Ingenieur über die Vision „Weltraum-Lift“: „Es fehlt ein 100.000-Kilometer-Seil“
Große Dinge bekommt man mit einer Rakete nicht ins All. Ein Weltraumlift könnte Abhilfe schaffen, sagt der Raumfahrt-Visionär Rainer Kresken.
taz.am wochenende: Herr Kresken, 2014 hat die Piratenpartei im Europawahlkampf einen Weltraumlift gefordert. Wenn man das hört, hält man es erst mal für einen Witz.
Rainer Kresken: Das ist aber keinesfalls einer. Im Gegenteil: Im Weltraumaufzug liegt die Zukunft der Raumfahrt. Mit Raketen kann man viel machen, aber sie sind sehr teuer, verbrauchen viel Energie und sind in ihren Möglichkeiten limitiert. Die wirklich großen Dinge können nur mit dem Fahrstuhl heraufgebracht werden.
Ist so ein Weltraumlift denn realistisch?
Aktuell fehlen nur noch ein paar wichtige Bauteile, vor allem das richtige Seil. Davon abgesehen könnte es losgehen.
Ist das eine neue Idee?
Nein, die gibt es seit über hundert Jahren. Als erster schrieb der Russe Konstantin Ziolkowski 1895 darüber. In dessen Kopf sind übrigens auch zum ersten Mal die Begriffe „Raumfahrt“ und „Rakete“ zusammengekommen. Ziolkowski war damals vom Eiffelturm inspiriert. Juri Arzutanow, der den Gedanken 1960 weiterdachte, brachte ein Seil ins Spiel. Arthur C. Clarke hat das in seinem Roman „Fahrstuhl zu den Sternen“ aus dem Jahr 1979 konkretisiert. Dieses Buch war es auch, das mein Interesse am Thema geweckt hat.
Wir reden also nicht über einen Metallturm oder einen Fahrstuhlschacht?
Nein, das wäre viel zu aufwendig. Der Lift ist eher wie ein Kletterseil früher aus der Schulturnhalle. Oder anders gesagt: Der Aufzug ist im Prinzip ein geostationärer Satellit, der bis zur Erdoberfläche runterreicht. Sie kennen ja alle geostationäre Satelliten …
Der 54-Jährige ist Ingenieur für den Betrieb von Forschungssatelliten und arbeitet am Europäischen Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt. Ehrenamtlich ist er Leiter der Starkenburg-Sternwarte in Heppenheim. Auf der re:publica-Konferenz hat er zum Thema Weltraumaufzug gesprochen (Video).
… ähm. Helfen Sie uns bitte kurz nochmal.
Wir benutzen die täglich, etwa wenn wir fernsehen. Diese Satelliten befinden sich in einer Höhe von 36.000 Kilometern, weil dort ihre Umlaufgeschwindigkeit genau mit der Drehgeschwindigkeit der Erde synchronisiert ist. Heißt: Sie befinden sich an einem festen Punkt am Himmel. Deswegen muss man Satellitenschüsseln auch nur einmal ausrichten.
Der Einstiegspunkt des Lifts auf der Erdoberfläche bleibt also immer gleich …
… und einmal in 23 Stunden und 56 Minuten dreht das ganze Ding um die Erde rum. Es fährt wie in einer Art Kettenkarussell mit.
Und „aussteigen“ würde man auf 36.000 Kilometer Höhe?
Genau. Wobei dort nur der Schwerpunkt des Aufzugs wäre. Das Seil an sich müsste deutlich darüber hinausragen, weil weiter oben weniger Schwerkraft herrscht und die Schwerebeschleunigung immer schwächer wird. Deswegen würde man am oberen Ende idealerweise ein Gegengewicht anbringen. Man bräuchte aber immer noch ein Seil, das etwa 100.000 Kilometer lang ist – also etwa ein Drittel der Strecke zum Mond.
Im südbadischen Oberrimsingen feiern sie ein großes Fest. Was ist es, das ein Dorf zusammenhält? Das steht in der taz.am wochenende vom 5./6. August. Außerdem: Das Bienensterben könnte uns alle ins Verderben führen. Manche wollen deshalb Bienen im Baum halten. Letzte Rettung oder Schnapsidee? Und: Der Schweizer Martin Suter ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller im deutschsprachigen Raum. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Schauen wir ans andere Ende: Wie müsste die Bodenstation aussehen?
Am besten würde man eine Struktur im Ozean bauen, die heutigen Ölplattformen ähnelt, mit großen Schwimmkörpern. Die könnte man bewegen, und das ist eine wichtige Voraussetzung für den Weltraumaufzug: Es braucht ein wenig Manövrierfähigkeit, um die Schlingerbewegungen des Seils auszutarieren sowie Weltraummüll oder Satelliten auszuweichen.
Warum wäre ein Aufzug der Raketentechnik so deutlich überlegen?
Es gibt kaum Beschränkungen für Größe und Gewicht der Nutzlast. Bei Raketen ist hingegen aktuell in der Größenordnung von 10 Tonnen Schluss. Auch fallen die Belastungen eines Raketenstarts weg: Lärm, Beschleunigung, Schwingungen, die sind gerade für sensible Geräte schwierig. Wenn heutzutage ein Satellit gebaut wird, wird viel Aufwand betrieben, damit das Gerät nur die ersten paar Minuten der Mission überlebt. Beim Weltraumlift bleibt eine leichte Beschleunigung, wie in einem normalen Aufzug.
Wie sieht es mit den Treibstoffkosten aus?
Die Energie, die zum Hochfahren benötigt wird, ist im Vergleich zu Raketen verschwindend klein. Angedacht ist aktuell, die Kabinen mit Hilfe von Lasern zu betreiben, die von der Bodenstation auf Solarpaneele gerichtet werden. Ist die Kabine erst mal über der Stratosphäre, kann man sie mit Solarenergie betreiben, das wäre also ein sehr energieeffizienter Antrieb.
Empfohlener externer Inhalt
Rainer Kresken auf der re:publica 2017
Das klingt ja toll. Worauf warten wir also noch?
Wie gesagt, das Problem ist gerade vor allem das Seil.
Es gibt auf der Erde kein Seil, das lang genug ist?
Das Seil muss einerseits reißfest sein, schließlich trägt es schwere Lasten. Andererseits ziehen durch seine Länge enorme Gravitationskräfte an ihm. Deswegen würden fast alle Materialien unter ihrem eigenen Gewicht zerreißen. Diese sogenannte Reißlänge liegt bei Stahl zum Beispiel bei etwa 100 Kilometern.
Und nun?
Das richtige Material war bis vor zwanzig Jahren reine Science-Fiction. Dann entdeckten Chemiker die Kohlenstoffnanoröhren. So wie alle wichtigen und tollen Sachen wurden die zum ersten Mal im Dreck gefunden; genauer gesagt, im Ruß: Sie sind reiner Kohlenstoff in Rohrstruktur, quasi eindimensionale Diamanten, und haben den Vorteil, dass sie extrem leicht und gleichzeitig extrem reißfest sind. Ein Faden von 0,5 Millimeter Durchmesser könnte 2 Tonnen tragen. Ein Kilometer dieses Fadens wiegt nur 400 Gramm – ein fantastisches Material.
Dann kann es ja losgehen!
Wenn man das Ausgangsmaterial hat, hat man noch kein Seil. Zwar können Kohlenstoffnanoröhren heutzutage schon im Labor erzeugt werden, allerdings hat man bisher nur Längen geschafft, die im Millimeterbereich liegen. Es braucht auch keine Moleküle, die die ganze Länge überspannen. Es würde reichen, wenn man sie in der Länge 10 bis 20 Meter herstellen kann. Daraus kann man ein Seil beliebiger Länge flechten.
Wie lange wird es wohl noch dauern, bis es ausreichend lange Moleküle gibt? Werden wir das noch erleben?
Ich glaube, dafür brauchen wir noch ein bisschen. Es wird in etlichen Labors daran gearbeitet, weil Kohlenstoffnanoröhren für viele andere Anwendungen sehr verlockend sind. Es muss jetzt einfach irgendjemand eine richtig gute Idee haben. Das kann schon morgen sein.
Und wie lange würde es dann noch dauern, den Aufzug zu bauen?
Vielleicht zehn bis fünfzehn Jahre, das ist heutzutage die typische Entwicklungsdauer einer neuen und komplizierten Weltraumtechnologie. Als erstes müsste man quasi eine riesige Spindel ins All schießen. Die Amerikaner bauen gerade eine sehr große Rakete, mit der das möglich sein sollte. Vermutlich ginge es sogar mit der Ariane 5. Und dort müsste man diese Rolle dann nach beiden Seiten abspulen, so gleichmäßig, dass der Schwerpunkt immer in der geostationären Umlaufbahn bleibt. Das ist aufwendig, aber ganz sicherlich machbar.
Würde man denn nur einen bauen oder gleich mehrere?
Wenn man erst mal einen hat, ist der zweite wirklich a walk in the park. Damit würde man sofort beginnen.
Wie lange würde der Fahrstuhl brauchen, um hochzufahren?
Das würde sicherlich ein paar Tage dauern, vielleicht auch zwei Wochen.
Ist das nicht wahnsinnig fehleranfällig? Der Aufzug bei uns bei der taz bleibt zum Beispiel immer wieder mal stecken, besonders gern im 4. Stock. Was aber macht man, wenn ein Weltraumaufzug stecken bleibt?
Da kommt seine Flexibilität zum Tragen. Man kann das Seil auch wieder einrollen, um die Last zu bergen. Theoretisch könnte man die Kapsel auch einfach abwerfen, wobei sie dann aber so gut hitzeisoliert sein sollte wie eine Raumkapsel heute, für den Fall, dass Menschen mitreisen.
So ein Wunderding ist doch sicherlich sehr teuer.
Wenn man bei solchen Projekten eine Kostenschätzung macht, steht man typischerweise zwei Jahre später als Vollidiot da. Aber ich bin ziemlich sicher, dass die Raumfahrt bei einer Umsetzung deutlich billiger wird. Also: Größenordnungen billiger, nicht nur die Hälfte.
Das ist ja schön. Aber wofür machen wir das eigentlich?
Für die Wissenschaft. Wir können Weltraumteleskope und -instrumente ins All bringen, von denen wir heute nicht mal zu träumen wagen. Aber man könnte so auch viel leichter Bergbau betreiben. Auf den Kleinplaneten zwischen Mars und Jupiter gibt es große Vorkommen der Seltenen Erden, das wäre sicherlich finanziell interessant. Und man kann natürlich auch Menschen hochbringen. Der Aufzug könnte der Schlüssel sein, um mal den Mars zu besiedeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs