Immobilienkrise in Irland: Wohnraum immer unerschwinglicher
Die Mieten in der irischen Hauptstadt Dublin können sich viele Menschen nicht mehr leisten. Das Wohnproblem ist lange bekannt, getan hat sich nichts.
Die Iren haben Erfahrung mit Vertreibung von Haus und Hof. Während der Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts waren vor allem die ländlichen Gegenden betroffen, heute ist es Dublin. Damals wie heute war die Geldgier der Land- und Immobilienbesitzer schuld. Damals konnten die Menschen die Pacht für ihre Parzellen nicht mehr zahlen, heute sind die Mieten in der Hauptstadt für viele unerschwinglich. Im Gegensatz zu früher gehen die Vertreibungen heute geräuschlos und ohne Polizeigewalt vonstatten.
Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt, aber getan hat sich nichts. Am Dienstag sollte endlich die „bahnbrechende Wohnungspolitik“ der Regierung vorgestellt werden. „Housing for All“, so der optimistische Titel, musste jedoch verschoben werden. Der Plan sei ambitioniert, sagte die Sprecherin des Wohnungsbauministers, Darragh O’Brien: Er umfasse nicht nur die Bekämpfung der Obdachlosigkeit, die in Dublin mehr als 10.000 Menschen betrifft, sondern auch die Bereitstellung von Sozialbauwohnungen sowie eine Reform des Mietrechts.
„Die Arbeit an dem Plan geht weiter“, sagte sie. „Der Plan erstreckt sich über viele Jahre, er geht bis 2030, und über die Finanzierung wird mit den beteiligten Ministerien während des gesamten Monats August gesprochen.“ Anfang September soll es dann so weit sein. Die drei Regierungsparteien haben die Quittung für ihre bisherige Untätigkeit bekommen.
Bei einer Nachwahl im Süden Dublins Anfang des Monats gewann die Labour Party, die seit zehn Jahren kein Bein auf die Erde bekommen hatte, den Sitz mit großem Vorsprung. „Wir haben einen Wohnungsnotstand, und die Regierung unternimmt nichts“, sagte Ivana Bacik nach ihrem Wahlsieg. „Wir müssen endlich für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen und die Bodenspekulation beenden.“
Hauspreise um 13 Prozent gestiegen
Ihren Wahlerfolg schreibt Bacik deshalb vor allem der Wohnungskrise zu. Bisher war der Wahlkreis eine Hochburg der rechtskonservativen Fine Gael. Deren ebenso konservativer Koalitionspartner Fianna Fáil, der das Land lange Zeit wie ein Familienunternehmen regiert hatte, kam nicht mal auf 5 Prozent. Und die Grünen, die für eine Regierungsbeteiligung auch mit dem Teufel ins Bett gehen würden, rangierten unter ferner liefen.
Die Hauspreise in Dublin lagen im Mai um 13 Prozent höher als zwölf Monate zuvor. Selbst für ein kleines Reihenhaus sind mindestens 400.000 Euro fällig, denn Häuser sind knapp. Die Bauindustrie lag während der Pandemie lange Zeit brach, und viele scheuten sich, ihre Häuser zu verkaufen, weil sie keine Fremden zu Hausbesichtigungen hineinlassen wollten. So waren voriges Jahr 40 Prozent weniger Häuser auf dem Markt als in normalen Zeiten. Gleichzeitig ist die Nachfrage gestiegen, denn viele Auswanderer sind wegen des Brexits nach Hause zurückgekehrt.
Hohe Lebenshaltungskosten
Die Preise sind fast wieder auf dem Niveau von 2007, kurz bevor die Immobilienblase platzte und Irland unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen musste. Während des Booms warfen die Banken der Kundschaft die Kredite nach, heute sind sie vorsichtiger und rücken höchstens das Dreieinhalbfache des Jahreseinkommens heraus. Dafür bekommt man als Durchschnittsverdiener in Dublin nur eine Hundehütte, man muss schon das Neunfache anlegen, um ein Haus zu bekommen.
Das durchschnittliche Einkommen pro Kopf lag 2020 bei 55.000 Euro im Jahr, also um rund 14.000 Euro höher als in Deutschland. Aber auch die Lebenshaltungskosten sind um gut ein Viertel höher. Damit liegt Irland an zweiter Stelle in der EU, gleichauf mit Luxemburg. Dabei spielen die Haus- und Mietpreise eine Rolle.
Noch vor 30 Jahren waren 80 Prozent der Iren Eigentümer ihrer vier Wände, mehr als in jedem anderen EU-Land, aber heute sind es nur noch 67,6 Prozent. Der EU-Durchschnitt liegt bei 69,2 Prozent. Wer von den Banken keine Hypothek bekommt, muss stattdessen mieten, doch als Mieter genießt man wenig Schutz.
Mietern droht Altersarmut
Außerdem sind die Mieten in kaum einer Hauptstadt in der EU so hoch wie in Dublin. Eine Dreizimmerwohnung von 70 Quadratmetern in Innenstadtnähe für 2.000 Euro im Monat gilt inzwischen als Schnäppchen. Im Schnitt müssen Mieter 36 Prozent ihres Einkommens aufwenden, in manchen Dubliner Vierteln sind es bis zu zwei Drittel. Eine Hypothek wäre preisgünstiger, aber die bekommt man eben nicht mehr so leicht. Die Hausbesitzer nutzen das aus. Als Eigentümer hat man die Hypothek normalerweise bis zur Pensionierung abgezahlt. Als Mieter droht einem Altersarmut.
Für Investoren ist Dublin ein lukratives Pflaster, das hat sich auch im Ausland herumgesprochen. Ausländische Investorengruppen haben in den vergangenen drei Jahren 3,7 Milliarden Euro investiert. Round Hill Capitals aus London hat zum Beispiel Hunderte von Wohnungen in zwei Wohnsiedlungen gekauft, noch bevor sie fertiggestellt waren. Dadurch sind sie für Käufer vom Markt, sie werden vermietet.
Der Bauindustrie gebeugt?
Wegen der Proteste hat die Regierung im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet: Wer mehr als zehn Häuser binnen einem Jahr kauft, muss eine erhöhte Grunderwerbsteuer zahlen. Es gibt freilich Ausnahmen: Wenn die Investoren 10 Prozent der Häuser an die Bezirksverwaltungen vermieten, entfällt die höhere Steuer. Die Oppositionsparteien warfen der Regierung vor, sich wieder einmal der Bauindustrie gebeugt zu haben. Premierminister Micheál Martin von Fianna Fáil verteidigte die Maßnahme hingegen: „Wenn wir den Hahn jetzt zudrehen, gehen Familien auf der Warteliste für eine Sozialbauwohnung leer aus.“
Diese Deals, die immer mehr um sich greifen, sind aber nur für die Investoren ein gutes Geschäft. Über die Laufzeit von 25 Jahren kostet das den Staat nämlich rund 425.000 Euro, also praktisch den Wert des Hauses. Aber danach gehört das Haus immer noch den Investoren. Die irischen Regierungen haben in den vergangenen 30 Jahren keine Sozialbauhäuser gebaut, dafür aber einen Großteil des staatlichen Bestands den Bewohnern verkauft.
Sozialer Wohnungsbau fehlt
So müssten in den kommenden zehn Jahren 350.000 Häuser gebaut werden, um aus der akuten Krise zu kommen. Das würde rund 120 Milliarden Euro kosten, mehr als die Finanzkrise von 2008 und die Pandemie zusammen. Voriges Jahr sind aber gerade mal 21.000 Sozialbauhäuser entstanden, und in diesem Jahr werden es auch nicht mehr sein. Die linke Initiative Social Justice Ireland sagt, dass die Zahl der Haushalte, die eine Sozialbauwohnung beantragt haben, seit 2016 um ein Drittel gestiegen sei. Colette Bennett, die Analystin der Organisation, sagt: „Es gibt derzeit 170.000 Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau. Das muss verdoppelt werden, damit wir unserem Ziel von 20 Prozent Sozialbauwohnungen näher kommen.“
Sie verlangt von der Regierung, dass der Staat kein Land mehr verkauft, sondern es für den sozialen Wohnungsbau verwendet. Ein frommer Wunsch. Bisher haben sich viele Bezirksverordnete kräftig schmieren lassen, wenn sie Agrarland billig an Bauunternehmen verkauften und es dann in Bauland umwidmeten. Darauf werden sie kaum verzichten. So werden weiterhin viele Dubliner ihrer Stadt den Rücken kehren und aufs Land oder ins Ausland ziehen müssen.
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