Insektizid-Einsatz per Notfallzulassung: 34.000 Hektar Todeszone für Bienen
Die Aussaat von Zuckerrüben in Niedersachsen beginnt. Dank Notfallzulassung darf die Nordzucker AG dabei längst verbotene Insektizide nutzen.
Empfohlener externer Inhalt
Das wäre soweit keine Nachricht, wenn das Saatgut diesmal nicht mit einem eigentlich bereits EU-weit verbotenen Pflanzenschutzmittel gebeizt wäre. „Dabei sind das anerkannterweise hochgefährliche Insektizide und für Wild- und Honigbienen schädigend“, sagt Raschkowski. Die Imker befürchten nun einen Einbruch der Populationen.
Eine Notfallzulassung erlaubt es dem Unternehmen, das Pflanzenschutzmittel zu verwenden. Dabei ist der Einsatz des sogenannten Neonikotinoids EU-weit seit 2018 verboten. Neonikotinoide sind eine Gruppe hochwirksamer Insektizide. Eines davon, Thiamethoxam, ist als Wirkstoff in der Beize „Cruiser 600 FS“ enthalten, das nun verwendet wird. Es dient den Saatkörnern als Schutz vor der grünen Pfirsichblattlaus. Diese ist Hauptüberträger des Rübenvergilbungsvirus, der hohe Ertragsverluste zur Folge haben kann.
Ein großes Problem sind diese Insektizide für Bienen. Selbst kleine Mengen, die die Tiere nicht direkt töten, schaden ihnen: Neonikotinoide können zu einer Beeinträchtigung der Gehirnprozesse der Bienen führen und auf diese Weise ihre Kommunikation und Orientierungsfähigkeit einschränken. „Sie finden dann nicht mehr zurück zum Bienenstock“, sagt Raschkowski.
Notfallzulassung durch den Bund
Die Notfallzulassung hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erteilt, weil das Vergilbungsvirus sich zuletzt in vielen Anbaugebieten der EU ausgebreitet und auch in Deutschland regional zu „gravierenden“ Pflanzenschäden und Ertragsverlusten geführt habe. Neben Niedersachsen gilt die Erlaubnis auch in Schleswig-Holstein und in fünf weiteren Bundesländern. Bis Ende April darf Nordzucker in Niedersachsen das Pflanzenschutzmittel vorerst benutzen.
Ulrich Raschkowski, Imkerverein Wolfsburg
Begrenzt ist es allerdings auf „Hotspots der Vertragsgebiete von den in der Zulassung angegebenen Zuckerfabriken“. Die Landwirtschaft in Niedersachsen baut auf einer Fläche von knapp 100.000 Hektar Zuckerrüben an. Besonders im westlichen Niedersachsen überwiegt der Zuckerrübenanbau. Ausbringen dürfen das Saatgut nun diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die Nordzucker mit Zuckerrüben beliefern. Insgesamt beträgt die zugelassene Fläche 34.000 Hektar.
„Es ist aus Sicht des Bienen- und Insektenschutzes ein Teufelszeug“, sagt Raschkowski. Vor einigen Jahren starben nach der Beizung von Raps am Oberrhein mehr als 11.000 Bienenvölker. Bei der Zuckerrübe ist die Gefährdung allerdings geringer: Die Pflanzen werden geerntet, bevor sie blühen und Bienen anlocken. Dennoch bleibt die Gefahr durch andere Übertragungswege – wie etwa über das Wasser oder den Boden – weiterhin bestehen.
Nordzucker teilt betroffene Äcker nicht mit
Immerhin hat Nordzucker dem Imkerverein nun mitgeteilt, dass im Landkreis das gebeizte Saatgut genutzt werde. „Aber niemand weiß genau, welche Äcker betroffen sind“, sagt Raschkowski. Ärgerlich sei das, weil auch die Imker vor Ort ein Monitoring zur Beobachtung möglicher Umwelteffekte durchführen wollen.
Auf Nachfrage der taz kam von der Nordzucker AG ebenfalls keine detaillierte Antwort. „Wir stehen in direktem Austausch mit den Imkerverbänden und halten diese für eingehend informiert“, sagt ein Sprecher des Konzerns, der im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Euro gemacht hatte.
Auch der Landesverband der Imker hofft noch auf weitere Informationen. „Die Angst vor diesen Mitteln ist groß bei unseren Mitgliedern“, sagt Jürgen Frühling, Landesvorsitzender der Imker:innen. „Wir können nur hoffen, dass es bei einer einmaligen Zulassung bleibt.“
Diese Hoffnung besteht bei Frühling auch, weil es in den vergangenen Jahren in Niedersachsen auch schon Notfallzulassungen für Insektizide, damals im Kartoffelanbau, gab. „Doch die Einwände der Lebensmittelvermarkter, die die behandelten Kartoffeln nicht abnehmen wollten, haben dazu geführt, dass die Behandlung nicht stattgefunden hat“, sagt Frühling.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?