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Hinrichtung in AfghanistanBlutjustiz im Stadion

Zum sechsten Mal lassen die Taliban eine öffentliche Hinrichtung zu. Die islamistischen Machthaber Afghanistans wollen eine Dokumentation verhindern.

Ein Taliban-Kämpfer in Herat, Afghanistan, 2023 Foto: Ebrahim Noroozi/ap/picture alliance

Berlin taz | Es geschah wieder in einem Stadion. In der Stadt Gardes, Hauptstadt der Provinz Paktia in Südost-Afghanistans, erschoss ein Mann aus dem Distrikt Tschamkanai vor hunderten Zuschauern einen etwa 30-Jährigen. Ihm war der Mord an einem seiner Verwandten zur Last gelegt worden. Den Name des Hingerichteten gaben örtliche Quellen der taz gegenüber mit Muhammad Ajas aus dem Nachbardistrikt Mirsaka an; das Mordopfer hieße Habibullah. Die Taliban bestätigten inzwischen die Hinrichtung und die Namen.

Es war die sechste öffentliche Hinrichtung unter den Taliban seit ihrer erneuten Machtergreifung im August 2021. Ihr geistliches und weltliches Oberhaupt, der Islam-Gelehrte Hebatullah Achundsada, hatte angeordnet, dass das islamische Recht einzige Rechtsquelle im Land sein müsse. Unter der Scharia haben Angehörige das Recht, bei Mord ein Todesurteil selbst zu vollstrecken. Sie können das aber auch den Behörden überlassen oder den Täter begnadigen.

Das örtliche Taliban-Pressebüro gab den Hinrichtungstermin am Vorabend über die sozialen Medien bekannt. „An die zivilen und militärischen Institutionen, Beamten, Mudschahedin, islamischen Gelehrten und die breite Öffentlichkeit“, hieß es, „Friede sei mit euch und Gottes Gnade und Segen.“ Und weiter: „Für morgen, für Mittwoch, den 11. Dschumada al-Awwal 1446 islamischer Zeitrechnung, haben die Justizorgane des Islamischen Emirats im Rahmen der Durchsetzung der islamischen Scharia die Ausführung des Urteil der Vergeltung gegen einen verhafteten Mörder bestätigt. Daher seien Sie alle informiert, daran teilzunehmen. Hinweis: Fotos, Videos und Telefone sind am Hinrichtungsort verboten.“

An der Hinrichtung nahmen Innenminister Seradschuddin Hakkani, der aus der Region stammt, sowie eine Delegation des Obersten Taliban-Gerichts teil.

Frauen offenbar bisher nicht betroffen

Die erste Hinrichtung im zweiten Taliban-Regime fand im Dezember 2022 ebenfalls vor vielen Zuschauern im westafghanischen Farah statt. Im Juni vorigen Jahres folgte eine in der Ostprovinz Laghman, in diesem Februar binnen einer Woche drei weitere in den Stadien von Ghasni und Schiberghan. In allen Fällen erschossen Angehörige der Opfer die als Mörder verurteilten Männer. Die Urteile wurden jeweils durch Taliban-Gerichte und den Talibanchef bestätigt. Auch die westlich gestützte Vorgängerregierung führte Todesurteile aus, meist gegen Talibankämpfer. Geständnisse wurden allerdings regelmäßig durch Folter erzwungen.

Frauen waren offenbar bisher nicht betroffen. Allerdings kündigte der Talibanchef im März an, dass auch öffentliche Steinigungen von Frauen wegen Ehebruchs wieder möglich sein sollen.

Richard Bennett, der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Afghanistan, dokumentierte in diesem Jahr einen „alarmierenden Anstieg“ öffentlich ausgeführter Auspeitschungen. Diese Praxis, so Bennett, komme „Folter oder unmenschlicher Bestrafung“ gleich. Laut Obersten Taliban-Gerichtshof wurden zwischen Januar und August 276 Afghan*innen, darunter 46 Frauen, so bestraft.

Offenbar möchten die Taliban jedoch nicht, dass explizites Material ihrer Blutjustiz in der Öffentlichkeit auftaucht. Deshalb auch das Fotoverbot in Gardes. Sie erinnern sich vermutlich an die heimlich aufgenommenen Bilder, die Aktivistinnen nach der öffentlichen Hinrichtung einer Frau im Kabuler Nationalstadion im November 1999 weltweit verbreiteten und die für Empörung sorgten. Sie war des Mordes an ihrem Ehemann beschuldigt worden, der sie offenbar wiederholt misshandelt hatte.

Die aktuelle Hinrichtung erfolgt ausgerechnet zu einer Zeit, da die Taliban bei der UN-Klimakonferenz in Baku um finanzielle Hilfe für Klimaschutzprojekte werben. Die Klimakrise trifft Afghanistan besonders stark – laut UN am sechststärksten von allen Ländern. Internationale Reaktionen auf die Zunahme von Scharia-Strafen unter ihrem Regime könnten das Hilfsbegehren erschweren.

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5 Kommentare

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  • Barbarisch. Das Verbot von Fotos und Videos beweist für mich aber, dass selbst diese völlig empathielosen Machthaber im Grunde ihres Herzens wissen, dass ihre Taten böse sind, sonst würden sie sie nicht so verstecken.



    Das schlechte Gewissen meldet sich, ob man will oder nicht. Der Mensch weiß durchaus von Natur aus, Gut und Böse zu unterscheiden.

    • @Winnetaz:

      Keine Chance. Ich wünsche mir das sie recht haben, aber keine Chance.



      Das ist pure Berechnung. Die Taliban wollen die Deutungshoheit behalten. Jegliche Informationen im Land sollen nur über sie verbreitet werden - so können sie ganz genau bestimmen was wann wo wem zugänglich wird.



      Derart resolute Umgangsweisen legen viele autoritäre Staaten an den Tag - Nordkorea hat das perfektioniert (sicher auch 'Dank' mangelndem Strom, Internet, etc), aber auch aus Ländern wie China und Russland, einigen arabischen und afrikanischen Staaten kennt man derlei mediale Oberkontrolle von staatlicher Seite.



      Ein schlechtes Gewissen treibt auch dort keinen - es geht immer nur um Kontrolle und Machterhalt.

  • Für Frauen macht man nicht den Aufwand einer Hinrichtung.

    Die sterben einfach so. Das Leben in Afghanistan ist für sie bereits eine Hinrichtung.

    • @shantivanille:

      Vor 40 Jahren saßen Frauen in Afghanistan mit kniefreien Röcken auf offener Straße und gingen zur Uni...



      ...von Kopftuch wollen wir erst gar nicht anfangen, das war zu der Zeit bei katholischen Kirchgängerinnen deutlich verbreiteter als in Afghanistan oder überhaupt der islamischen Welt...



      Die gesamte islamische Welt wurde in kürzester Zeit von religiösen Fanatikern flächendeckend überrannt.



      Traurig. Wenn man es von früher noch kennt ist es einem unbegreiflich 😒

      • @Farang:

        Die Frage ist, welche Frauen vor 40 Jahren in Afghanistan mit kniefreien Röcken zur Uni gegangen sind – das gilt vielleicht für die Töchter einer urbanen Mittel- und Oberschicht, für die ein „westlicher“ Lebenswandel Ausdruck von Wohlstand und Fortschritt war, im afghanischen Hinterland sah es auch damals ganz anders aus (was man unter anderem an den Konflikten sieht, die Kopftuchverbote etwa im vorrevolutionären Iran ausgelöst haben). Im Grunde ist das paradigmatisch für unseren Blick auf den Rest der Welt: Wir nehmen nur diejenigen war, die ohnehin unserer Meinung sind – was auch zum politischen Problem wird, weil wir so die sozialen und politischen Dynamiken in großen Teilen der nicht-westlichen Welt (und manchmal sogar in dieser) nicht verstehen. Man sieht das ganz gut an der hier populären Regime vs. Volk-Rhetorik: die Regime bestehen ja nicht aus Marsmenschen, sondern haben in der Regel eine nicht zu unterschätzende soziale Basis.