Hilfsmarathon für die Ukraine: Katerstimmung auf dem Bürgenstock
Ein Ende der russischen Invasion in der Ukraine geht nur mit Putin. Aber wie? Soli-Zeichen und Ratlosigkeit bei der Friedenskonferenz in der Schweiz.
Doch die Signale der Unterstützung wirken bitter, zynisch, reichen nicht aus, wenn der russische Diktator Wladimir Putin Tag für Tag die Ukraine bombardiert. Die Ukraine befindet sich im Jahr 3 der russischen Invasion. Im Osten des Landes rückt Putins Armee vor, zerbombt immer wieder Wohnhäuser, öffentliche Gebäude, zerstört Energie- und Wasserversorgung. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.
An diesem Wochenende lud Selenskyj selbst ein, um über einen Weg zum Frieden zu sprechen. Gemeinsam mit der Schweiz, die sich als neutrales Land versteht, ein Land, das nicht Vermittler sein will, sondern Plattform für die, die ein echtes Interesse an einem dauerhaften Frieden haben.
Fast 100 Delegationen sind gekommen, darunter viele aus dem Globalen Süden. US-Vizepräsidentin Kamala Harris ist da, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der britische Premier Rishi Sunak, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, Kanzler Olaf Scholz. Saudi-Arabien hat seinen Außenminister Faisal bin Farhan al Saud geschickt, etliche afrikanische Staatenlenker, darunter der kenianische Präsident William Ruto sind gekommen, aus Lateinamerika ist der argentinische Präsident Javier Milei dabei.
China kommt nicht, Indien schon
Ein Erfolg für die Schweizer Organisator:innen: Trotz Moskauer Druck auf die Verbündeten der BRICS-Staaten hat Indien eine Delegation entsandt. Zwar ist es nicht Präsident Narendra Modi, der noch dem G7-Gipfel beiwohnte, aber immerhin ein Vertreter des Außenministeriums mit Ministerrang.
Bis zuletzt war die Hoffnung groß, dass China einen Vertreter entsenden würde, hat das Land doch großen Einfluss auf Putin. Doch die Bemühungen scheiterten. Auch Russland sitzt nicht mit am Runden Tisch, an dem die nächsten Schritte Richtung Frieden beraten werden.
Mit dem Helikopter werden die Staats- und Regierungschef:innen, die politischen Beobachter:innen, entsandte hochranginge Diplomat:innen auf ein Luxusressort auf dem Bürgenstock geflogen, rund 20 Minuten von Luzern entfernt. Wer den Landweg nimmt, fährt vorbei an sattgrünen Wiesen, an Bauernhäusern, der Busstation neben dem Spielplatz, hört das Läuten der Kuhglocken. Die mächtigen Berggipfel verstecken sich hinter Nebelschwaden. Frieden schaffen in einer Welt, die idyllischer kaum sein könnte.
Scholz sagt, es geht darum ein deutliches Signal der Unterstützung an die Ukraine zu senden. Doch bereits vor dem Treffen schraubt er die Erwartungen herunter, und genauso ist zu deuten, dass US-Präsident Joe Biden nicht einfach vom G7-Gipfel in die Schweiz weiterreiste, sondern seine Vizepräsidentin Kamala Harris schickte.
Scholz spricht recht wolkig von einem Garten, der blühen und gedeihen soll, von einem Pflänzchen, dass man jetzt gießen wolle. Und dass es Gesprächskanäle braucht. Auch zu Putin. Scholz ist bei diesem Treffen einer von vielen. Deutschland ist nach den USA zwar der zweitgrößte Waffenlieferant an die Ukraine. Um Frieden zu schaffen, braucht es die Länder des Globalen Südens, die geballte Kraft der Weltgemeinschaft.
Dichte Abfolge von Unterstützungserklärungen
Hoch über dem Vierwaldstättersee macht William Ruto, Kenias Präsident, klar, dass die russische Invasion kein alleiniges Problem der Ukraine ist. „Ein Bauer in Kenia weiß, dass Russland Krieg gegen die Ukraine führt. Sein Dünger ist teuer und er kommt zu spät“, sagt Ruto. Es geht um durch den Krieg abgeschnittene Handelsrouten, die zu noch mehr Hunger und Elend auf dem afrikanischen Kontinent führen. Und so führt Ruto die Gewalt im Sudan auf, die Not in Somalia, den Konflikt in Mali. Es ist kein Krieg in Europa, sondern einer, der die Welt und ihre Ordnung mächtig ins Wanken gebracht hat.
Seit Kriegsbeginn gab es keine vergleichbare Abfolge an internationalen Terminen für Ukraine-Hilfen wie in der vergangenen Woche. Bei der Wiederaufbau-Konferenz zu Beginn der Woche in Berlin unterzeichneten ukrainische Firmen und deutsche Wirtschaftsvertreter:innen Verträge für den Aufbau von Infrastruktur, Energieversorgung, für den öffentlichen Nahverkehr. Der Wert: Mindestens 16 Milliarden Euro. Außerdem soll es einen Fonds geben, über den das Vorhaben koordiniert werden kann.
Nur einen Tag nach der Berliner Konferenz bekommt Selenskyj auf dem G7-Gipfel im süditalienischen Apulien den Zuschlag für rund 50 Milliarden US-Dollar, in Kreditform, mit unklaren Konditionen. Aber schnell sollen die Milliarden fließen. Die USA wollen einen Batzen übernehmen, die EU sowieso, finanziert werden soll das ganze auch mit Hilfe der Zinsen, die durch eingefrorene russische Vermögen generiert werden konnten. Es müssten nur noch Details geklärt werden, bis die Kredite vergeben werden könnten, wird man in Bari nicht müde zu betonen.
In diese frohe Botschaft platzt dazu noch die Nachricht, dass die EU-Mitgliedsstaaten sich einig sind, mit der Ukraine und Moldau Beitrittsverhandlungen zu starten.
Der Weg zu echten Verhandlungen ist noch weit
Nach der Party folgt der Kater. US-Vize Harris sagt, wir müssen diesen brutalen Krieg beenden. Aber zu den Bedingungen der Ukraine. Putin hatte ein Angebot gemacht, noch während Selenskyj von Bari nach Bürgenstock jettete: Er sei zu einer Waffenruhe bereit, wenn die Ukraine auf die besetzten Gebiete verzichte und auf einen Nato-Beitritt in der Zukunft. Harris erteilte Putins Vorschlag eine Absage – und bezog sich auf deren Unabhängigkeit, auf die Souveränität der Ukraine. Einen Friedensvorschlag hat sie nicht, aber ein weiteres Hilfspaket in Milliardenhöhe für Selenskyj.
Der Weg zu einer echten Verhandlungsrunde mit Russland ist noch sehr weit, heißt es aus Diplomatenkreisen. Putin selbst zeigte im Vorfeld kein Interesse an einer Teilnahme, doch eine Folgekonferenz muss es geben, dafür gibt es breite Zustimmung. Möglicher Treffpunkt: Saudi-Arabien.
Bleibt die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock ein weiterer Termin in einer Reihe von vielen nach Gesprächen in Kopenhagen, Dschidda oder Davos? Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas bringt es wie viele ihrer Nachbarstaaten – Lettland, Litauen, Georgien, Moldau, die unmittelbar durch die russische Aggression bedroht werden – auf den Punkt: „Wir wissen was auf dem Spiel steht. Lasst uns aus unseren Fehlern der Vergangenheit lernen.“
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