Inflation und Streiks: Sind hohe Lohnforderungen richtig?
Ob im Öffentlichen Dienst, auf Flughäfen, bei der Post oder Bahn: Gewerkschaften fordern derzeit stark steigende Löhne. Heizt das die Inflation an?
Was ist eine Lohn-Preis-Spirale?
Hinter diesem Begriff verbirgt sich die ökonomische Analyse, dass zu hohe Lohnsteigerung die Inflation anheizen könnten. Zwar reagieren die Organisationen der Beschäftigten damit auf Preiserhöhungen und verlangen einen Ausgleich dafür, dass die Lebenshaltungskosten ihrer Mitglieder steigen. Doch überhöhte Forderungen können bewirken, dass die Preise zusätzlich wachsen. Dadurch wäre nichts gewonnen – außer einer Begründung für noch höhere Lohnforderungen. Denn: Wird die Inflation angeheizt und die Preise und realen Lebenshaltungskosten steigen weiter, wird auch die Frage nach höheren Löhnen wieder laut.
Woher kommt die Inflation momentan?
Wesentliche Ursache für die derzeitige Inflation sind die starken Preissteigerungen für Energie nach dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine. Viele Unternehmen und Privathaushalte bezahlen jetzt doppelt so viel für Erdgas wie zuvor. Hinzu kamen in manchen Branchen eine hohe Nachfrage und Lieferkettenprobleme, die Unternehmen nicht schnell genug befriedigen konnten. Aber: Die Preissteigerungen hatten bislang nichts mit den Löhnen der Beschäftigten zu tun.
Wann sind Lohnforderung zu hoch?
Eine einfache Antwort auf die Frage, welche Lohnforderungen von Gewerkschaften nun angemessen sind oder nicht, gibt es wohl nicht. Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sagte dazu: „Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale besteht beispielsweise dann, wenn die Lohnabschlüsse wesentlich über der Inflationsrate liegen, weil Arbeitgeber und Gewerkschaften eine weiter steigende Inflation annehmen.“ Demnach könnten sich die Forderungen von Verdi oder der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG also an der derzeitigen Inflationsrate orientieren, damit diese nicht überborden.
Sind die Löhne derzeit denn viel zu niedrig?
Um beurteilen zu können, wie sehr die Höhe der Löhne und die Höhe der derzeitigen realen Lebensunterhaltungskosten auseinander gehen, muss man die Gehaltssteigerungen der Beschäftigten 2022 und die aktuellen Lohnforderungen mit der Inflationsrate vergleichen. Während die Bruttomonatsverdienste von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent wuchsen, erhöhten sich die Verbraucherpreise um 7,9 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt mit. Unter dem Strich sanken die Reallöhne um durchschnittlich 4,1 Prozent. Aus Sicht der Gewerkschaften erscheint es deshalb gerechtfertigt, diesen Verlust ebenso auszugleichen wie die Inflation im laufenden Jahr, die laut ExpertInnen bei sechs bis acht Prozent liegen könnte.
Was spielt sonst eigentlich eine ausschlaggebende Rolle bei Lohnverhandlungen?
„Nachvollziehbare Lohnforderungen basieren oft auf drei Größen: der Inflationsrate, dem Zuwachs der Produktivität und einer Umverteilungskomponente“, erklärte DIW-Ökonom Kriwoluzky. Dabei beschreibt die Steigerung der Produktivität den technischen Fortschritt in einem Unternehmen, wodurch sich deren Einnahmen erhöhen. Und die Umverteilungskomponente betrifft einen vertretbaren Anteil am Gewinn. „Vor diesem Hintergrund erscheinen Forderungen von zehn Prozent oder mehr derzeit durchaus plausibel.“ Dadurch würde der Faktor Arbeit für die Firmen auch nicht über Gebühr teurer, sodass diese deshalb nicht gezwungen wären, ihre Preise weiter hochzuschrauben.
Und was spricht für eine Lohn-Preis-Spirale?
EZB-Chefvolkswirt Philip Lane erklärt das Phänomen so: „Die Lohninflation wird in den nächsten Jahren ein Haupttreiber der Preisinflation sein, selbst wenn Energie- und Pandemiefaktoren aus der Inflationsmessung verschwinden.“ Hintergrund der Sorge ist, dass die Lohnsteigerungen länger anhalten könnten als die Inflation. Während ausgehandelte höhere Löhne dann über Jahre hinweg gelten, könnte die Inflation in der Zwischenzeit längst zurückgegangen sein. Die Löhne würden sich im Vergleich also zu stark erhöhen – und in der Folge auch die Preise.
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