Trockenheit in Südeuropa: Norditalien geht das Wasser aus
Die Poebene erlebt die schlimmste Dürre seit 70 Jahren. Seit Monaten hat es nicht geregnet. Die Hälfte der Anbauflächen ist von Ernteausfall bedroht.
Und so ist es nicht nur in Turin. Italiens größter Fluss, der über 650 Kilometer den Norden des Landes vom Piemont bis hin zur Emilia Romagna und dem Veneto an der Adriaküste durchschneidet, fällt auf seiner ganzen Länge durch historische Tiefstände auf. 7 Meter unter Normalnull werden dieser Tage gemeldet, und die TV-Nachrichten liefern Bilder von Ausflugsbooten, die am Ufer schlicht auf dem Trockenen gestrandet sind, und auch vom Grund des Flussbetts, von völlig ausgetrockneter, aufgebrochener Erde, die an eine Wüstenlandschaft erinnern.
Die schlimmste Dürre seit 70 Jahren erlebe die Poebene, erlebe ganz Italien gerade, erläutern die Expert*innen, für die der direkte Zusammenhang mit dem Klimawandel auf der Hand liegt. Das fängt damit an, dass es seit fast vier Monaten nicht mehr geregnet hat. Es geht damit weiter, dass auf den milden, trockenen Spätwinter und Frühling Hitzewellen folgten, die so früh einsetzten wie kaum je zuvor.
Schon vom 10. Mai an lagen die Höchsttemperaturen in Italien fast konstant über 30 Grad. Traditionell wurde diese Marke eher einen Monat später im Juni überschritten. Traditionell galt auch, dass die sommerliche Wetterlage südlich der Alpen von Azorenhochs geprägt war. Von denen ist in diesem Jahr keine Rede. Die Hochs kommen jetzt ausnahmslos aus Afrika, und sie bekommen von den Meteorolog*innen so passende Namen wie „Hannibal“ oder „Scipio, der Afrikaner“ verpasst. Verschlimmert wird die Lage mit Blick auf den erst beginnenden Sommer dadurch, dass der Schnee in den Alpen schon fast abgeschmolzen ist. Auch von dort ist kein Wasser mehr zu erwarten.
Tankwagen liefern Trinkwasser
Dramatisch sind die Folgen für die Landwirtschaft in Italiens Nordregionen. Ob Reisfelder, Mais oder Tomaten – viele Anbauflächen brauchen eine kontinuierliche Bewässerung. Der Landwirtschaftsverband Coldiretti warnt, in der Poebene seien 50 Prozent der Anbauflächen von komplettem Ernteausfall bedroht. Auch um dies zu verhindern und eine bevorzugte Versorgung der Landwirtschaft sicherzustellen, wollen jetzt die Präsidenten der Regionen Piemont und Lombardei den Wassernotstand ausrufen. Wassernotstand herrscht bereits jetzt schon in etwa 125 Gemeinden in den beiden Regionen. Dort soll die Trinkwasserversorgung nachts unterbrochen werden, um über Tag eine Minimalversorgung zu gewährleisten.
In diversen Kommunen muss jetzt schon der Tankwagen kommen, um die Menschen mit Trinkwasser zu beliefern. Und der Bürgermeister von Tradate, einem Städtchen nördlich von Mailand, hat den Einwohner*innen verboten, ihre Pools zu füllen, die Garagenzufahrt abzuspritzen, den Rasen im Garten zu sprengen und auch die Beete dort zu wässern. Bei Zuwiderhandlung drohen bis zu 500 Euro Geldbuße.
Wasserverlust durch lecke Leitungen
So dramatisch sich die Situation zuzuspitzen droht, so verschwenderisch allerdings geht Italien bisher mit Wasser um. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei täglich 220 Litern, gegenüber 165 Litern im europäischen Durchschnitt. Dafür tragen allerdings nicht nur die Bürger*innen die Verantwortung, sondern auch die Wasserversorgungsgesellschaften. Etwa 40 Prozent der gesamten Menge nämlich geht aufgrund lecker Leitungen auf dem Weg zu den Haushalten verloren, und im Süden Italiens werden die Verluste teils auf 70 bis 80 Prozent beziffert.
Wenigstens hier soll sich die Situation schnell bessern. Das große Investitionsprogramm, das die italienische Regierung mit den Mitteln des Fonds „Next Generation EU“ angeschoben hat, sieht 3 Milliarden Euro für die Wasserversorgung vor. Für den drohenden Wassernotstand in den kommenden Monaten kämen diese Investitionen allerdings zu spät.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben