Infektionsschutzgesetz im Bundestag: Gerichtsfeste Coronamaßnahmen
Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident wollen das Infektionsschutzgesetz verändern. Eingriffe in die Grundrechte sollen abgesichert werden.
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Das Gesetz, das offiziell Drittes Bevölkerungsschutzgesetz genannt wird, enthält viele Detailregelungen, etwa auch zur Krankenhausfinanzierung. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen aber die neuen Regeln für Grundrechtseingriffe bei der Coronabekämpfung. Hiergegen wollen am Mittwoch auch verschiedenste Gruppen von CoronaskeptikerInnen in Berlin demonstrieren.
Bisher beruhen die Coronaverordnungen der Länder meist auf einer Generalklausel des Infektionsschutzgesetzes, die die Anordnung der „notwendigen Schutzmaßnahmen“ erlaubt. Zuletzt äußerten jedoch immer mehr Gerichte Zweifel, ob diese vage Klausel genügt. Darauf will nun der Bundestag reagieren, indem er 17 typische Maßnahmen aufzählt, die die Länder anordnen können: von der Maskenpflicht bis zur Schließung von Restaurants. Die Liste in diesem neuen Paragrafen 28a ist aber nicht abschließend.
Gegenüber dem ersten Entwurf, der vor zehn Tagen im Bundestag debattiert wurde, gibt es einige Neuheiten, zum Beispiel eine Garantie, dass Gästelisten von Restaurants nur für die Seuchenbekämpfung benutzt werden dürfen und für die Polizei tabu sind. Die Veränderungen haben Koalitionsexperten am Wochenende ausgehandelt. Sie reagieren damit auf die Kritik von Sachverständigen bei einer Anhörung am vorigen Donnerstag.
Atemberaubende Eile
So gelten für Einschränkungen von Demonstrationen und Gottesdiensten nun besonders strenge Hürden. Sie sind nur zulässig, wenn die Eindämmung der Covid-19-Pandemie sonst „erheblich gefährdet“ wäre. Das vom Hamburger OB Peter Tschentscher (SPD) geforderte Verbot von Großdemos während der Coronazeit dürfte damit sogar erschwert sein.
Die gleichen hohen Hürden sollen für Ausgangsbeschränkungen sowie für Besuche in Pflegeheimen und Krankenhäusern gelten. Die SPD wollte auch die Schließung von Schulen und Kitas als letzte Möglichkeit kennzeichnen, das machte aber die Union nicht mit.
Die Länder werden im Infektionsschutzgesetz nun verpflichtet, „umfassende Schutzmaßnahmen“ zu ergreifen, sobald der Inzidenzwert (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen) den Wert 50 überschreitet. Bei einem bundesweiten Inzidenzwert über 50 sollen „bundesweit abgestimmte“ Maßnahmen „angestrebt“ werden. Der Inzidenzwert ist damit erstmals gesetzlich verankert. Die Länder entscheiden aber nach wie vor in eigener Verantwortung, welche Beschränkungen sie anordnen. Die Koordination mit den anderen MinisterpräsidentInnen und der Kanzlerin bleibt unverbindlich.
Neu sind auch formale Anforderungen an die Corona-Rechtsverordnungen der Landesregierungen. Diese sind zum einen künftig zu begründen (was bisher wegen der Eilbedürftigkeit unüblich war) und zu befristen. Ihre Geltungsdauer soll auf vier Wochen beschränkt sein, wobei Verlängerungen möglich sind. Die SPD wollte die Landesregierungen auch verpflichten, die Landesparlamente einzubeziehen. Doch eine Pflicht zur Zustimmung der Landtage, sofort oder im Nachhinein, war mit der Union, die sich um die Handlungsfähigkeit der Landesregierungen sorgte, nicht zu machen.
Die atemberaubende Eile ist beim Dritten Bevölkerungsschutzgesetz nötig, um schnell Corona-Impfzentren einzurichten. Diese sollen schon Mitte Dezember arbeitsfähig sein – in der Hoffnung, dass bis dahin der Impfstoff zur Verfügung steht.
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