irre Papst-Wahl: Schönstes Wahllokal der Welt
„Extra omnes!“, „alle raus!“ – mit diesen Worten beginnt am Dienstag eine der seltsamsten Wahlveranstaltungen: die Suche nach einem neuen Papst.
ROM taz | Es ist eine seltsame Veranstaltung. Draußen vor der Tür, rund um den Petersplatz, drängeln sich tausende Journalisten. Hunderte Fernsehteams haben für Unsummen Terrassen mit dem besonders guten Blick angemietet. Doch im Blick haben sie bloß – einen kleinen Schornstein.
Keinen Tweet gibt es von drinnen, keinen Facebook-Eintrag, keine Interviews mit Kardinälen oder gar Livebilder von den Konklavesitzungen. Bloß Rauch, schwarz oder weiß; er ist das einzige und über die Jahrhunderte bewährte Kommunikationsinstrument der wohl bizarrsten und ältesten Wahlversammlung der Welt.
Das war nicht immer so: Herrliche Bilder gab es zum Beispiel bei der Papstwahl in Viterbo nördlich von Rom, die im Jahr 1268 begann, aber schier kein Ende fand. Drei Jahre zieht sich die Prozedur, da wird es den Bürgern der Stadt zu bunt. Erst protestieren sie lautstark vor dem Tor, mauern wutentbrannt die Kardinäle im Papst-Palais ein, dann decken sie das Dach ab, lassen die Prälaten förmlich im Regen stehen, und schließlich gibt es bloß noch Wasser und Brot. Am Ende knicken die Würdenträger ein und wählen Papst Gregor X.
Ähnliches Ungemach müssen die 115 Kardinäle, die am Dienstag ins Konklave einziehen, wohl nicht befürchten, doch weiterhin ist die Papstwahl eine streng und bis ins kleinste Detail reglementierte Veranstaltung. Ganz früher einmal, im ersten Jahrtausend, waren es das Volk von Rom und der Klerus der Stadt, die den Pontifex kürten, dann drängten die Kardinäle nach vorn, zunächst in einem nicht groß weiter kodifizierten Prozedere. Immer stärker aber übten verfeindete römische Adelsparteien, dazu der deutsche Kaiser Druck aus – und aus eben diesem Grund beschlossen die Kardinäle zum ersten Mal im Jahr 1118, sich selbst zwecks Wahl des Nachfolgers Petri wegzuschließen: Konklave, „mit dem Schlüssel“.
„Extra omnes!“, „alle raus!“, diese unwirsche Aufforderung wird auch jetzt wieder ertönen, nachdem die Kardinäle unter Absingen des „Veni creator spiritus“ in die Sixtinische Kapelle eingezogen sind, dem wohl schönsten Wahllokal der Welt, um im Angesicht der Fresken Michelangelos und Botticellis den Nachfolger Benedikts XVI. zu bestimmen. Akkurat vor 500 Jahren, am 11. März 1513, wurde hier zum ersten Mal ein Papst gewählt, Leo X., Spross der Medici-Familie, zum Zeitpunkt der Wahl erst 37 Jahre alt, aber dafür schon seit 23 Jahren Kardinal.
Früher: Toilettenmangel und brütende Hitze
So schnell gehen die Karrieren im Klerus heute nicht mehr. Ein Altherrenclub tritt jetzt zusammen, der jüngste 53, bloß vier der 115 überhaupt unter 60 Jahren, der Durchschnitt liegt bei guten 70 Lenzen. Und das auch nur, weil seit Paul VI. die Kardinäle mit 80+ aus dem Konklave ausgeschlossen sind. Um ein Haar hat es diesmal – als ältester des Seniorenclubs – der Deutsche Walter Kasper geschafft, noch drin zu sein. Er feierte zwar schon am 5. März seinen 80. Geburtstag, doch als Stichtag gilt der Beginn der „Sedisvakanz“, des „leeren Stuhls“, sprich: des Todestags – und seit neuestem auch des Inkrafttretens der Kündigung – des bisherigen Papstes.
Fürchten muss Kasper trotz seines fortgeschrittenen Alters nichts. Mittlerweile ist das Konklave ein recht komfortabler und seniorenfreundlicher Event. Die Herrschaften nächtigen im „Gästehaus St. Marta“ gleich auf der anderen Seite von St. Peter in Einzelzimmern, und nicht mal laufen müssen sie zur Sixtinischen Kapelle; Kleinbusse übernehmen den Transport der Eminenzen. Über Jahrhunderte ging es bescheidener zu.
Der Erfahrungsbericht eines Kardinals über die Zellen, in denen sie hausen mussten, würde nicht einmal für ein Sternchen bei Tripadvisor reichen: „Die Kardinäle sind fast alle Personen in einem gewissen Alter, mit Prostataproblemen, und es gibt eine Toilette auf je zehn Personen. Ich schlief gleich neben der Toilette, ich sah die armen Alten, die bei Nacht 60 Meter auf dem Flur zurücklegen mussten, um den Abort zu erreichen, bloß um dann festzustellen, dass besetzt war. Und die Kardinäle mussten sich auch noch das Bett selber machen.“
Schlimm wurde es erst recht, wenn der alte Papst es sich erlaubte, im heißen römischen Sommer zu sterben, denn die Fenster der Zellen wurden hermetisch versiegelt, um jeden Kontakt nach draußen zu verhindern. „Wir krepierten vor Hitze, ich bemerkte, dass einige Eminenzen am Rand des Kollapses standen. “ Und ein anderer Kardinal berichtete: „Mein Zimmer war ein Glutofen, eine Art Sauna. Es ist schwer sich vorzustellen, was es heißt, in einem Ofen zu schlafen.“ Nicht aus dem finsteren Mittelalter, sondern aus dem Jahr 1978 stammen diese Schmähkritiken.
Johannes Paul II. ist es zu verdanken, dass es heute bequemer zugeht: Er ordnete an, dass die Purpurträger fürderhin nicht mehr in Zellen mit Militärpritschen und Waschschüsseln, sondern in einem Gästehaus mit gehobenem Hotelstandard logieren sollten. Der Mangel an Komfort, dazu das Weggesperrtsein: Über Jahrhunderte war das gewollt, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen und dazu externe Einflussnahmen auszuschalten, erst der römischen Adelsfamilien, dann der „katholischen Mächte“, Spanien, Frankreich, Österreich-Ungarn. Heute dagegen geht es nur noch um eines: darum, die dann doch recht weltlichen Details der Prozedur, die Kämpfe, die Intrigen, das Gezerre für immer und ewig geheimzuhalten.
Heute: Die Angst vor dem Lauschangriff
Eben dies müssen die Kardinäle bei Eintritt ins Konklave feierlich schwören, bei Strafe der Exkommunizierung. Und damit wenigstens während des Konklaves nichts nach draußen dringt, sind alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen. Schon vor Tagen wurden die Sixtinische Kapelle genauso wie das Gästehaus St. Marta mit einem elektronischen Käfig gegen jeden Lauschangriff oder auch bloß einen Handyanruf abgeschirmt, zudem soll jeder Kleinbus der Konklaveteilnehmer von je zwei Fahrzeugen mit großen Antennen eskortiert werden, um etwaiges Twittern aus dem Bus kategorisch auszuschließen.
Zwar dementierte der Vatikan, dass die Kardinäle gleich mehrfach am Tag gefilzt werden sollen; doch das komplette Hilfspersonal wird peniblen Kontrollen mit Metalldetektoren unterworfen. So erfährt die Welt nichts von den Kardinälen – und die ihrerseits nichts von der Welt: Fernsehen, Zeitungen, Telefone und Computer sind tabu. Bloß der Schornstein raucht, zweimal am Tag, nach den je zwei Abstimmungen des Vormittags und des Nachmittags. Kommt schwarzer Qualem hervor, heißt es weiter warten.
Der enorme Abschottungsaufwand ist aber wohl gerechtfertigt durch den recht einzigartigen Auftrag des Kardinalskollegiums. In einem völlig demokratischen Prozedere sollen sie einen wählen, der dann als absoluter Monarch über sie genauso wie über die gute Milliarde Katholiken weltweit herrscht. Entsprechend viel steht auf dem Spiel: Die Wahlmänner entscheiden schließlich über den Kurs der Kirche – mal Konservative gegen Reformer, mal die Partei der Kurie gegen den Rest der Welt, heute wohl vor allem: Anhänger des Großreinemachens rund um Vatileaks und Pädophilie gegen die Bremser bei der Aufklärung. Schlimmer noch für sie: Ihre Entscheidung hat, je nach Ausgang der Wahl, direkte Konsequenzen für die eigenen zukünftigen Karrieren in dem auch heute noch weltweit größten Verein.
Entsprechend hoch hängt seit gut 800 Jahren die Latte: Zwei Drittel der Stimmen braucht der Stellvertreter Christi auf Erden. Nur bei Ratzingers Wahl galt, dank einer Reform Wojtylas, dass nach 34 Wahlgängen auch die absolute Mehrheit reichen sollte. Ratzinger profitierte davon – viele Vatikankenner zweifeln, dass er je die zwei Drittel erreicht hätte, wenn seine Gegner auf ewiges Mauern hätten setzen können –, schaffte die Neuregelung aber umgehend wieder ab.
Hoffnung: Es wird nicht allzu lange dauern
Diverse Favoriten scheiterten über die Jahrhunderte immer wieder knapp an dieser Hürde; dennoch ist es bloß ein Gerücht, dass „aus dem Konklave als Kardinal herauskommt, wer es als Papst betreten hat“. So mancher von Vatikankennern oder Wettbüros auf Platz eins Gesetzter setzte sich am Ende durch, nicht bloß Ratzinger, sondern auch Paul VI. oder Pius XII. Einer aber hatte wirklich Pech: Tommaso Kardinal Gizzi. Seine Diener wähnten ihn während des Konklave im Jahr 1831 schon sicher auf dem Stuhl Petri und verbrannten eifrig seine Kardinalsgewänder – doch mit der Wahl wurde es nichts, der arme Gizzi stand am Ende vor einem leeren Kleiderschrank.
Ähnliche Pannen sind diesmal nicht zu erwarten, und sei es bloß, weil italienische Medien mal 23, mal gar 30 „Papabili“ zu nennen wissen. Doch auch wenn das Rennen offen ist, erwartet niemand ein allzu langes Konklave: Mehr als fünf Tage dauerten die Abstimmungen in den letzten 100 Jahren nie. Theoretisch jedoch ist die Dauer völlig unbestimmt, theoretisch auch wäre der Bewerberkreis enorm groß. „Katholisch und unverheiratet“, so simpel lauten offiziell die Stellenanforderungen, die noch nicht einmal verlangen, dass der zukünftige Papst geweihter Priester ist.
Real aber machen die Kardinäle die Sache unter sich aus, und wenn es dann so weit ist, wird weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle steigen, werden die Glocken läuten, wird ein weiß gewandeter Herr auf die Loggia von Sankt Peter treten, „das Habemus Papam“ wird auf allen Kanälen rund um die Welt zu sehen sein. Und einer wird sich die Übertragung ganz gewiss nicht entgehen lassen, in seinem Wohnzimmer in Castel Gandolfo: der „Papst Emeritus“ Joseph Ratzinger.
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