Helmut Kohl und die Familie: Wolfgangsee, ein Grabmal
Niemand hat das Bild der heilen bürgerlichen Familie mehr beschädigt als er, Helmut Kohl. Ein Kurzrequiem auf eine Lebensform.
In der Erinnerung will es scheinen, dass dieses Gewässer schon immer für eine gewisse Verklemmtheit stand: Der Wolfgangsee in Österreich, schon besungen in der Operette „Im weißen Rössl“, war eine Art Ozean der bürgerlichen Sittsamkeit. Hier urlaubte der Politiker, später Kanzler der Bundesrepublik, Helmut Kohl mit seiner Familie, und dass wir das wissen konnten, war absichtsvoll inszeniert. Der Christdemokrat wollte zeigen, in welch heiler Welt er lebte, wenigstens privat, und wie heiter in dieser Familie – er sagte gern: „Familje“ – es zuging.
Wolfgangsee, das war eben nicht wie später unter Kanzler Schröder Toskanafraktion, mittelgediegene Weltläufigkeit mit Dolce vita, das war, falls das zu formulieren erlaubt ist, ostmärkische Ferienatmosphäre mit Bier und Geselligkeit im Kreis der Liebsten – allenfalls umrudelt von den Fotografen und Reportern einschlägiger Boulevardmedien.
Hier sollte ein Bild gezeichnet werden, und es war auch damals schon verlogen. Und zwar an und für sich, der Zeitläufte wegen. Der Feminismus war längst geboren, seine Heldinnen in allen möglichen gesellschaftlichen Sektoren schwer und erfolgreich um Einfluss ringend. Schwule Männer gab es auch schon, sie mussten darauf vertrauen, dass eine CDU-Gesundheitspolitikerin wie Rita Süßmuth in Sachen Aids-Epidemie in den mittleren Achtzigern sich nicht vom CSU-Mann Peter Gauweiler den Schneid abkaufen ließ.
Alles alte Geschichte, alte Bundesrepublik, die andererseits gar nicht so konservativ unterwegs war, wie die Figur Helmut Kohl glauben machte. Denn der wollte die „geistig-moralische Wende“ (Michael Rutschky) und schaffte sie doch nicht.
Politischer Maniac
Inzwischen wissen wir: Das war schon in persönlicher Hinsicht ein verfehltes Projekt – ganz so, als bäte ein Heuchler um Vergebung für alle falsche Rede wider deine Nächsten. Helmut Kohl, das war und ist der Totengräber der bürgerlichen Familie von prominentester Sorte.
Die Ehe mit Gattin Hannelore – ein Desaster. Andererseits: Wundert es wen? Eine kluge Frau, die in gewisser Hinsicht wissen konnte, dass sie die Frau an seiner Seite sein würde, die geahnt haben muss – und begehrt zugleich ja auch – dass sie einen Mann ehelichte, der einem politischem Maniac gleicht. Und dann zwei Söhne, die gewiss auf ihre Weise, beide haben dies in autobiographischen Büchern bezeugt, versuchten, einen eigenen, jedenfalls nicht den Weg des Vaters zu gehen.
Denn das mussten sie, andererseits, auch. Vater Kohl, so überliefern es beide, interessierte sich für sie lediglich in repräsentativer Hinsicht: Hey, ich habe zwei Söhne gezeugt, was wollt ihr mehr?
Dass, wie wir mit dem Ableben des früheren und ja bis zum Fall der DDR politisch nicht sehr erfolgreichen Kanzlers erfuhren, ihn seine Kinder desinteressierten, ist freilich kein persönliches Charakteristikum des Helmut Kohl. Das ging Millionen Väter einst so, das kann weiter der Fall sein, aber zum pfälzischen Debakel namens Helmut K. gehört eben auch die kaltschnäuzige Indienstnahme dieser seiner Familie für die Moralisierung der bürgerlichen Familie.
Ein Nichtvorbild
Man darf ohnehin fragen: Konnte er die Söhne auch deshalb nicht in den letzten Jahren an sich heranlassen, weil sie ihn – bewusst oder unbewusst – anklagten, deren Mutter, Kohls Frau Hannelore alleingelassen zu haben? Hat er deshalb jeden Kontakt verweigert?
Und, mehr noch: Fand er in einer sehr viel jüngeren Frau, Maike Richter-Kohl, nicht nur die ergebene Begleiterin im Alter, sondern zugleich auch die kritik- und wunschlose Tochter, die er nie hatte, sondern eben nur zwei Söhne, die ihn als Vater wollten, nicht als kolossale, stets abwesende Figur im eigenen Wohnzimmer? Er, Helmut Kohl, so kann man die Ausführungen und Interviews seiner Söhne deuten, der seine männlichen Kinder nicht mochte, weil sie ihm als Männer zugleich auch Konkurrenz im Privaten waren?
Mit Helmut Kohl ist der prominenteste Bigottling der christdemokratischen Szene gestorben – ein Mann, der sein Fühlen in den falschen Fuffzigern lernte, falls er dies lernte, und der mit Modernitäten (Feminismus, Familienstrukturen ohne Männerernährermodell, sexual otherness) nichts anfangen wollte.
Friede seiner Seele, so er eine hatte: Jovial und menschenfreundlich war er in Männerhorden, und das auch nur als Anführer. Mit ihm starb ein Modell, das schon vor den Fotoshootings am Wolfgangsee klinisch tot war. Was für ein Gescheiterter, was für ein Nichtvorbild!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben