Hitzewelle in Italien: Wie bei Corona
In Deutschland redet man über die Feinheiten von Luft- und Bodentemperatur. In Italien indes verbarrikadieren sich die Menschen in den Wohnungen.
Doch seit zehn Tagen ist Schluss mit lustig. Zunächst schneite „Cerbero“ herein, die erste große Hitzewelle, benannt nach dem mehrköpfigen Höllenhund Zerberus. Das heißt: Kein Tag verging mehr in Rom, ohne dass nicht mindestens 35 Grad erreicht wurden. Jetzt hat Zerberus sich getrollt, doch umgehend fand er würdigen Ersatz.
Jetzt nämlich ist die Heißfront „Caronte“ unterwegs. Der Name passt: Charon rudert in der griechischen Mythologie die Toten Richtung Hades. Heitere Aussichten hält die Wettervorhersage in der Tat bereit. Am Montag wurden in Rom 38 Grad gemessen, für Dienstag sind 42 Grad versprochen, und überhaupt soll an keinem einzigen Tag bis Ende Juli der Tageshöchstwert unter 35 Grad sinken, sollen durchgehend auch „tropische Nächte“ drohen, in denen die Temperatur nie unter 20 Grad fällt.
Seither präsentieren sich die Wohnviertel Roms, als sei gerade wieder Covid-Lockdown. Vor die Tür gehen die Leute nur noch, um notwendige Dinge zu verrichten, um einzukaufen, den Hund Gassi zu führen oder ihre Arbeitsstätte aufzusuchen. Ansonsten verbarrikadieren sich die Römer*innen zu Hause, gerne hinter heruntergelassenen Rollläden und gerne natürlich auch bei eingeschalteter Klimaanlage – rund die Hälfte der italienischen Haushalte ist damit ausgerüstet.
Die Mitternachtskühle der 80er
Reichlich gute Tipps gibt es derweil in den Medien, wie man der Megadauerhitze trotzt, vom Ratschlag, sich in den Mittagsstunden lieber nicht in der Sonne aufzuhalten, bis hin zur Anregung, sich doch lieber luftig anzuziehen, viel Wasser zu trinken, einen Bogen um fettes Essen und Alkohol zu machen. Die leergefegten Straßen in den Wohnvierteln, die Shorts der Männer und Minikleidchen der Frauen, die sich noch vor die Tür trauen, zeugen davon, dass die meisten sich brav an den Regelkanon halten.
Beratungsresistent zeigt sich jedoch eine auch jetzt noch nach Zehntausenden zählende Gruppe: die der Tourist*innen. Stundenlang schwitzen sie, der herunterbrennenden Sonne ausgesetzt und bestenfalls durch Schirmchen geschützt, in der Schlange vor den Vatikanischen Museen oder dem Kolosseum.
Einwenden ließe sich nun, dass es sommers in Italien doch immer schon heiß war. Doch wer in den achtziger Jahren dort unterwegs war, der mag sich auch daran erinnern, dass in den Abendstunden viele Menschen mit einem leichten Baumwollpulli über den Schultern ausgingen, weil es Richtung Mitternacht oft frisch wurde, und der erinnert sich auch daran, dass Temperaturen deutlich über 30 Grad eine rare Ausnahme waren.
Der Klimaforscher Luca Mercalli erklärt den Unterschied zwischen der heutigen und der früheren Hitze kurz und bündig. Früher redeten die Wettervorhersagen im Juli und August immer vom Azorenhoch, doch das ist mittlerweile ausgestorben. Schon seit diversen Jahren dominiert das „afrikanische Hochdruckgebiet“ die Sommerszene; es schaufelt direkt aus der Sahara die Wüstenheißluft Richtung Italien, Richtung Europa. Und es ist Klimakrise zum Anfassen. Noch heißt es in den Nachrichten, die Höchsttemperaturen lägen „5 bis 10 Grad über dem langjährigen Mittel“, doch mit den Jahr für Jahr gebrochenen Hitzerekorden zeichnet sich ab, wo das neue Mittel liegt.
Rechtsregierung mit Verbrenner-Wissing
Von links bis rechts leugnet denn auch so gut wie niemand in der italienischen Politik den Klimawandel. Das hindert jedoch die italienische Rechtsregierung nicht daran, an der Seite des deutschen Verkehrsministers Volker Wissing das Aus für den Verbrennermotor zu bekämpfen und gegen die EU-Normen zur Energieeffizienz von Gebäuden zu Felde zu ziehen.
Und auch weiter unten findet jenseits des wohlfeilen Tipps, reichlich Wasser zu trinken, kaum eine Debatte statt, was etwa zu tun wäre, um die Städte hitzeresistenter zu machen, zum Beispiel mit Projekten der Stadtbegrünung. Mehr als der Ratschlag an alte Leute, sie sollten doch ihre Tage in vollklimatisierten Einkaufszentren verbringen, ist gegenwärtig nicht geboten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau