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Immunitätsausweise in CoronapandemieZweiklassengesellschaft? Unsinn!

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Wer Grundrechts- und Freiheitseinschränkungen beklagt, der kann sich nicht ernsthaft Immunitätsausweisen oder Schnelltests verweigern.

Zuverlässige Schnelltests sind eine Chance auf mehr Freiheit für einen Teil der Bevölkerung Foto: Bodo Schackow/dpa

D er Ethikrat ist keine reine Sachverständigengruppe, von der man definitive Auskünfte zu wissenschaftlichen oder politischen Fragen erwarten dürfte. Er ist ein Repräsentanzgremium, das die Pluralität gesellschaftlicher Meinungen widerspiegelt und diese wiederum Regierung wie Parlament nahebringt.

Dies muss man sich vor Augen führen, bevor man der Versuchung erliegt, darüber zu schimpfen, dass der Ethikrat mit seiner aktuellen Stellungnahme zu den umstrittenen Corona-Immunitätsausweisen leider so gar keine Orientierung bietet. Es ist ihm aufgrund seiner Rolle nicht zum Vorwurf zu machen, wenn er statt eindeutiger Positionen unterschiedliche Ansichten vertritt und der Politik die Entscheidung nicht abnimmt, ob die Tests grundsätzlich abzulehnen oder zu befürworten sind. Genau diese Grundsatzfrage aber wird die Politik zu beantworten haben, sobald die praktisch-technischen Hürden (wie etwa die Unzuverlässigkeit der aktuell verfügbaren Tests), die die Ausweise derzeit zu Recht wie eine Schnapsidee erscheinen lassen, aus dem Weg geräumt sind. Soll es dann in Deutschland Bescheinigungen geben, die attestieren, dass die einen wieder zur Party, ins Pflegeheim oder zur Demo dürfen – und die anderen nicht oder höchstens mit Abstand und Mundschutz?

Ja, ruft die eine Hälfte des Ethikrats, und es ist der Politik zu wünschen, dass sie dem Ruf dieser Hälfte folgt, sobald die Tests zuverlässig sind. Denn wer sich einerseits über die zahlreichen Grundrechts- und Freiheitseinschränkungen beklagt, die uns Corona seit mehr als einem halben Jahr abverlangt, der kann sich andererseits nicht ernsthaft Immunitätsausweisen oder Schnelltests verweigern. Diese Instrumente würden es erlauben, die viel kritisierten Einschränkungen zu lockern – und sei es nur für einen Teil der Bevölkerung.

Das Gerede von der vermeintlichen Entsolidarisierung oder gar der Zweiklassengesellschaft ist in diesem Zusammenhang kein gutes Argument. Im Gegenteil, es wird die Gesellschaft weiter spalten, wenn den Bürgern eine verfügbare Möglichkeit vorenthalten wird, die Freiheitseinschränkungen zu umgehen, indem sie ihre Ungefährlichkeit für andere nachweisen. Niemandem ist allein dadurch geholfen, wenn alle gemeinsam eingesperrt sind. Geteiltes Leid ist in diesem Fall kein halbes Leid.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
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20 Kommentare

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  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Ich bin für eine Immunitätsausweispflicht. Die Besitzer dieser Ausweise müssen dann in sytemrelevanten Berufen zur Arbit verpflichtet werden. Da Immunität nicht bedeutet kein Virusträger zu sein, besteht natürlich kein Anrecht auf Reisefreiheit. Wir hätten dann sozusagen eine Arbeitsreserve, die bei Bus, Bahn und in Hotspots eingesetzt werden könnte.

  • Wenn jemamnd wirklich nachweißlich immun wäre, dürften ihm wohl keine Beschränkungen auferlegt werden. Eigentlich bin ich daher Befürworter eines solchen Ausweises.

    Das Problem ist nur, dass es nicht nur schwiergig ist eine Immunität 100% sicher nachzuweisen, es ist auch unbekannt, wie lange diese anhält und es wurden bereits über 12.000 Mutationen des Virus festgestellt. [1]

    Eine Neuinfektion ist also nicht völlig ausgeschlossen. Zwar wird vermutet, dass diese dann wohl i.d.R. mild verläuft, der Träger könnte aber dennoch ein Ansteckungsrisiko für andere sein.

    [1] Das Coronavirus mutiert – wie gefährlich ist das?



    www.spektrum.de/ne...ewtab-global-de-DE

  • Hmm. Lasst doch einfach die Risikogruppen eingesperrt. Warum muss ich daheim bleiben, wenn ich nicht dazu gehöre? Dann braucht es auch keinen Ausweis. Und - im Hinblick auf Selbstverantwortung - soll jeder in der Risikogruppe selbst entscheiden, ob er sich einem Risiko aussetzt oder nicht und darf auch raus. Das wäre doch das Einfachste. Wir lassen alles beim Alten (wie vor Corona). Das Ergebnis sehen wir in den USA.

    Zu dem Ausweis: Bei einer solch massiven Unterscheidung gibt es natürlich eine Zweiklassengesellschaft. Das nicht zu sehen, halte ich für fatal. Wir versuchen mit viel Geld (losgelöst von Corona) Menschen mit Behinderung zu integrieren (Aufzüge, Rampen, Blindenlinien, etc.), die ausgegrenzt sind. Und hier wird vorgeschlagen, einzelnen eine Rückkehr zu ermöglichen, die den anderen vorleben, wie das freie Leben ist? Hier gilt tatsächlich, geteiltes Leid ist halbes Leid. Durch diese Zwei-Klassen-Gesellschaft wird das Leid der anderen verdreifacht. Und (wie genug andere Foristen anmerkten) öffnet es, Fälschung, mutwillige Ansteckung, etc. Tür und Tor. Und zum Schluss: Viel Spaß beim kontrollieren!

  • Ob dannn gesetzlich zulässig oder nicht. Falls diese Ausweise kommen, wirds Arbeitgeber und Eigentümer öffentlicher Einrichtungen geben, die aussortieren. Das hier und da mal Einzelne dagegen klagen, wird nichts daran ändern.

    Warum sollte das auch anders sein, als bei all den Diskriminierungen, die gesetzlich ebenso unzulässig sind und durch die viele Menschen in der Gesellschaft trotzdem ausgegrenzt und stigmatisiert sind.

    Weshalb man deshalb nicht einzelne Einschränkungen und deren Umsetzung trotzdem kritisch sehen kann, bleibt Geheimnis der Autorin.

  • Ich sach's mal so: Wer Schnelltests und Immunitätsausweise in einen Topf wirft, der kocht ein ungenießbares Süppchen.

  • Ich teile Ihr Entsezen und weitgehend auch die Sprachlosigkeit. Nur soviel: "Zweiklassengesellschaft" beschreibt nicht annähernd die Widerwärtigkeiten, die sich hinter diesem Ansatz verbergen.

  • Die Hälfte des Ethikrats hat nicht einfach nur "ja" zu diese Art von Ausweisen gesagt. "ja" nur, wenn sicher nachgewiesen werden kann, dass eine dauerhafte Immunisierung vorliegt. Und davon sind wir noch weit entfernt.



    Zitat aus dem Kommentar: "..es wird die Gesellschaft weiter spalten, wenn den Bürgern eine verfügbare Möglichkeit vorenthalten wird, die Freiheitseinschränkungen zu umgehen, indem sie ihre Ungefährlichkeit für andere nachweisen."



    Das kehrt das Rechtsstaatsprinzip um, dass niemand beweisen muss, dass er ungefährlich ist um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu dürfen. Es wird nicht lange dauern und Kneipen, Fitness-Studios würden diesen Ausweis als Zugangsvoraussetzung verlangen.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Die Überschrift suggeriert, Frau Haarhoff verorte die Berlin-Demonstranten in der Menge unter den TAZ-Lesern.

    • @82286 (Profil gelöscht):

      Sind Sie sich denn sicher, dass es unter den Taz-Leser_innen keine Demonstrant_Innen gibt?

      Mich würde es wundern.

    • 0G
      01068 (Profil gelöscht)
      @82286 (Profil gelöscht):

      Nee, damit meint sie sich selber.



      Ich habe mich aber tatsächlich gefragt, ob sie bei den Demonstrationen nicht vielleicht mitläuft. . .

  • Ich halte Immunitätsausweise aus einem anderen Grund für falsch. Das Hauptproblem ist doch, dass man damit einen Anreiz setzt sich mit Corona zu infizieren, um danach immun zu sein. Ich bin überzeugt, es gibt genug Leute in Deutschland, die diese Variante sogar einer Impfung vorziehen würden.



    Eine Impfung, die übrigens ohnehin bald verfügbar sein wird, ich vermute bereits im Frühjahr. Danach macht ein Immunitätsausweis noch weniger Sinn, denn ich vermute schon dass wir damit zügig Herdenimmunität erreichen werden. Und selbst wenn nicht, dann ist ab dem Zeitpunkt zu dem die Impfung möglich ist jede*r selbst verantwortlich ob er*sie sich impfen lässt oder riskiert sich zu infizieren.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Letztlich lädt so etwas nur zu Fälschungen ein und könnte gleichzeitig zu einem Trend führen wo Leute absichtlich krank werden wollen um an so etwas zu kommen. Ich bin eher dafür die Maßnahmen bleiben und wenn die Impfungen kommen dürfen Firmen bei allen Mitarbeitern für die das kein Risiko darstellt eine Impfung verlangen. Wer verbeamtet bleiben will ebenso.

  • Mit derselben utilitaristischen Argumentation könnte man fordern, dass Menschen mit hohem Sterblichkeitsrisiko im Falle einer Covid-19-Erkrankung sich strikt an Kontaktverbote halten sollten und der Rest (z..B. alle unter 40 oder 50 Jahren ohne schwere Erkrankungen) untereinander tun und lassen können, was sie wollen. Unterm Strich wäre, bei konsequenter Durchsetzung, dies mindestens so effektiv wie die Idee eines Immunitätsausweises. Wenn ich mich richtig erinnere, war die taz bislang eher nicht auf dieser Linie.

  • Sollten Immunitätsausweise eingeführt werden prognostoiziere ich einen rasanten Anstieg freiwillig Infizierter. Die Versuchung der dadurch zu erwartenden Vorteile dürfte einfach zu groß sein.

  • 0G
    01068 (Profil gelöscht)

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  • Sehr geehrte Frau Haarhoff,

    sind Sie wirklich dafür, dass Menschen aufgrund ihres Antikörperstatus diskriminiert werden?



    Ich verstehe die Welt nicht mehr.



    Oder sehe ich dies falsch?

    • @Bibi Blocksberg:

      Was heißt denn wegen des Antikörperstatus diskriminiert? WEnn ich 40 Grad Fieber habe, im Bett liege und meine Freunde am WE feiern, jammere ich doch nicht, das wäre Diskriminierung!!

      • @mlevi:

        Wenn Sie mit 40 Grad Fieber im Bett liegen, dann DÜRFEN Sie das tun, Sie MÜSSEN aber nicht!

        Außerdem hindert Sie eine Krankheit nur für einige Tage am sozialen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen, der falsche Antikörperstatus würde uns ja dauerhaft und grundsätzlich ausschließen.

    • @Bibi Blocksberg:

      Mir ist es ebenso unverständlich wie Ihnen, Bibi. Das einzig Unstrittige ist doch die fehlende Evidenz der unbedingten, grenzenlosen Gefährlichkeit. Zugleich gibt es für bestimmte Betroffene gravierende Auswirkungen. Aber beides ist nicht trennscharf. Es herrscht allerdings auch sicherlich kein Zustand wie nach dem 2. Weltkrieg. Weder in Thüringen, noch in Bayern. Weshalb kann jetzt ein Teil der Gemeinschaft beanspruchen, dem anderen vorzuschreiben, er hätte etwas nachzuweisen?