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Impfstrategie für weniger PrivilegierteDer Sound des Rechtshilfebescheids

Impfmobile in Armenquartieren: Viel zu spät haben wir begriffen, dass Gesundheitsaufklärung keine Privatsache ist.

Anstehen für den Piks: Impfaktion in Köln-Chorweiler Foto: dpa

D as Interview mit dem Impfkoordinator aus Baden-Württemberg stand etwas versteckt unten auf Seite 6 der taz. Der Mann wies auf ein Detail aus dem Corona-Impfbetrieb in Mannheim hin: „Unter den ersten 6.000 Geimpften in der Gruppe der über 80-Jährigen hatte nur ein Prozent einen ausländisch klingenden Namen, obwohl der Anteil der Migranten in dieser Gruppe bei etwa 25 Prozent liegt.“

Nicht nur in Mannheim scheint es so gelaufen zu sein. Bei der Vergabe der allerersten Impftermine für die am stärksten gefährdete Gruppe der ganz alten Leute wurde ein riesiger Anteil der Migrantinnen und Migranten offenbar gar nicht erreicht. Und wenn sie erreicht wurden, sind sie nicht gekommen.

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Auch Ärztinnen und Ärzte, die zum Impfdienst in den Zentren waren, erzählen: Den ganzen Tag hätten sie die Nadel nur in blütenweiße Oberarme von Müllers, Meiers, Schulzes gesteckt. Darunter werden auch ein paar Angeheiratete mit nichtdeutscher Herkunft gewesen sein. Aber das krasse Missverhältnis erklärt das nicht.

Impfbus im Brennpunkt

Der Impfkoordinator aus Baden-Württemberg ist vielleicht nicht der Einzige, der sich gerade über die Daten aus den Impfzentren beugt. Es könnte sich herausstellen, dass gesundheitliche Aufklärung mehr zu sein hat als clevere Tipps für Leute, die eh immer gut beraten sind. Selbst Gesundheitsminister Jens Spahn hat zugegeben, dass Menschen mit Migrationsgeschichte zu wenig geimpft werden. Seither sind in mehreren Großstädten Impfmobile in die Armen- und Migrantenquartiere gerollt.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Besonders prominent wurde die Impfaktion in Köln-Chorweiler. Die lange Schlange vor dem Impfbus, gerahmt von der Silhouette des trabantenstädtischen 70er-Jahre-Wohnungsbaus, geriet zum Bildnachweis des guten Willens aller Seiten: Seht, auch die sozial Benachteiligten, auch die unflüssiges Deutsch Sprechenden kommen, wenn man vor den Brennpunkt fährt!

Doch schon in der nächsten Reportage aus Köln – von der Impfaktion in der Ehrenfelder Zentralmoschee – verschob sich der Akzent: Ein 43-jähriger Jonas aus dem Akademikerstadtteil Sülz berichtete, wie gern er zur Impfung hergefahren sei. Der Hausherr der Moschee ergänzte: Er sehe nur wenige Mitglieder seiner Gemeinde in der Warteschlange. Seien wohl alle schon geimpft.

Oder auf der Intensivstation.

Ton, der hilft und nicht befiehlt

Vier Monate nach Impfbeginn fällt auf, dass die Impfstoffe sich nicht von selbst gleichmäßig und rein nach Priogruppe übers Land verteilen. Und dass sich mit ein paar Impfmobilen vor Hochhäusern und Moscheen der Impfrückstand insbesondere unter Eingewanderten nicht mal eben ausgleichen lässt.

Teils trotzig erklären die Integrationspolitikerinnen, man übersetze die Corona-Informationen doch schon in über 20 Sprachen. Das ist natürlich schön. Nur ist die Post vom Gesundheitsamt auch auf Deutsch schon nur mit Opfermut und Hochschulabschluss zu verstehen. Es regiert wie eh und je der Sound des Rechtshilfebescheids. Das wird auf Swahili oder Paschtu nicht anders sein, sondern vermutlich noch bedrohlicher.

Es könnte noch so eine Lehre aus der Pandemie sein: Gesundheitswissen ist eben doch keine Privatsache. Pandemieaufklärung gehört in die Schulen, in die Betriebe, ins Quartiersmanagement, überall hin. Klar: Die „Querdenker“ werden das schwer vertragen und noch querer denken. Auch klar: Es braucht einen Ton, der hilft, und nicht befiehlt – haben wir hierzulande wenig Übung drin. Aber das Ergebnis dieser Impfsaison darf nicht sein, dass die Mehrzahl derer, die keinen deutschen Nachnamen tragen, ungeschützt bleibt.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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8 Kommentare

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  • Mit der Aufgabe der Impfpriorisierung (in Berlin Wegfall des Verfahrens mit Zusendung von Impfeinladungen) und dem daraus resultierenden Andrang an allen Impfstellen sind natürlich auch alle sozial benachteiligten und auch die weniger interessierten Gruppen weit nach hinten gefallen.

    Es wäre besser gewesen, eine sinnvolle Reihenfolge vorzugeben und beizubehalten, statt einerseits den engigierten Patienten einen Vorsprung zu geben, und das dann mit Sonderaktionen wieder ausgleichen zu wollen.

  • Fehlt es Menschen bildungsferner Schichten wirklich am Verständnis für das Risiko der Pandemie? Unabhängig von der Herkunft und Sprache kann doch kaum jemand nach einem Jahr Pandemie nichts mitbekommen haben, oder doch? Von den Querdenker Leugnern vielleicht mal abgesehen.



    Die Zahl der Toten und wer ein besonders hohes Risiko hat, ist nur verstehbar, wenn es institutionell vermittelt wird?

    Der Artikel wirft für mich die Frage auf, wo welche Verantwortlichkeit liegt.

    • @Terraformer:

      Der Kommentar wirft für mich die Frage auf, wer hier von der klassistischen Totschlagsvokabel "Bildungsferne" betroffen ist. Ich hab da klare Favoriten.

      • @Bouncereset:

        Wie kommen Sie darauf, dass ich mit "bildungsfern" irgendwas totschlagen wollte? In einer (nicht rhetorischen) Frage scheint mir das auch ziemlich sinnfrei zu sein. Oder verstehen Sie meine Frage als getarnte Aussage?

        Falls ich aufgrund meiner Unkenntnis einen politisch nicht korrekten Begriff verwendet habe, der von Querdenken, AfDlern, Radikalen o.ä. instrumentalisiert wurde, distanziere ich mich davon. Gerne verlinken Sie mir einen Artikel, mit dessen Hilfe ich mich über die Hintergründe von "bildungsfern" informieren kann. Den Text bei Wikipedia kenne ich.

        Die Autorin schrieb, dass der Brief vom Gesundheitsamt nur mit Hochschulabschluss zu verstehen sei. Daher wählte ich den Begriff "bildungsfern". Ich meinte schlichtweg die Gruppe von Menschen, die (laut Autorin) ohne Hochschulabschluss nicht in der Lage sei, so einen Brief zu verstehen.

        Habe ich mich jetzt für Sie verstehbar ausgedrückt, so dass Sie auf meine eigentlichen Fragen eingehen können?

  • Wer ist wir? Die bürgerliche taz-Redaktion, die nicht in Armenquartieren wohnt? Wer hat denn behauptet, dass Gesundheitsaufklärung Privatsache ist?

  • "hatte nur ein Prozent einen ausländisch klingenden Namen, obwohl der Anteil der Migranten in dieser Gruppe bei etwa 25 Prozent liegt.“

    Wenn man die Leute nicht mal mehr in einer globalen Pandemie erreicht, wie dann für andere gesellschaftliche Belange? Stichwort Parallelgesellschaft?

    • 0G
      09399 (Profil gelöscht)
      @Wonneproppen:

      Im Artikel steht genau drin, wo das Problem liegt. Hint: Nicht bei den Menschen mit Migrationshintergrund.

      Parallelgesellschaft ist ein Kampfbegriff der Konservativen, die ihren Rassismus nicht hinterfragen, sondern ausleben wollen. Die nicht auf andere Leute zugehen, sondern sich nur um sich selbst kümmern. Die Probleme auf andere schieben, die sie selbst verursacht haben.

      Merkste selber.

      • @09399 (Profil gelöscht):

        Sind Sie vom Fach und können mit Details zur Etymologie aufwarten? Für mich liest sich Wikipedia dazu eher so, als wäre der Begriff nicht zu diesem Zwecke entwickelt worden.



        Ungeachtet dessen: Haben Sie sich mal gefragt, was WONNEPROPPEN damit meinte, anstatt reflexhaft die Rassismuskeule zu ziehen?



        Ist die Kommentarspalte der taz ein Sammelbacken für rechte Propaganda, sodass man jedem unterstellen muss, ein Rassist zu sein?



        Ihren Beitrag finde ich zudem für WONNEPROPPEN nicht hilfreich. Ich unterstelle jedenfalls ein tatsächliches Unverständnis über den Artikel und keine verkappte rechte Propaganda.