Hungerstreik für bessere Klimapolitik: Das letzte Mittel?
Seit Wochen sind in Berlin vier Männer im Hungerstreik, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Einer von ihnen könnte bald sterben.
Beide geht an, was auf dem Platz geschieht. Denn dort sind vier Menschen im Hungerstreik. Sie werfen ihr Leben in die Waagschale, um Politik und Gesellschaft zu bewegen, mehr gegen den Klimakollaps zu tun. Es ist das letzte Mittel, das sie sehen. Titus Felsmann, 41 Jahre, hungert seit 16 Tagen. Adrian Lack, 34 Jahre, hungert seit 26 Tagen; er spricht auch nicht mehr. Der 56-jährige Richard Cluse hungert seit 68 Tagen.
Der Vierte, Wolfgang Metzeler-Kick, hungert inzwischen seit 86 Tagen. Seit acht Tagen hat der große, abgemagerte Mann, dessen Gesicht eingefallen ist und doch ausdrucksstark wirkt, den Streik radikalisiert. Er trinkt keine Säfte mehr, die seinen Blutzuckerspiegel noch etwas stabilisierten, sondern nimmt nur noch Wasser, Salz und ein paar Vitamine zu sich. „Jetzt wird die Situation schnell kritisch“, sagt ein Unterstützer von Scientist Rebellion vor einem der Zelte. „Wolli darf nicht sterben“, steht auf Transparenten, die im Camp hängen.
Die Forderung der Hungerstreikenden ist simpel. Sie wollen, dass der Bundeskanzler in einer Regierungserklärung die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel ausspricht, und dass die Existenz des Lebens auf dem Planeten bedroht ist. Sie wollen, dass der Kanzler den Menschen sagt, dass zu viel CO2 in der Luft ist und dass der Weltklimarat zeigt, wie das Klimagift reduziert werden kann. Sie wollen, dass Scholz sagt, dass jetzt radikal umgesteuert werden muss; es sei schon fast zu spät. „Hungern bis ihr ehrlich seid“, heißt entsprechend die Kampagne.
Das Wort „Erpressung“ steht im Raum
Es wäre ein Leichtes für Olaf Scholz, der doch als „Klimakanzler“ angetreten ist, das Leben der Hungerstreikenden zu retten, indem er diese von der Wissenschaft belegten Wahrheiten öffentlich ausspricht, um damit der Bevölkerung die Tragweite des Problems klarzumachen.
Allein, Scholz tut es nicht. Das Wort „Erpressung“ steht im Raum. Auf dem Demokratietag am vergangenen Wochenende wurde der Kanzler bei einem offenen Dialog mit ihm von Claudia Heinrich, der Partnerin von Metzeler-Kick, gefragt, warum er die Dramatik der Klimakrise nicht aussprechen wolle. Scholz wich aus: „Zu sagen, ich löse die Situation mit einem Bekenntnis zu irgendetwas, ist kein Ausweg, denn es ist keine religiöse Veranstaltung“, sagte er. Dann führte er aus, dass viele Leute daran arbeiteten, die Klimaprobleme technisch zu lösen. Bald.
„Nur“, fragt Marlen Stolze, die Pressesprecherin der Hungerstreikenden im Camp, „wie oft soll man es wiederholen: Wer, wenn nicht er, muss den Menschen die Wahrheit sagen?“ Dann zitiert sie die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“
Eine Unterstützerin geht noch weiter: „Scholz will nicht sehen, wie er mit seiner Weigerung, die Klimakatastrophe zu benennen, den Klimaleugnern und den Rechten erst die Plattform gibt für deren Lügen.“ Das Argument mit der Erpressung sei falsch. Vielmehr täusche die Politik die Bevölkerung, indem sie sie in falscher Sicherheit wiege.
Wer ist verantwortlich?
Im Raum steht aber noch eine ganz andere Frage: Wenn Metzeler-Kick oder ein anderer der vier stirbt, wer ist dann verantwortlich? Er selbst oder der Kanzler?
Alle vier sind entschlossen, ihren Hungerstreik fortzusetzen – auch Metzeler-Kick. An diesem Donnerstag liegt er gerade im Zelt auf einer Liege, ihm sei schwindlig. Tags zuvor am Mittwoch auf der Pressekonferenz ging es im besser, da machte er auf der Tafel beim Pressezelt noch einen weiteren Strich hinter seinem Namen, da war es der 84. Tag.
Vor dem Hungerstreik hat der Umweltingenieur viel versucht, um auf die Dramatik der Erderwärmung aufmerksam zu machen. Als Techniker, aber auch als Aktivist.
Er war bei „Parents for Future“ und bei „Scientist Rebellion“, war bei Aktionen von „Extinction Rebellion“ dabei, und bei denen der Letzten Generation. In München saß er zusammen mit Marlen Stolze, der Pressesprecherin, deswegen in Präventivhaft.
„Mit allem, was mir zur Verfügung stand“
Ob er und die anderen Hungerstreikenden ihre Wut und Verzweiflung gegen sich selbst richten? Metzeler-Kick sieht es nicht so. „Ich sehe kein anderes Mittel des Protestes mehr“, sagt er. Er wird oft mit dem Satz zitiert: „Wenn ich sterbe, hat Scholz ein Problem.“ Aber welches ist das? Scholz sei dann als Klimakanzler demaskiert, antwortet er. „Der Klimakanzler lässt lieber Leute sterben, als die Wahrheit auszusprechen.“
Auf die Frage, ob nicht vielmehr der Kampfesmut von ihm und den anderen Hungerstreikenden gebraucht werde und nicht deren selbstgewählte Vernichtung, meint Metzeler-Kick: „Wer auf die Barrikaden geht, bringt sich in Gefahr.“ Und was hat sein Sohn von seinem Tod? „Er weiß, dass ich für seine Zukunft gekämpft habe – mit allem, was mir zur Verfügung stand“, antwortet er.
„Leute in der Politik, die die Dramatik des Klimawandels nicht aussprechen, leugnen ihn“, sagt die Pressesprecherin. Einige PolitikerInnen und Bundestagsabgeordnete scheinen diesen Zusammenhang zu sehen, sie kamen ins Camp. Die meisten sagten, das Anliegen trügen sie mit, Hungerstreik als Protestmittel allerdings lehnten sie ab.
Verkehrsminister Wissing hat sich bisher nicht blicken lassen. Robert Habeck aber war da – wenngleich das lange geheim gehalten werden sollte. Das Gespräch mit ihm sei „ein menschliches Treffen gewesen“, sagt Metzeler-Kick auf seiner Liege im Zelt.
Vor dem Wirtschaftsministerium hat sich nach der Pressekonferenz eine Gruppe AktivistInnen aufgestellt. Darunter zwei von der Umweltorganisation BUND. „Wer, wenn nicht der BUND muss hier stehen“, fragen sie, aber die Organisation hat sich nicht offiziell hinter die Hungerstreikaktion gestellt. Eine Filmemacherin fragt Leute, die aus Habecks Ministerium kommen, ob sie sich zum Protest verhalten können. Alle gehen wortlos vorüber.
Jeden Tag um 17 Uhr machen sich die Hungerstreikenden zum „Slow Walk“ durch das Regierungsviertel auf. Auch bei strömendem Regen. Metzeler-Kick trägt einen Overall, auf dem ein Skelett aufgezeichnet ist. „Ich versuche, so viel wie möglich noch selbst zu gehen“, sagt er. Aber als der Weg leicht abschüssig wird, setzt er sich in einen Rollstuhl und rollt den Hang hinunter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker