Ideologie und Pragmatismus: Nicht wer, sondern was man tut
Bei politischen Entscheidungen spielen Überzeugungen nicht immer eine Rolle. Wichtig ist, dass am Ende das Ergebnis stimmt.
N eulich in der Eisdiele ist mir mal wieder aufgefallen: Ich hasse Ideologien, wirklich. Kommunismus, Antisemitismus, Poststrukturalismus und all die anderen zusammengezimmerten Konstrukte von schönen oder hässlichen Ideen, die zwangsläufig irgendwann unter ihrem eigenen Gewicht oder einfach genauerer Betrachtung zusammenkrachen. Dann lieber try, error, repeat.
Wenn’s aber um meine Tochter geht, hab ich inkonsequenterweise eine Menge schöner Ideen. Kein Zucker, kein Fernsehen (sie), kein Schimpfen (ich). Mein Freund hat nur eine Maxime, wenn es um sie geht: Hauptsache, sie ist glücklich.
Meistens treffen wir – er, der Israeli, und ich, die Deutsche – uns mit unseren Ansätzen auf demselben Weg wieder, aber wenn’s mal nicht so ist, wie bei der Frage „Ist Schokoeis vor dem ersten Geburtstag wirklich eine gute Idee?“, dann nagt etwas Unheimliches in mir. Lauern da schimmlige Überreste einer schwarzen, preußischen Erziehungsideologie in mir?
Zum Glück verabschieden sich die Ideologien immerhin aus der Sphäre der Politik so langsam (auch wenn das leider noch nicht durch die Mauern des Kreml gedrungen ist), genauso wie die Macht aus der Sphäre der Erziehung. Wobei natürlich schon das Wort Erziehung heute falsch ist. Niemand, der bei Verstand ist, erzieht seine Kinder heute noch. Die meisten bauen zum Glück inzwischen einfach eine Beziehung zu ihren Kindern auf, wie man das mit geliebten Menschen halt macht.
Ein schönes Beispiel dafür, wie baufällig Ideologien sind, wenn’s um Macht geht, ist gerade in Israel zu beobachten. Da stimmt die politische Rechte gegen die Fortführung eines ihrer über Jahrzehnte gepflegten Projekte: die Siedlerbewegung. Sprich: gegen ihre eigene politische Überzeugung. Warum? Um die aktuelle Regierung zu stürzen und selbst wieder an die Macht zu kommen. Kurz: Die Siedler könnten tatsächlich ihre besonderen Privilegien verlieren und wären, wenn’s denn so weit käme, ihren palästinensischen Nachbarn rechtlich gleichgestellt.
Damit könnte die Opposition um Bibi, also den konservativen Ex-Regierungschef Benjamin Netanjahu, der sich nach gerade einjähriger Auszeit schon wieder in Stellung bringt, am Ende – Ideologie beiseite – vielleicht mehr für den Frieden tun als viele tatsächlich an einer Zweistaatenlösung Interessierte. Zumindest theoretisch.
Ein paar Entbehrungen
Klar, das Beispiel ist ein bisschen extrem, eine absurde Drehung zu viel, aber das Naserümpfen gerade vieler Linker über falsche oder fehlende Motive hinter eigentlich lobenswerten Taten nervt auch nicht wenig. Hand aufs Herz: Ist Ihnen ein CSUler, der aus wahltaktischen Gründen Windkraft fördert, nicht lieber als einer, der seiner wirtschaftsliberalen Gesinnung treu bleibt? Oder eine Kanzlerin, die gegen ihre Überzeugung einen Atomausstieg beschließt, weil die Mehrheit das will?
Auch wenn die Rechnung nicht recht aufging, weil sie die Erneuerbaren viel zu wenig, die Abhängigkeit von russischem Gas hingegen zu stark gefördert hat. Das kann man Angela Merkel, frisch zurück auf der Diskursbühne, zu Recht vorwerfen, logisch. Macht und die richtige – also die links-sozial-ökologische – Haltung fallen nicht immer in dieselben Hände.
Und andersherum wird, „nur weil die Richtigen regieren, nicht gleich richtig regiert“; wie Luisa Neubauer diese Woche in der Zeit feststellte. Sonst würde der ideologisch motivierte Krieg Putins mit einem Embargo bekämpft, einer Abkehr von fossilen Energien insgesamt und damit – zwei Fliegen auf einen Streich – auch der Kampf gegen die Erderwärmung vorangetrieben.
Die Frage ist halt immer, wie viel Unannehmlichkeiten man in Kauf zu nehmen bereit ist. Ehrlich gesagt: Das schokoverschmierte Strahlen meiner Tochter ist mir den abendlichen Kampf mit ihr und der Zahnbürste allemal wert. Und wie wahrscheinlich die meisten Eltern bin ich übrigens zäh genug, für einen Mindestlohn, das Überleben des Planeten, das ukrainischer Kinder sowie des eigenen Nachwuchses ein paar Entbehrungen in Kauf zu nehmen.
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