Hilfe für die Ukraine: Merz und die mysteriösen weitreichenden Waffen
Erst verspricht der Kanzler Geräte, mit denen die Ukraine Ziele im russischen Hinterland treffen kann. Dann will er es anders gemeint haben.

Es solle keine Reichweitenbeschränkung für an die Ukraine gelieferte Waffen mehr geben, sagte Merz am Montag bei einer Diskussionsveranstaltung des WDR in Berlin. „Weder von den Briten noch von den Franzosen noch von uns. Von den Amerikanern auch nicht.“ Und der Bundeskanzler schob hinterher: „Wir nennen das im Jargon ‚long-range fire‘, also die Ukraine auch mit Waffen auszustatten, die militärische Ziele im Hinterland angreifen.“
Mit den Koalitionspartnern von der SPD schien diese Einlassung nicht abgesprochen. Der Vizekanzler und Finanzminister von der SPD, Lars Klingbeil, widersprach Merz noch am selben Abend. Was die Reichweite von Waffen angehe, gebe es keine neue Verabredung, die über das hinausgehe, was die Vorgängerregierung gemacht habe. Das würde bedeuten, dass die Ukraine mit dem Material aus Deutschland weiterhin Ziele auf russischer Seite in Grenznähe erreichen könnte, nicht jedoch mehrere hundert Kilometer tief im Landesinneren.
Schon wenige Stunden nach seiner Aussage wollte auch Merz es nicht mehr ganz so gemeint haben. Gegenüber Journalist*innen erklärte er bei einer Reise ins finnische Turku, er habe etwas beschrieben, was schon seit Monaten geschehe – „dass die Ukraine nämlich das Recht hat, die Waffen, die sie geliefert bekommt, auch jenseits der eigenen Landesgrenzen einzusetzen gegen militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet“.
Die SPD: „Wir haben Informationsbedarf“
Falko Droßmann ärgert sich über die unklare Debattenlage. „Wir haben Informationsbedarf“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion der taz. „Vor allem diejenigen in der Fraktion, die weniger mit Verteidigungspolitik zu tun haben, fragen: Hey, was meint Merz da?“
Für Droßmann ist auch unklar, warum der Bundeskanzler von „long-range fire“ spricht. Dort ginge es um Waffensysteme mit einer Reichweite von 3.000 bis 5.000 Kilometern. Der Taurus mit seiner Zieldistanz von etwa 500 Kilometern falle nicht unter diese Gattung. „Soll Merz doch sagen, er liefert den Taurus. Das, was er angekündigt hat, macht er ja selber nicht“, so Droßmann.
Damit spielt Droßmann darauf an, dass Merz im Wahlkampf Kanzler Olaf Scholz mehrfach für seine ablehnende Haltung bei der Lieferung des Marschflugkörpers kritisiert und selber einen Export des Marschflugkörpers in Aussicht gestellt hatte. Seit er im Amt ist, hat er diese Position jedoch nicht wiederholt – und stattdessen die Rüstungslieferungen in die Ukraine verschleiern lassen.
Ulrich Kühn bezeichnet das Statement von Merz zur Aufhebung der Reichweitenbegrenzung als „merkwürdig“. Der Leiter des Forschungsbereichs Rüstungskontrolle des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) hält zwei Interpretationen für denkbar. Einerseits könnte Merz ein Signal an den Kreml senden wollen, die Friedensbemühungen in der Ukraine ernster zu nehmen.
Grüne fordern Merz auf, alles zu liefern
Zweitens müsse sich der Bundeskanzler an den Versprechungen zu den Taurus-Lieferungen messen lassen. Möglicherweise hätten Experten aus der Bundeswehr, die ihn nun umgeben würden, ihm den Rat gegeben, eine Lieferung des Taurus mit einer „glaubhaften Bestreitbarkeit“ zu versehen, um verteidigungspolitische Konsequenzen abzumildern. „Deshalb bringt er so ein kryptisches Statement, dass die Reichweitenbegrenzungen nicht mehr gelten.“
Auch die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sara Nanni, kann die aktuelle Diskussion nicht verstehen. „Die Bundesregierung kommuniziert, als gäbe es keine Bedrohung: chaotisch, widersprüchlich, unstrategisch“, erklärte sie. Ihr sei weiterhin unklar, wie es um die Lieferung des Taurus stehe. Sie forderte, der Ukraine alles zu liefern, was sie brauche, um sich gegen die Einnahme durch Russland zu wehren. „Russland kann diesen Krieg gewinnen, wenn der Westen nicht endlich all in geht bei der Unterstützung der Ukraine.“
Die Lieferung des Marschflugkörpers dürfte auch auf der Agenda stehen, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch zum eintägigen Besuch in Berlin eintrifft. Die Frage wird dabei nur sein, ob Merz gegenüber seinem Gesprächspartner klarere Worte findet – und was davon nach außen dringen wird.
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