Immer mehr Waffen bei Neonazis: Die rechte Szene bleibt bewaffnet
Innenministerin Faeser will Neonazis entwaffnen. Bisher gelingt das nicht: Die Zahl der Szeneangehörigen mit legalen Waffen steigt.
Zumindest die Entwaffnung der rechtsextremen Szene jedenfalls gelingt bisher nicht – im Gegenteil. So antwortet Faesers Innenministerium aktuell auf eine Linken-Anfrage, die der taz vorliegt, zwar, dass seit Anfang 2018 bis Ende 2021 insgesamt 169 Rechtsextremisten ihre waffenrechtliche Erlaubnis entzogen wurde. Zudem sei von Ende 2016 bis Ende 2020 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – auch 880 Reichsbürgern die Waffenerlaubnis entzogen worden.
30 Prozent mehr rechte Waffenbesitzer als 2020
Gleichzeitig aber räumt das Ministerium ein, dass mit Stichtag 27. Dezember 2021 immer noch 1.561 Rechtsextremisten in Deutschland legal Waffen besitzen. Das bedeutet einen deutlichen Anstieg um knapp 30 Prozent zum Vorjahr – damals lag die Zahl bei 1.203 Rechtsextremisten. Und auch 550 Reichsbürger, bei denen die Innenminister:innen von Bund und Ländern schon vor Jahren eine Entwaffnung forderten, besaßen Ende 2020 noch waffenrechtliche Erlaubnisse.
Das kann daran liegen, dass schlicht mehr Fälle entdeckt wurden: Nach einer Waffenrechtsreform Ende 2019 müssen sich Behörden beim Verfassungsschutz über eine Person erkundigen, bevor sie eine Waffenerlaubnis erteilen. Es zeigt aber auch, wie leicht es offenbar immer noch Extremisten gelingt, sogar legal an Waffen zu gelangen – und wie schwierig ein Entzug der Erlaubnisse ist.
In einem Fall ermittelt derzeit sogar die Bundesanwaltschaft gegen einen Rechtsextremisten wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Bei dem Mann wurden Magazine für automatische Gewehre gefunden, die er legal besaß. Kein Einzelfall: Immer wieder entdeckt die Polizei bei Razzien gegen Rechtsextremisten Waffen- und Munitionssammlungen.
Zudem weiß das Innenministerium von 22 Fällen, bei denen Rechtsextreme seit Anfang 2020 Schießübungen abhielten, vielfach im Ausland. Auch hier ermittelt die Bundesanwaltschaft zumindest in einem Fall gegen eine Gruppe Rechtsextremer, die im Januar und Juli 2021 Schießstände in Tschechien besuchten.
Angriffe mit Schusswaffen auch auf Geflüchtete
Und es bleibt nicht nur beim Horten und Trainieren. Bei dem Attentat auf Walter Lübcke sowie in Hanau und Halle töteten Rechtsextremisten mit Waffen Menschen. Die Bundesregierung berichtet auch von 24 Angriffen mit Waffen auf Geflüchtete im vergangenen Jahr. In mehreren Fällen kamen dabei Schreckschusswaffen zum Einsatz. Bei Angriffen in Alfdorf, Karstädt, Ahlen, Drage, Schmalkalden, Nienburg, Forst und Berlin wurden aber auch scharfe Schusswaffen verwendet. Dazu gab es auch fünf Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte mit Waffen.
Für die Linken-Innenexpertin Martina Renner, welche die Anfrage an das Ministerium stellte, sind das unerträgliche Zustände. „Die Bundesregierung muss schnell daran arbeiten, Neonazis und Reichsbürgern die Erlaubnis zum Waffenbesitz zu entziehen“, sagte sie der taz. „Neonazis, die über Waffen verfügen, setzen diese auch ein.“ Auch die Angriffe auf die Geflüchteten seien alarmierend, so Renner. „Schüsse auf Geflüchtete und Angriffe auf Unterkünfte markieren den Anschluss der rassistischen Mobilisierung an die Pogrome der Neunziger Jahre.“
Faeser kündigt Aktionsplan gegen Rechtsextremismus an
Innenministerin Faeser kündigte inzwischen einen Zehn-Punkte-Aktionsplan gegen Rechtsextremismus bis Ostern an. Die Maßnahmen sollen danach „zeitnah“ auf den Weg gebracht werden. Eine davon soll ein konsequenteres Vorgehen gegen Extremisten im öffentlichen Dienst sein. Faeser will hier Disziplinarverfahren beschleunigen.
Zudem möchte die SPD-Ministerin Extremisten, die ihr Beamtenverhältnis ruhen lassen, eine Rückkehr in den öffentlichen Dienst verwehren – damit zielt sie offensichtlich auf Fälle wie den des AfD-Politikers Björn Höcke, der vor seinem Abgeordnetenmandant als Lehrer arbeitete, oder den von Jens Maier, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag nun wieder als Richter arbeiten will.
Faeser erklärte zudem, gegen Straftäter auf den Coronaprotesten „hart durchgreifen“ zu wollen. „Der Rechtsstaat darf sich das nicht bieten lassen.“ Auch solle konsequenter gegen Hetze auf dem Messengerdienst Telegram vorgegangen werden. Man nutze dafür derzeit alle diplomatischen Kanäle und setzte auf eine europäische Zusammenarbeit, sagte Faeser am Mittwochabend nach einem Treffen mit SPD-Innenministern aus den Ländern. Auch solle die Zahl an Cyberermittlern aufgestockt werden.
Faeser appellierte hier auch an die gesellschaftliche Verantwortung von Google und Apple, die Telegram in ihren App Stores anbieten, nicht zur Verbreitung von Hassbotschaften oder Mordaufrufen beizutragen. Telegram sei inzwischen ein „Brandbeschleuniger“ für Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubige. Faeser hatte zuvor bereits als letzte Konsequenz angedroht, Telegram abzuschalten – gemeint ist offenbar eine Verbannung aus den App Stores.
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